Couscous als Kulturbrücke - Marokko, Zürich und die Kraft des Dialogs
Couscous ist in Marokko mehr als ein Gericht - es ist ein Stück Erinnerung, ein Ritual der Gemeinschaft, ein Duft, der seit Generationen in den Häusern von Tanger bis Laguoira aufsteigt. Und doch endet seine Reise nicht an den Grenzen des Landes: In Zürich hat der Marokkaner Benaissa Alyahyaoui diesem Alltagsgericht eine zweite Heimat gegeben. Er machte es zu einem Zeichen der Freundschaft. Sein Welt-Couscous-Tag vereint seit zwanzig Jahren Menschen unterschiedlicher Herkunft und zeigt, wie Gastfreundschaft Brücken schlägt, wo Worte allein nicht ausreichen. 2025 wurde er dafür mit der Goldenen Nachhaltigkeitsauszeichnung geehrt.

Aus den Hügeln Zerhouns führte ihn sein Weg nach Europa, wo er eine neue Sprache erlernte und schließlich in Zürich beruflich Fuß fasste. In dieser Stadt, die viele Wege kreuzen lässt, entstand die Idee, einem vertrauten Gericht eine neue Bedeutung zu geben.
Alyahyaouis Lebensweg zeigt, dass Verständigung dort entsteht, wo Menschen bereit sind zuzuhören und Wissen weiterzugeben. Sein Wirken steht für einen konsequenten Beitrag zum interkulturellen Austausch: Er baute sprachliche Brücken, arbeitete als Übersetzer und Dozent, gründete die Green Star Society, leitete Fortbildungen für Mitarbeitende internationaler Unternehmen mit Einsätzen in muslimisch geprägten Ländern und unterrichtete - dank seiner sicheren Beherrschung des Zürcher Dialekts - Migrantinnen und Migranten im Schweizerdeutschen. Bis heute ist er zudem als offizieller Übersetzer für die Schweizer Behörden tätig.
Als er vor zwanzig Jahren den Welt-Couscous-Tag ins Leben rief, konnte er nicht wissen, wohin ihn diese Idee führen würde. Er begann mit wenig Mitteln, aber mit viel Ausdauer. Jedes Jahr organisierte er - mit der Unterstützung seiner Familie und einiger Freunde - ein Fest, bei dem Künstler aus Deutschland und Frankreich auftraten, Schweizer Kulturschaffende zu Wort kamen und Vertreter verschiedener religiöser Gemeinschaften miteinander ins Gespräch traten. „Für alles gibt es einen eigenen Tag - Muttertag, Vatertag, Kindertag, Tag des Baumes. Also warum nicht einen Tag für Couscous?“, sagt er.
Doch warum gerade dieses Gericht? Weil Couscous ein Spiegel der marokkanischen Lebenswelt ist. Es begleitet Freude und Trauer, Festtage und Alltag. Es ist das Mahl des Freitags, eine Gastgeberin bei Hochzeiten und ein Trost bei Trauerfeiern. Man reicht es zu religiösen Anlässen, als Almosen, als Dankgabe, als Bitte um Baraka. Und der Volksmund sagt schlicht: „Couscous liebt die Gemeinschaft.“ Im Laufe der Jahrhunderte nahm das Gericht unzählige Formen an - mit sieben Gemüsesorten, mit rotem oder weißem Fleisch, süß-salzig oder mit Fisch. Jede Region entwickelte ihre eigene Handschrift, doch der Kern blieb derselbe.
Auch der Name des Gerichts trägt Geschichte in sich. Manche führen ihn auf das amazighische „seksu“ oder „kseksu“ zurück - „gut gerollt“, „gut geformt“. Andere sehen seinen Ursprung im arabischen „kuskus“, das wiederum auf eine amazighische Wurzel verweist. Archäologische Funde belegen, dass Couscous bereits vor Jahrtausenden im Norden Afrikas zubereitet wurde, auch wenn es heute in Westafrika, im Mittelmeerraum und in Teilen Südamerikas verbreitet ist. Seine ursprüngliche Heimat liegt dennoch im Maghreb.
Wie fest Couscous im kulturellen Gedächtnis verankert ist, zeigen zahlreiche Geschichten. Eine berichtet, wie Napoleons Soldaten während des Ägyptenfeldzugs (1798-1801) über Hitze und Nahrung klagten, während arabische und amazighische Kämpfer dank Couscous ausdauernd blieben. Ein französischer Offizier soll gesagt haben: „Die Feinde essen eine magische Speise.“ Doch es war nichts Magisches - nur nahrhaft und klug gewählt.
Eine Erzählung aus Al-Andalus berichtet von einem Kalifen, der mit seinen Gelehrten über das perfekte Gericht stritt. Erst ein einfacher Koch aus Marokko brachte den entscheidenden Teller: Couscous mit Gemüse und zartem Fleisch. Der Kalif kostete und sagte: „Dies ist die gesegnete Speise, denn sie vereint alles, was die Erde hervorbringt.“
Couscous als kulturelles Erbe und gelebte Brücke
Als Benaissa Alyahyaoui den Welt-Couscous-Tag einführte, war dies auch ein kulturpolitisches Signal. Er tat es lange bevor Couscous 2020 - auf Antrag von Marokko, Algerien, Tunesien und Mauretanien - als immaterielles Kulturerbe der UNESCO anerkannt wurde. Für ihn ist Couscous ein Schlüssel zur marokkanischen Esskultur, geprägt von Ritualen, Gesten und Bedeutung. Gleichzeitig wollte er eine Brücke zwischen der Schweizer Gesellschaft und der marokkanischen Gemeinschaft schlagen.
Im November 2025 erhielt er in Zürich die Goldene Nachhaltigkeitsauszeichnung der Stiftung IDEE-SUISSE. Dr. Olaf J. Böhme, Präsident der Organisation, sagte: „Herr Benaissa Alyahyaoui hat Couscous zu einem Instrument für Frieden, Freundschaft und Nachhaltigkeit gemacht. Er hat Brücken geschaffen, die Kultur zu einem Werkzeug der Verständigung werden lassen.“
2024 nahmen weltweit bereits 1.500 Menschen gleichzeitig am Welt-Couscous-Tag teil - ein stilles, aber eindrückliches Zeichen dafür, wie weit diese Idee getragen hat. Omar Lahyani, ein enger Freund, sagte: „Ein Mann mit scharfem Blick, heiterer Seele und einem Herzen, das kulturelle Barrieren mit einem Teller Couscous und etwas Klugheit überwindet.“ Eine Professorin aus Chur betonte: „Dieses Fest zeigt, dass Völker einander näherkommen können.“ Der Zürcher Anwalt Reinhard Oertli nannte Alyahyaoui „eine Schlüsselfigur der kulturellen Annäherung, die ihr Leben dem Zusammenführen von Traditionen gewidmet hat - ohne eine auf Kosten der anderen zu verdrängen“.
Doch Alyahyaouis Engagement reicht weit über diesen Festtag hinaus. Er organisiert Begegnungen zwischen marokkanischen Gemeinschaften und Schweizer Bürgerinnen und Bürgern, gemeinsame Iftar-Mahlzeiten im Ramadan sowie religiöse und nationale Feiern. Zudem arbeitet er an einem Buch über Geschichte, Rituale und regionale Varianten des Couscous - ein Werk, das bald auf Deutsch, Englisch und Französisch erscheinen wird.
Couscous ist ein Gericht. Und doch ist es viel mehr: ein Gedächtnis, eine Brücke, ein stilles Versprechen, dass Menschen einander näherkommen können - manchmal mit nichts weiter als einem Teller Wärme.