Die Tore von Fès: Eine historische, gesellschaftliche und politische Erzählung - Bab Sidi Boujida
Bab Sidi Boujida
Bab Sidi Boujida (Arabisch: باب سيدي بوجيدة). Der Name dieses Tores ist eng mit einer herausragenden Persönlichkeit der Stadt Fès verbunden, dem Gelehrten und Heiligen Abu Jida ibn Ahmad al-Yazghitni (الفقيه و الإمام أبي جيدة بن أحمد اليزغيتني), auch bekannt unter dem Ehrentitel Abi an-Nur (أبي النور).
Er stammte aus der amazighischen Berberstammesgemeinschaft der Banu Yazgha (بني يازغة) die südöstlich von Fès ansässig ist. Trotz seiner tiefgehenden Gelehrsamkeit und seines umfassenden Wissens lebte Abu Jida in großer Bescheidenheit. Er verdiente seinen Lebensunterhalt durch den Anbau von Obst und Gemüse in den Gärten außerhalb der Stadtmauer von Fès.
Im 4. Jahrhundert nach der Hidschra (10. Jahrhundert n. Chr.) gehörte Abu Jida al-Yazghi zu den bedeutendsten Rechtsgelehrten und Sufis Nordafrikas. Er unternahm mehrere Reisen in den östlichen Teil der islamischen Welt, um dort Wissen zu erwerben. Diese Reisen ermöglichten es ihm, sich ein breites und tiefes Wissen in verschiedenen Disziplinen anzueignen. Er beherrschte nicht nur die malikitische Rechtsschule, die in Nordafrika verbreitet war, sondern auch die schafiitische Rechtsschule.
Seine Weisheit, seine spirituelle Autorität und seine Bescheidenheit machten ihn zu einer geschätzten Persönlichkeit in der religiösen und wissenschaftlichen Gemeinschaft von Fès. Sein Vermächtnis ist bis heute mit dem Namen des Tores Bab Sidi Boujida untrennbar verbunden.
Die berühmte Geschichte von Abu Jida
Eine der bekanntesten Begebenheiten im Leben des Gelehrten Abu Jida ibn Ahmad al-Yazghitni ist sein geschickter juristischer Schachzug zur Verteidigung der Ländereien. Diese Geschichte wird vom Historiker Mohammed at-Tazi Saud (محمد التازي سعود) überliefert und erzählt von einer klugen Fatwa, mit der Abu Jida dem mächtigen al-Mansur ibn Abi Amir (المنصور بن أبي عامر), dem Richter der andalusischen Armee, entgegentrat.
Der Umayyaden-Staat in Al-Andalus benötigte dringend finanzielle Mittel. Al-Mansur versuchte, einen Teil dieser Gelder durch die Beschlagnahmung der landwirtschaftlichen Flächen rund um Fès zu beschaffen. Um dies zu rechtfertigen, stellte er den Bewohnern der Stadt eine entscheidende Frage: „Habt ihr diese Ländereien durch einen Friedensvertrag erworben oder habt ihr sie mit Gewalt genommen? Wenn sie mit Gewalt genommen wurden, gehören sie dem Staat. Wenn sie durch einen Vertrag in euren Besitz gelangten, wo ist dann das schriftliche Dokument, das dies belegt?“
Die Bewohner von Fès waren ratlos und gaben keine Antwort. Stattdessen sagten sie: „Wartet, bis unser Gelehrter kommt.“ Als Abu Jida ibn Ahmad eintraf, stellte al-Mansur ihm dieselbe Frage. Doch der Gelehrte antwortete mit einer überraschenden und klugen Argumentation: „Weder durch einen Friedensvertrag noch durch Gewalt sind diese Ländereien in unseren Besitz gekommen. Unsere Vorfahren haben dieses Land bereits bewirtschaftet, als sie noch Ungläubige waren. Dann hat Allah ihnen den Islam gewährt, und sie blieben im Besitz dieser Flächen.“ Daraufhin sagte der Richter beeindruckt: „Der Mann hat euch gerettet.“
Diese Episode machte Abu Jida in ganz Fès und darüber hinaus berühmt. Sein scharfsinniger Einfall rettete die Bewohner von Fès vor dem Verlust ihrer Ländereien und stärkte seine Position als einflussreicher Rechtsgelehrter und Verteidiger der Rechte seiner Gemeinschaft.
Begräbnisritual und die Legende von Abu Jida
Eine der bis heute im marokkanischen Bestattungsritus verbreiteten Traditionen ist der Brauch des sogenannten „Ṣabāḥ al-Qabr“ (wörtlich: „Morgen des Grabes“), bei dem die Angehörigen das Grab des Verstorbenen an drei aufeinanderfolgenden Tagen nach der Beerdigung besuchen.
Dieser Brauch geht auf eine Begebenheit zurück, die sich mit dem berühmten Gelehrten Abu Jida ibn Ahmad al-Yazghitni verbindet. Ibn Abi Zayd al-Qayrawani (بن أبي زيد القرواني), der Verfasser des bekannten Rechtswerks „ar-Rissala“ und einer der bedeutendsten Gelehrten der malikitischen Rechtsschule, der im gesamten islamischen Westen als „Malik aṣ-Ṣaghir“ (der kleine Malik) bekannt war, hörte von der klugen Fatwa, die Abu Jida einst ausgesprochen hatte. Fasziniert von dessen Weisheit beschloss er, Abu Jida von seinem Heimatland Tunesien aus zu besuchen.
Als Ibn Abi Zayd schließlich in Fès ankam, musste er erfahren, dass der Gelehrte drei Tage zuvor verstorben und bereits beerdigt worden war. Daraufhin legte er einen Schwur ab: „Ich werde drei Tage an seinem Grab verweilen.“
Diese Geste hinterließ einen tiefen Eindruck bei den Bewohnern von Fès und begründete den Brauch, das Grab eines Verstorbenen drei Tage lang zu besuchen. Der Brauch nahm seinen Ursprung in Fès und verbreitete sich schließlich im gesamten marokkanischen Raum.
Abu Jida ibn Ahmad al-Yazghitni verstarb im Jahr 976 n. Chr. und wurde außerhalb des Stadttores Bab Bani Musafer (بني مسافر) beigesetzt. Dieses Tor, das ursprünglich verschiedene Namen trug, wurde später nach dem Gelehrten in Bab Sidi Boujida umbenannt. Zuvor war es unter dem Namen Bab Abi Sufyan (باب أبي سفيان) bekannt, ein Name, der auf die Zeit seiner Errichtung zurückgeht. Bab Sidi Boujida ist das berühmteste Tor im Westen der Stadt. Das Tor, das als Hauptkonkurrent von Bab Ftouh gilt.
Folgende Tore werden in diesem Artikel beschrieben: Bab Ftouh - Bab L‘Khoukha - Bab Sidi Boujida - Bab Gissa - Bab Chorafa - Bab Mahrouk - Bab Boujloud - Bab L‘Khmis, Bab Sagma - Bab Dekkakin - Bab s-Semmarin - Bab Jyaf - Bab Amr - Bab L‘Hdid - Bab Jdid - Bab L‘Hamra - Bab Sid L'Awwad. Zurück auf Seite 1. |