Reiseführer-Landkarte N12: Zwischen Lehmburgen, Erschöpfung und Couscous
Einst reihten sie sich wie Perlen an einer Schnur entlang des Flusses Drâa: Ksour und Tighermatin in allen Größen, oft prachtvoll verziert, in traditioneller Bauweise aus ungebranntem Lehm errichtet. Am Südhang des Hohen Atlas findet sich dieses Baumaterial in ausreichender Menge, während Bruchsteine meist fehlen. Und was liegt näher, als das vorhandene Material zum Bauen zu verwenden?


Lehm ist ein weiches Baumaterial, das eine intensive Pflege erfordert. Gebäude, Mauern oder Türme müssen regelmäßig kontrolliert und ausgebessert werden. Hier liegt ein Grund des Verfalls zahlreicher Bauwerke: die Bewohner können die Ausbesserungen aus Altersgründen nicht mehr leisten, sind möglicherweise verstorben oder haben in der Nähe ein modernes Haus aus Betonsteinen gebaut, das nicht weiter gewartet werden muss…

Schon mehrfach haben wir bei unseren Streifzügen durch die Region den Bau einer Stampflehmmauer beobachtet, angekündigt bereits lange vorher durch das Geräusch sich wiederholenden Stampfens, begleitet von Gesängen. Damit schwingen sich die Arbeiter - oft sind zwei an einer Verschalung tätig - in einen gleichmäßigen Arbeitsrhythmus beim Verdichten der Masse. Welche Gedanken gehen Betrachtern dabei durch den Kopf bei dieser Tätigkeit in glühender Sonne, jeder Eimer Lehm wird per Hand zum Arbeitsort getragen…
Da freuen wir uns ganz besonders, als wir bei unserem Aufenthalt in Agdz die Einladung von Manfred Fahnert erhalten, einen Tag an seinem Seminar zum Lehmbau aktiv teilzunehmen.
Zweimal jährlich veranstaltet Fahnert Lehmexpress-Workshops in Agdz. Der Schulungsort befindet sich östlich direkt an der Kasbah Caïd Ali el Jadida und richtet sich an Architekten, Handwerker, Studenten und interessierte Laien.
Neben Labor-Experimenten zur Untersuchung der verschiedenen Zusammensetzungen des Baumaterials Lehm lernen die Teilnehmer Grundlagen zum Bau einer Stampflehmmauer, zur Herstellung von Lehmziegeln, zum Verputzen und der Herstellung eines Bodenbelags.
Im Labor lassen wir uns die Untersuchungen hinsichtlich Materialzusammensetzung und Festigkeit erklären, aber die praktische Arbeit reizt uns mehr.
Im Hof wird das Material abgemischt, die Holz-Schalung für einen ca. 50 cm breiten und knapp 2 m langen Mauerabschnitt ist bereits fertig. Nun gilt es zuerst, diese mit großen Steinen als Grundlage zu füllen. Der Mauerabschnitt befindet sich in der ersten Etage, Material liegt draußen im Hof.
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Traditionell erfolgt Lehmverarbeitung auf zwei Wegen: 1.) Feuchter Brei wird in eine Holzverschalung (ca. 1,50 m breit, 1 m hoch, 40 cm dick) gestampft. So können im Baukastensystem Blöcke übereinandergesetzt und Mauern hochgezogen werden und 2.) Handgefertigte, luftgetrocknete Lehmziegel, mit einer Beimischung aus Strohhäcksel, dienen der Verzierung an Türmen und Wandfriesen. |

Mbark Allauoi, Lehmbaumeister aus Asslim, der mit Manfred zusammenarbeitet und Spezialist für Stampflehm ist, verarbeitet das per Seilzug nach oben geschaffte Material. Als genügend Steine liegen, verlangt er Lehm. Nun kommt Leben in die Arbeitskette: Eimer füllen, in den Innenhof tragen, hochziehen, auf das Gerüst reichen, von dort an Mbarek, der die Schalung füllt. In Abständen nimmt er seinen Holzstampfer, um den Lehm zu verdichten.
Er hat von seinem Arbeitsplatz einen guten Blick auf die im Hof Tätigen und hat eine diebische Freude daran, sie mit lauten Rufen: schneller, schneller anzutreiben. Das einzige deutsche Wort, das er kennt, wendet er gern an und quittiert die fast empörten Rufe aus dem Hof mit breitem Grinsen. Ab und zu werden die Aufgaben gewechselt - nur lehmgefüllte Eimer tragen lässt auf Dauer die Arme zu lang werden…
Kurz vor 13 Uhr ertönt aus der Küche ein Ruf: jallah - von Amina, der Küchenfee. Diesem Ruf folgen wir alle gern, die Arme sind müde, Durst und Hunger kündigen sich an. Auch Sidi Ahmed, der heutige Besitzer der Kasbah und Sohn ihres Gründers Caïd Ali hat sich bereits im Hof eingefunden. Mit seinen fast 100 Jahren nimmt der hagere Herr mit dem schmalen, freundlichen Gesicht rege Anteil am Baugeschehen. Er lässt sich an der Stirnseite der langen Tafel im Innenhof nieder, bekommt seinen Teller standesgemäß zuerst gefüllt. Noch bevor er den ersten Bissen nimmt, stößt er mich an, deutet auf Andreas leeren Teller und verlangt: Madame, jallah! Erst nachdem ich pflichtgemäß auch seinen Teller gefüllt habe, beginnt er geräuschvoll zu essen...

Nachdem die großen Platten mit Couscous, Hühnchen und Rosinen, gewürzt mit Zimt, restlos leer sind, genießt jeder die Mittagsruhe bis 15 Uhr. Nur Amina ist noch fleißig und räumt in der Küche auf.

Nachmittags wird weitergearbeitet. Während nicht nur wir, sondern auch die Seminarteilnehmer Startschwierigkeiten haben, steht Mbark bereits wieder erwartungsvoll auf der Mauer. Bis 18 Uhr arbeiten wir alle im gleichen Rhythmus weiter, dann sind die 3 Mauerabschnitte fertig, der Anschluss an den Turm geschafft.
Mit einem zufriedenen "Baraka" steigt Mbark von der Mauer herunter und lässt sich einen Tee bringen. Wir ziehen uns alle zur dringend notwendigen Körperpflege zurück und versammeln uns gegen 20 Uhr wieder im Hof. Sidi Ahmed hat bereits seinen Stammplatz eingenommen, eine gewaltige Stirnlampe für den Heimweg liegt neben ihm. Alle schlängeln sich um ihn herum, denn keiner wagt es, ihn zu bitten, noch einmal aufzustehen.
Nach dem Essen zieht Sidi Ahmed stolz seinen Ausweis aus der Tasche, alle bewundern ihn und wir lesen ehrfurchtsvoll das Geburtsjahr: 1927! Mbark gesellt sich zu ihm, die Männer unterhalten sich - wir würden es eher als Schreien bezeichnen, da Sidi Ahmed schwerhörig ist. Wir lachen Tränen, wenn Mbark ihm verschmitzt grinsend ins Ohr brüllt. Ein Marokkaner, der Amina in der Küche hilft, übersetzt uns. Mbark meint: Zeit für den 80-Jährigen ins Bett zu gehen. Da muss Sidi Ahmed heftig protestieren - so ein junger Kerl sei er ja wohl nicht mehr! Trotzdem lässt er sich dankbar von Mbark durch die dunklen Gassen zu seinem Schlafgemach führen.
Mit dem Wissen um diese mühevolle handwerkliche Tätigkeit hat sich der Blick auf die stattlichen Lehmburgen nachhaltig verändert.
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Bereits in dieser Serie erschienen:
- GPS Waypoints Marokko - Morocco - Maroc, ISBN 9783943752359
- Stadtplan Agadir + Cityplan Inezgane + Ausflugstipps - ISBN 9783943752366.
- J10: Essaouira • Sidi Kaouki • Jbel El Hadid + Altstadtplan Essaouira. ISBN 9783943752717
- J12: Agadir • Taghazout • Imouzzer + Cityplan Agadir, 2019, ISBN 9783943752373
- K13: Tafraoute nord - Tizourgane – Igherm, ISBN 9783943752380
- K14: Tafraoute • Amtoudi • Aït Mansour • Tanalt • 1:120.000, 2023, ISBN 9783943752397
- K15: Amtoudi • Fam El Hisn • Ifrane • Taghjijt, 2022, ISBN 9783943752649
- L11: Asni • Imlil • Oukaïmeden • Setti-Fatma + Wanderkarte Toubkal &Lac d`Ifni, 2021, ISBN 9783943752656
- L12: Taliouine • Aoulouz • Askoun • Agadir Melloul • Jbel Sirwa, ISBN 9783943752748
- L14: Tata - Akka - Tadakoust - Jbel Bani, ISBN 9783943752663
- M11: Aït-Ben-Haddou • Ouarzazate • Skoura + Straße der Kasbahs I, 2022, ISBN 9783943752670
- M12: Taznakht • Anzal • Aït Saoun • Alloughoum • Jbel Sirwa est - ISBN 9783943752694
- M13 Foum Zguid • Tissint • PN d'Iriqui ouest • Jbel Bani, ISBN 9783943752878
- N10 Aït Bouguemez • M’Semrir • Boumalne Dadès • Kelâa M’Gouna + Straße der Kasbahs III, ISBN 9783943752885
- N11: Skoura • Kelâa M’Gouna • N’Kob • Jbel Sarhro + Straße der Kasbahs II - ISBN 978394375295

