Reiseführer-Landkarte K13: Ferngespräch mit Folgen
Im Januar 1968 brauchte Dr. Werner Wrage einen ganzen Tag, um mit einem Land Rover die 58 km Strecke von Tafraoute bis Agadir Tasguent zu bewältigen. Allein die Hinfahrt dauerte drei Stunden, oft konnte das Auto nicht schneller als 20 km/h fahren, zu schlecht waren damals die wenig ausgebauten Pisten.
Tief beeindruckt kehrte er dennoch von dem damals nicht ganz billigen Ausflug nach Tafraoute zurück. Die einmalige Architektur dieses Speichers und die freundliche Führung des Amins ließen ihn im Nachhinein alle Anstrengungen vergessen.
Heute sind die Straßen deutlich besser, entspannt schnurren wir aus Tafraoute kommend die R 105 Richtung Aït Baha, drosseln am gut von der Polizei bewachten Kreisel artig die Geschwindigkeit und schwenken auf die R 106 Richtung Igherm ein. Nach knapp 30 km biegen wir bei Tiguermine auf die P 1773 ab, lassen den uns bereits bekannten Speicher Agadir Tasguent links der Straße liegen und fahren weiter Richtung Norden. Wie würde uns heute Werner Wrage beneiden über diese Reisegeschwindigkeit...
Agadir Itourhaïn
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Unser Ziel ist Agadir Itourhaïn, unweit des Ortes Aït Ourhaïn. Bereits einmal versuchten wir vergeblich, den Speicher zu besichtigen, scheiterten aber an der verschlossenen Eingangspforte. Diesmal haben wir wenigstens eine Telefonnummer dabei, aber unsere Hoffnung auf Erfolg schwindet, als wir vorab in unserer Unterkunft in Tafraoute bitten, dort anzurufen. Das wurde auch hilfsbereit erledigt, wir erhalten aber die Auskunft, man habe mit jemandem in Casablanca gesprochen, der nicht zuständig und außerdem viel zu weit weg sei!
Egal, unser Weg führt diesmal eh in diese Richtung, so dass wir den kleinen Umweg für ein schönes Foto gern in Kauf nehmen. Noch einmal lockt der Weg vor die Speichertür. Während wir von hier die Aussicht genießen, beobachten wir, wie aus dem Dorf ein Mann zielstrebig bergauf steigt. Wir warten... und richtig, er kommt mit Schlüssel zur Speichertür. Gedankenübertragung? Schnell klärt er uns jedoch auf, dass er einen Anruf seiner Nichte aus Casablanca erhalten hatte, die ihm mitteilte, dass heute Besucher in seinem Dorf den Speicher ansehen möchten. Als er uns Richtung Speicher wandern sah, vermutete er, dass wir genau diese Interessenten seien. Breites Grinsen und Zufriedenheit in allen Gesichtern.
Ein großer Speicher, von einer umfassenden Mauer mit vier integrierten Wachtürmen umgeben und zusätzlich von außen teilweise durch eine Kakteenhecke geschützt, empfängt den Besucher. Würdevoll öffnet Amin Mohamed die große hölzerne Eingangspforte und betritt mit einem „Bismillah“ (im Namen Gottes) den Speicher. Mit 230 Kammern präsentiert sich Itourhaïn als gewaltiges Bauwerk, an dem gut die verschiedenen Erweiterungsphasen erkennbar sind.
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Obwohl er heute kaum noch genutzt wird, sind zahlreiche Türen verschlossen, da sie weiterhin im Besitz einiger Familien sind. Während wir gemeinsam durch die Gänge schlendern und die ein oder andere kunstvoll bemalte Tür bewundern, erzählt uns Amin Mohamed Geschichten am Rande, die so nicht in Büchern stehen. Hätten Sie gewusst, dass selbst die Katze des Amins ihre Futterrechte dokumentiert bekam? Immerhin hatte sie die wichtige Aufgabe, den Speicher mäusefrei zu halten, damit die Vorräte erhalten blieben. Und dafür sägte manch ein Kammerbesitzer sogar unten in seine Tür ein Loch, damit die Katze bequem ihre Beute verfolgen konnte. Interessant empfanden wir auch die Erklärung, dass eine mit drei Schlössern gesicherte Kammertür nicht als Zeichen überängstlicher Besitzer zu werten war. Vielmehr teilten sich in diesen Fällen mehrere Familien eine Kammer, die auch alle beim Öffnen der Tür anwesend sein mussten.
Nach einem aufschlussreichen Rundgang führt uns Mohamed abschließend über spärliche Trittstangen und schmale Öffnungen im Inneren eines Wachturmes bis hinauf aufs Dach. Der Ausblick von oben ist überwältigend und entschädigt für die mühevolle Kletterpartie! Dankbar für diese schönen Erlebnisse verabschieden wir uns von ihm mit einer angemessenen Entlohnung für seinen Einsatz und steigen wieder ins Auto.
Agadir Dou Tgadirt
Auf direktem Weg wollen wir aber noch nicht nach Tafraoute zurück, uns war unterwegs noch ein weiteres ungewöhnlich liegendes Gebäude aufgefallen. Langsam rollen wir auf der P 1773 wieder Richtung Süden, biegen dann aber links nach Tlata Idouska ab. Oberhalb des Dorfes liegt auf einem isolierten Felsen ein Speicher, perfekt an diesen angepasst.
Wir umrunden ihn, um einen Aufgang zu finden und entdecken einen Pfad. Auf dem Weg nach oben stolpern wir fast über einen im Schatten ruhenden Mann. Sein Esel ist in der Nähe festgebunden. Sofort setzt er sich auf, begrüßt uns freundlich und gibt uns mit Zeichen zu verstehen, dass er den Schlüssel zum Agadir Dou Tgadirt bei sich trägt. Gern folgen wir ihm aufwärts und betreten jetzt einen Speicher, dessen Konstruktion eine gänzlich andere ist, als Itourhaïn. 60 Kammern, angeordnet auf drei, teilweise vier Etagen und überdachte Kammerzugänge machen das Fotografieren des ca. 600 Jahre alten Bauwerks nahezu unmöglich. So genießen wir mit den Augen, machen uns gegenseitig Platz, um in jede Nische schauen zu können und staunen, unter welchen schwierigen Bedingungen hier Vorräte eingelagert wurden.
Der freundliche Wächter nimmt zum Abschied dankbar sein Bakschisch entgegen und begibt sich wieder auf seinen Ruheplatz, während wir tief beeindruckt zum Auto zurückwandern.
Bereits in dieser Serie erschienen:
J12: Agadir • Taghazout • Imouzzer + Cityplan Agadir, 2019, ISBN: 9783931099282
K13: Tafraoute nord • Tizourgane • Igherm + Straße der „Agadire“ (Igoudar), 2019, ISBN: 9783931099275
K14: Tafraoute • Amtoudi • Aït Mansour • Tanalt • 1:120.000, 2023, ISBN: 9783931099411
K15: Amtoudi • Fam El Hisn • Ifrane • Taghjijt, 2022, ISBN: 9783931099329
L14: Tata • Akka • Tadakoust • Jbel Bani, 2023, ISBN 9783931099428
M11 Aït-Ben-Haddou • Ouarzazate • Skoura + Straße der Kasbahs I, 2022, ISBN 9783931099312
Stadtplan Agadir • Cityplan Inezgane 1:15.000 + Ausflugstipps, 2020, ISBN: 9783931099299
Weitere Informationen zur Serie
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