Wellen der Stille: Zwischen Magie, Mythos und Wüste
Teil 1: Wellen der Stille |
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Teil 2: Das Wüstenamulett | |
Teil 3: Die Magie des Wüstenzeltes | |
Mustapha Laghtiri begibt sich auf eine Reise durch die grenzenlose Weite der Wüste - eine Landschaft, die nicht nur den Körper, sondern auch den Geist herausfordert. Während er durch den endlosen Sand wandert, wird er von tiefgründigen Gedanken über Vergänglichkeit, Leben und das Nichts begleitet. Die Stille und Weite des Ortes lassen ihn über die menschliche Existenz und den Platz des Einzelnen im großen Gefüge der Welt nachdenken.
Sein Ziel ist ein berühmter Scheich, der in der Region für seine Weisheit und sein verborgenes Wissen bekannt ist. Der Scheich behauptet, in einem Traum Hinweise auf einen verborgenen Schatz erhalten zu haben - einen Schatz, der das Schicksal seines Stammes verändern könnte. Für Laghtiri stellt diese Begegnung eine außergewöhnliche Chance dar, seine Studien über traditionelle magische Praktiken und spirituelle Überlieferungen zu vertiefen.
Eine Reise in die Tiefen der eigenen Gedanken
So begann ich meine Reise in die unermesslichen Weiten der Wüste, wo mich nicht nur der Sand, sondern auch meine eigenen Gedanken auf die Probe stellten.
Die lange Reise der vergangenen Nacht von Casablanca bis zur nächsten Oase am Rande der Wüste lastete noch immer schwer auf mir. Meine Seele ächzte unter der Müdigkeit, die diese Fahrt mir auferlegte. Während der gesamten Reise vermochte ich es nicht, meine Augen auch nur für kurze Zeit zu schließen, um etwas Schlaf zu finden - jenen Schlaf, von dem ich sicher war, dass er meinem Körper die ersehnte Ruhe und Gelassenheit zurückbringen würde.
Zu tief war ich in Gedanken versunken, erfüllt von der Erwartung dessen, was mich im Herzen der Wüste wohl erwarten würde. Unentwegt spielte ich Szenarien durch, die ich mir ausmalte - Bilder von meiner Lage an jenem fremden Ort, einem Landstrich, den ich mir karg, entblößt von jeglichem vertrauten Leben vorstellte. Doch je tiefer ich mich in diese Vorstellungen hineinsteigerte, desto drückender wurde das Gefühl der Beklemmung, das sich wie eine schwere Last auf meine Brust legte. Ich wünschte ich mir, die Reise hätte am Tage stattgefunden, damit ich mich an den Landschaften entlang des Weges hätte erfreuen können. Doch die Nacht hat ihre eigenen Gesetze - sie zwingt einen, nach innen zu schauen. Man ist gezwungen, mit den Bildern der Erinnerung vorlieb zu nehmen oder, wenn das Glück der Fantasie einem hold ist, neue Geschichten zu erfinden. So versucht man, die Monotonie und Mühsal der langen Reise zu vergessen - oder wenigstens für eine Weile zu verdrängen. Ich leugne nicht, dass mich die endlose Länge der Reise mit einer gewissen Langeweile erfüllte - eine Strecke, die kaum zu enden schien.
Erster Kontakt mit der Wüste
Als der Reisebus im Morgengrauen in der Stadt Errachidia hielt, bot sich mir die Gelegenheit, erstmals mit diesem südlichen Landstrich Bekanntschaft zu machen, den ich bislang nicht besucht hatte. Ich nahm mein Frühstück mit großem Appetit ein. Diese Pause löste mich von einem Teil meiner inneren Anspannung und öffnete mir ein geheimnisvolles Tor zu neuen Träumen - fernab jener übertriebenen Geschichten, die man über die Härte der Wüste und die Kargheit ihrer Städte erzählt.
Meine erste Begegnung mit der Wüste hier in dieser Stadt war ermutigend. Die rötlichen Gebäude nahmen sich sanft und einladend aus und schenkten meiner vom Lärm ermüdeten Seele eine kühle Ruhe. Die verstreuten Palmenbüschel, die hier und dort aus dem Boden sprossen, vermittelten das Gefühl, dass man sich an der Schwelle zu einer grundlegenden Veränderung befand. Es schien, als halte die Reise bereits ihr Versprechen: Die erste Station ließ mich nicht im Stich. Trotz der kurzen Zeitspanne, die uns zur Erholung und zum Essen eingeräumt wurde, beschloss ich, eine kleine Erkundungstour durch die Hauptstraßen der Stadt zu unternehmen - eine Atempause, nach der meine Seele sich sehnte. Dieser Entschluss erwies sich als überaus wohltuend.
Nach der kurzen Rast in Errachidia setzte der Bus die Reise fort... Nun stehe ich hier, mitten in den Sanddünen, an einem Ort, der zwischen Zweifel und Gewissheit schwankt, und richte meinen Blick auf den fernen Horizont. Er erscheint mir wie eine unendliche, gerade Linie, die dem Betrachter auf seltsame Weise greifbar scheint - fast wie eine verirrte Sehnsucht, die sich nach der Erfüllung eines langen aufgeschobenen Treffens verzehrt. Diese Sehnsucht, tief verwurzelt in den verborgenen Winkeln der Seele, gleicht einer Schlange, die von der Kälte gezwungen wurde, sich zusammengerollt in ihrem Unterschlupf zu verbergen. Doch sobald sie von einer allmählichen Wärme durchdrungen wird, wird sie ihren Bau verlassen, sich entfalten und über das weite Land Gottes dahingleiten.
Meine in Sportschuhen geschützten Füße sinken tief in den weichen Sand ein, während ich mich bemühe, die Nachgiebigkeit des Untergrunds zu überwinden, der jeden Schritt nach vorne erschwert. Immer wieder zwingt mich der ungleiche Boden dazu, für einen Moment den Blick nach unten zu richten, um sicherzugehen, dass meine Füße festen Halt finden. Doch schon kurz darauf hebe ich den Blick wieder und richte ihn auf den vermeintlichen Pfad, der vor mir liegt - ein Weg, den ich zu durchqueren gedenke.
Währenddessen nagt an mir jene widerspenstige Sehnsucht, die mich unvorhergesehen mit ihrer Intensität überfällt. Sie wird umso wilder, je mehr ich versuche, sie zu ignorieren oder ihre Existenz zu vergessen - in der Hoffnung, dass sie mich im Gegenzug ebenfalls in Ruhe lässt. Doch genau dann, wenn ich glaube, sie hinter mir gelassen zu haben, tritt sie umso entschiedener zutage. So auch jetzt, genau in diesem Augenblick, hier an diesem Ort.
Der Horizont, den ich für kurze Momente erfolgreich aus meinem Bewusstsein verdränge, um meine Gedanken zu ordnen und mich auf eine bevorstehende Begegnung vorzubereiten, drängt sich mir aus dieser Perspektive erneut auf - provokanter und herausfordernder denn je. Er zwingt mich dazu, wieder über ihn nachzudenken, diesmal mit größerer Tiefe. Dieser Horizont, der sich wie ein unaufhaltsamer Magnet auf Geist und Seele auswirkt, ist zugleich eine Grenze für das Auge und ein Tor für das Denken. Er begrenzt den Blick, vermag jedoch nicht, die innere Einsicht zu hemmen. Ich stelle mir vor, er sei eine scharfe Trennlinie - zwischen Sein und Nichtsein, zwischen Hier und Dort, zwischen der lebendigen, gegenwärtigen, aber verwirrten Existenz und ihrem Spiegelbild, das im Nichts verweilt.
Dieser verführerische Anblick des provokanten Horizonts vermittelt das Gefühl, dass nichts ewig währt, dass nichts wahrhaftig ist außer dem Nichts selbst - dem Vergehen, dem Verschwinden, dem Verlust. In einer Welt, die auf subtile, fast sanfte Weise von dieser Grenzlinie beherrscht wird, entsteht der Eindruck, dass alles letztlich im Vergessen endet. Selbst wenn diese Linie nur eine Illusion ist, präsentiert sie sich doch wie eine Botschaft - eine Botschaft, deren Symbolik tief und weitreichend ist. Sie berührt zweifellos das Wesen der menschlichen Existenz, jenes fragile Sein, das in einer feindseligen Welt herangewachsen ist, von jeher verfolgt von der Idee des unvermeidlichen Endes: dem Vergehen, dem Nichts, dem völligen Auslöschen.
Diese Grenzlinie scheint nicht nur den Blick zu versperren, sondern erinnert auch an die unausweichliche Wahrheit, die sich in allen Zeiten durchgesetzt hat: das ewige Spiel zwischen Existenz und Vergänglichkeit - ein Tanz zwischen dem, was ist, und dem, was unaufhaltsam im Nichts verschwindet.
Der Weg zum verborgenen Schatz
Trotz der Möglichkeit, mit einem Fahrzeug schneller ans Ziel zu gelangen, war ich entschlossen, den Weg zu Fuß zu beschreiten. Warum ich darauf beharrte, wusste ich nicht genau. Vielleicht wollte ich meinen Füßen die Gelegenheit geben, diesen Boden zu berühren, von dem ich insgeheim annahm, dass ihn einst einer meiner Ahnen betreten hatte. Es war ein Gedanke, der sich mir unwillkürlich aufdrängte: Die Berührung dieser Erde würde mir guttun - meinem Körper, meinem Geist, meiner Seele und meiner Erinnerung. Ich spürte, dass ich auf diese Weise eine gewaltige Energie aus längst vergangenen Zeiten in mich aufnehmen würde, eine Kraft, die geduldig hier auf mich gewartet hatte, um sich mir vorbehaltlos zu schenken. Ich war nahe daran, es als einen Segen zu bezeichnen, der mir zuteil wurde. Seltsam - genau dieses Wort drängte sich mir auf: Segen.
Sand, Dünen, Kamele, die Wüste, die Ahnen, der Segen, das Schicksal - all diese Begriffe formten sich in meinem Kopf zu einem einzigen Bild. Sie alle bestimmten meinen Zustand, während ich meine Füße tief in den Sand versenkte, den Blick fest auf jene entfernten Zeltlager gerichtet, die sich wie ein Versprechen am Horizont abzeichneten. Mein Blick verlor sich nie in der Weite, er blieb stets auf dieses Ziel gerichtet. Diese Lager waren meine Orientierung, meine innere Kompassnadel, die nicht nur meinen Weg bestimmte, sondern auch mein Schicksal.
In jenen Zeltlagern erwartete mich ein Stammesältester, mit dem ich über eine äußerst bedeutsame Angelegenheit sprechen sollte. Der Mann behauptete, es gäbe hier irgendwo einen vergrabenen Schatz, und er sei in der Lage, ihn zu bergen. Ich brannte darauf, diese Erfahrung zu machen, da sie genau meinem Fachgebiet entsprach - der Erforschung volkstümlicher Glaubensvorstellungen mit magischem Charakter. Es war notwendig, Kontakt zu einer Gruppe von Menschen herzustellen, die mich zu diesem Scheich bringen würden.
Die Zustimmung des Scheichs war keineswegs leicht zu erlangen. Ein Verwandter von ihm, ein Studienkollege von mir, erleichterte jedoch den Zugang, indem er dem Scheich alle notwendigen Garantien gab, dass die Angelegenheit vollkommen diskret behandelt würde. Zudem versprach ich, absolute Neutralität zu wahren: Ich würde dabei sein, beobachten und zuhören, ohne einzugreifen oder zu kommentieren. Und wenn ich später über das Erlebnis schreiben würde, blieben sowohl Namen als auch der genaue Ort anonym. Für mich zählte einzig das Ereignis an sich - nicht die Personen, die daran beteiligt waren.
Unweigerlich war ich in eine phänomenologische Haltung geraten: Nichts war von Bedeutung, außer dem, was sich unmittelbar vor meinen Augen abspielte. Ich strengte mich an, um einen Zustand völliger innerer Leere zu erreichen - und tatsächlich, es gelang mir auf beinahe unheimliche Weise. Keine Vorurteile, keine festen Überzeugungen. Mein einziger Wunsch war es, mir dort, während des Geschehens, eine frische, unvoreingenommene Vorstellung zu bilden. Eine Idee, die aus der Erfahrung selbst erwuchs, ohne dass ich sie zuvor in irgendeiner Weise beeinflusst hätte.
Der Stammesführer
Ein Mann mit umfassendem Wissen, unerschütterlichem Mut und außergewöhnlicher Willensstärke, dazu besaß er eine beeindruckende charismatische Ausstrahlung. Trotz seiner Herkunft, die ihm im Vergleich zu anderen, hochgeachteten Stammesmitgliedern keine privilegierte Stellung verschaffte - ein Aspekt, der in der Wüste normalerweise von entscheidender Bedeutung ist - verhalfen ihm seine außergewöhnlichen Eigenschaften, die Spitze seines Stammes zu erreichen. Seine Klugheit, sein Weitblick und seine Standhaftigkeit, gepaart mit seiner umfassenden Bildung, verschafften ihm nicht nur Respekt, sondern auch eine herausragende Stellung in den Ratsversammlungen seines Stammes. Seine Redekunst war legendär. Die Menschen besangen seine poetischen Werke in der Hassani-Sprache, die als Inbegriff von Weisheit und Schönheit galten.
Eine besonders bemerkenswerte Episode seines Lebens, von der mir ein Kommilitone berichtete, war sein Eintritt in die mystische Welt, die nur wenigen Auserwählten zugänglich ist. In einem entscheidenden Moment seines Lebens soll er einen nahezu unmöglichen Weg eingeschlagen haben, einen Weg, der sein Leben und das seines Stammes grundlegend verändern würde. Laut der Überlieferung erschien ihm in einem Traum eine geheimnisvolle Stimme, die ihm von einem verborgenen Schatz berichtete. Dieser Schatz, so die Botschaft, würde das Schicksal seines gesamten Stammes verändern, wenn er ihn zu bergen vermochte.
Nach jenem Traum änderte der Scheich seine Ausrichtung und widmete sich mit großem Eifer den mystischen Zeichen und magischen Formeln, die er in alten Traditionen fand. Wie mir sein Verwandter berichtete, reiste er durch zahlreiche Städte und Dörfer, insbesondere in die Region Souss, um die Geheimnisse dieser verborgenen Kunst zu ergründen. Dort stieß er auf uralte, geheim gehaltene Traditionen und Kenntnisse, die nur wenigen Eingeweihten zugänglich waren und von denen er hoffte, dass sie ihm helfen würden, den verborgenen Schatz zu finden.
Sein Engagement brachte ihm außerordentlichen Erfolg ein - einen Erfolg, den viele seiner engsten Vertrauten miterlebt und anschließend weiterverbreitet hatten. Sie erzählten von seinen erstaunlichen Fähigkeiten und machten ihn zu einer Legende.
Über Mustapha Laghtiri
Übersetzung aus dem Arabischen