Flucht ohne Wiederkehr: Zwischen Angst und Freiheit - Im Labyrinth der verlorenen Seelen
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„Wie oft habe ich schon von der Liebe gesungen? Von den Männern, die süße Worte flüstern? Und nun… hier enthüllt mir die Nacht ihr wahres Antlitz, ihr hartes, ihr erbarmungsloses Gesicht.“
Sie seufzte, als ziehe sie ihre Seele aus einem tiefen Abgrund, und wischte schnell ihre Tränen weg, als fürchte sie, jemand könne sie sehen. Doch was nützt das Wischen? Die Wunde klafft noch immer, und die Nacht ist lang… so unendlich lang.
Plötzlich bemerkte sie Fahd, der sie durch das Fenster seines Büros zu sich winkte. Sie sollte hinaufkommen. Doch bevor sie sich in Bewegung setzte, verharrte sie einen Moment, als würde sie zögern, den Ort zu verlassen, der sie umgab. Ihr Blick verlor sich in den Grenzen des Raumes, in dem sie sich befand. Ihre Augen weiteten sich, und eine innere Stimme flüsterte ihr zu: „Wer bist du… und was treibt dich dazu, in dieser verfaulten Grube zu verharren? Kehre zu dir selbst zurück… Denn nichts und niemand hier vermag dir Flügel zu verleihen, um in den Himmel der Kunst zu entfliegen, wie du es ersehnst…“
Noch ehe sie die Worte in ihrem Inneren nachklingen lassen konnte, drang die raue Stimme eines Saalwächters an ihr Ohr: „Souad, Fahd verlangt nach dir. Sofort. Er wartet in seinem Büro.“
Gehorsam schlängelte sie sich durch das enge Gewirr der Tische, die den Weg zum Ausgang der Halle säumten. Ringsum wogte eine rastlose Menge, die in ständiger Bewegung war, mit den Körpern zu den volkstümlichen Klängen eines Musikers auf der Bühne schwankend. Kaum betrat er das Podium, stimmten die Gäste in seinen Gesang ein. Mädchen tanzten in anstößiger Weise, ihre Lippen formten Worte, die noch schändlicher waren als ihr Tun, lauthals hinausgeschrien und doch übertönt vom groben Gelächter der Männer, die sich im Rausch des Bieres und des Tanzes verloren.
Niemand nahm Notiz von ihr - weder von ihrem Kummer noch von ihrer bloßen Anwesenheit, nachdem ihre Stimme verstummt war. Hier war nicht ihr Platz. Der Taxifahrer hatte sie gewarnt… Er kannte diese Grube nur zu gut. Seine eigene Tochter war ihr zum Opfer gefallen, und niemand hatte sich um sie geschert.
Zu viele junge Mädchen hatten hier ihr Schicksal gefunden - eines nach dem anderen in die Fänge der Hyänen geraten, die ihre Körper zerfleischten, betäubt oder betrunken gemacht, wehrlos preisgegeben. Hyänen, die ihre Beute mit unfehlbarem Instinkt aufspürten… In einer Stadt, die ihre Denker verloren hatte, herrschten nun jene Raubtiere, die aus allen Himmelsrichtungen kamen. „Nichts tötet die Seele eines Menschen mehr als der falsche Ort und die falschen Menschen“, hatte Dostojewski einst gesagt. Und hier, inmitten dieser Dunkelheit, bewahrheitete sich sein Wort in grausamer Deutlichkeit.
Zwischen Sehnsucht und Verhängnis
Bevor Souad das Haus ihrer Tante im Viertel Burj Moulay Omar verließ, begegnete sie Fahd in der neuen Stadt, unweit des Marché Central. Sie war in Begleitung ihrer Freundinnen, mit denen sie durch die Straßen flanierte, nahe dem Kino Caméra, auf dem Weg zum Café Mauritania. Es war ihr tägliches Ritual nach Schulschluss - ein geselliger Austausch - über das Leben, die Jugend, die Lehrer, die neuesten türkischen und arabischen Serien sowie die letzten marokkanischen Filme. In ihren Gesprächen webten sie Träume von fernen Orten, dem Glanz der Luxushotels, von schwarzen Lamborghinis, Bugattis und Maybachs, Sinnbilder einer Existenz in Überfluss und Sorglosigkeit.
Inmitten dieses süßen Traumes, in den samtigen Schatten des Cafés Mauritania getaucht, sah Souad Fahd zum ersten Mal. Er stieg aus einem luxuriösen schwarzen Mercedes. In seinem Golfspielerkleid betrat er das Lokal, um, wie stets, seinen ungesüßten italienischen Kaffee zu genießen, bevor er sich in Richtung jenes Hotels begab, das unter seiner Leitung stand. Er setzte sich ihr gegenüber - Souad, die, umgeben von der Frische jugendlicher Ausgelassenheit, eine feminine Aura ausstrahlte, die den Raum erfüllte. Sie schenkte ihm ein Lächeln, und sein ganzes Gesicht antwortete mit einer Regung, die mehr als nur Freude war. Wie hätte er auch anders können? Vor ihm ein junges Mädchen, umgeben von Freundinnen, voller Farben, voller Leben, voller Verheißungen - all das, was in seinem eigenen Heim längst verblasst und verflogen war.
Souad zündete sich eine Zigarette an, doch bevor sie das Wort ergreifen konnte, zog Fahd mit geschmeidiger Bewegung ein goldenes Feuerzeug aus seiner Jackentasche und entflammte für sie eine Gauloises. Dann kehrte er zurück auf seinen Platz, orderte seinen Kaffee, seine Blicke unaufhörlich auf sie gerichtet. Etwas in ihr hatte das starre Eis seiner Männlichkeit durchbrochen, Hitze in seinen Adern entfacht, die Starre seiner Glieder gelöst. Sein Herz pochte in unregelmäßigen Schüben, während seine Augen über ihre schmale Silhouette wanderten.
Er löschte die Glut ihrer schwelenden Begegnung mit dem letzten Tropfen seines bitteren Kaffees. Doch bevor er ging, ließ er ihr seine Visitenkarte mit einer Nummer darauf zukommen. Als er sich zu ihr neigte, klang seine Stimme wie ein Kuss auf ihrer Haut: "Ruf mich an. Ich warte auf dich."
Dann verließ er hastig das Café, stieg in seinen Wagen und fuhr in Richtung des Lycée Lalla Amina, vorbei an der Präfektur von Meknès, bevor er schließlich in jenem Hotel einkehrte, in dessen Lounge er sich traditionell mit einem Glas Whisky für den Abend stärkte, bevor er in sein Büro zurückkehrte.
Im Schatten der Begierde
Es war ihr erstes Zusammentreffen - doch nicht ihr letztes. Bald schon sahen sie sich wieder, fernab vom Café Mauritania, ohne dass ihre Freundinnen etwas ahnten. Täglich, um Punkt vier Uhr nachmittags, trafen sie sich im Garten des Hotels. Anfangs war es Fahd, der sprach, und Souad, die zuhörte - eine geduldige Zuhörerin, fast wie eine Psychologin, unbestechlich in ihrem Schweigen. Er klagte über seine Ehe, über den Schmerz, den er empfand, sobald er das Haus betrat. Er erzählte von den Morgen, an denen er in Eile das Haus verließ, unfähig, auch nur eine Tasse Kaffee zu sich zu nehmen. Seine Tage bestanden aus dem Wechsel zwischen dem Hotel seines Schwiegervaters, dem Café, seinem eigenen Hotel und dem Cabaret, das sie „die Grube“ nannten. Er offenbarte ihr alles - und sie ließ ihn sprechen. Keine einzige Unterbrechung in all den Treffen. Sie öffnete ihm ihr Ohr, und er legte sein Innerstes in ihre Hände. Wenn seine Erzählungen verstummten, brachte er sie zurück zum Haus ihrer Tante und begab sich wieder an die Fronten seiner Welt - zurück zu den Trinkern, den Krawallmachern, zu jenen, die die Sprache der Gewalt liebten.
Zwei Monate vergingen, bevor er sie in sein Büro im Hotel führte. Dort, in jenem Raum zwischen vier Wänden, überließ sie ihm ihren Körper und ihre Seele, gab sich hin der unstillbaren Begierde, die beide seit jenem ersten Blick umfangen hatte.
War es ein Fehler gewesen, als sie ihn bat, ihre Zigarette anzuzünden? Oder war es schlicht der Moment, in dem sie sich selbst entfesselte - entkam aus den Fängen jenes Ehemannes ihrer Tante, der ihr im Haus nachstellte? War ihr Vergehen, dass sie sich so rasch in Fahds Arme stürzte, weil sie glaubte, auch er sei ein Opfer der Liebe?
Am Abgrund der Liebe
Hier war sie nun, wanderte durch das Tal ihrer Fehler, rannte atemlos, getrieben von Fahds Ruf. Ohne zu zögern stieg sie hinauf in sein Reich, ohne einen Gedanken an ihr Schicksal zu verschwenden. Mit gesenktem Haupt betrat sie sein Büro, schlich sich an ihn heran und schmiegte sich an ihn. Leise, mit einem Hauch von Verführung, flüsterte sie in sein Ohr: „Was beschäftigt dich? Du wirkst bedrückt…“
Er unterbrach sie, seine Stimme von Trauer und Erschöpfung durchtränkt: „Ich will nicht nach Hause zurück. Ich habe ihre dummen Fragen satt. Ich kann nicht mehr neben ihr schlafen. Schon der bloße Gedanke daran erstickt mich, treibt mich in die Flucht. Wie oft habe ich daran gedacht, sie zu verlassen, mich von ihr, ihrem Vater, dem Hotel und dem Cabaret loszusagen! Ich wollte mein Zuhause, meine Kinder, mein Leben hinter mir lassen, irgendwo fernab von allem neu beginnen. Doch ich habe es nicht getan. Mir fehlte der Mut. Ich war ein Feigling. Ich bin es noch immer… ein Feigling.“
Er griff nach der Whiskyflasche, füllte ein Glas und stellte es auf den Tisch. Er sah sie an, als hätte er ihre Gedanken gelesen, nahm das Glas, trank es in einem Zug leer. Dann legte er seine rechte Hand an die Schläfe, als wolle er einen aufkommenden Schmerz vertreiben, reichte ihr das leere Glas und erhob sich aus seinem ledernen Sessel. Langsam schritt er zur Tür, hielt inne und blickte durch die große Glaswand hinunter in die Cabaret-Halle, deren Wände unter den dröhnenden Rhythmen der Golfmusik bebten, wandte sich um. „Zwei Stunden noch, bis alle gegangen sind. Geh zurück in die Halle, schenk allen dein Lächeln. Danach werden wir sehen, was geschieht…“
Sie verließ den Raum, ohne ein Wort zu sagen. Ein Blick des Flehens lag in ihren Augen, als wollte sie ihn fragen: Und was nun? Doch Fahd kehrte zurück an seinen Schreibtisch, zog eine kleine Hülle hervor, nahm eine großzügige Dosis heraus und legte sie auf die Glasplatte seines Tisches. Mit seiner goldenen Bankkarte teilte er das Pulver in drei exakt gleiche Linien, dann senkte er den Kopf und ließ seinem Atem freien Lauf, um sie nacheinander mechanisch einzusaugen - unter den wachsamen Blicken von Souad, die sich auf die Lippen biss, sich umdrehte und ihn zurückließ, wie er auf seinem Ledersessel versank, fortgetragen von einem Teppich aus Halluzinationen, der ihn mit der Geschwindigkeit des Windes in die sieben Himmel trug.
Minutenlang blieb er zwischen zwei Welten gefangen, unfähig zu bestimmen, wohin er gehörte: War er noch in der Hölle seines realen Lebens, gefesselt an eine Frau, die ihn seiner geringsten männlichen Würde beraubt hatte? Oder war er bereits in das Paradies des Todes eingetreten, als ein Körper, der nicht länger dem Menschsein angehörte, sondern einer anderen, fremdartigen Spezies?
Nun aber war er in einer tiefen Bewusstlosigkeit gefangen, nachdem er sich erneut eine große Dosis des Kristallpulvers zugeführt hatte. Mit jeder weiteren Linie, die er durch seine Nase zog, sammelten sich die Wolken über ihm, ballten sich zusammen, zuckten mit Blitzen, die ihn von innen erschütterten. Er fühlte, wie der Regen auf ihn niederprasselte, doch es war kein sanfter Regen - es war, als träfen ihn glühende Steine, die seinen Körper erbeben ließen, bis er sich zusammenkrümmte wie ein ausgedientes, zerschlissenes Tuch.
Fortsetzung folgt!
Über Driss Roukhe
Übersetzng aus dem Arabischen
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