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Marokkos Anspruch auf die Westsahara - Das Problem der Kolonialgrenzen

Seite 6 von 7: Das Problem der Kolonialgrenzen

Das Problem der Kolonialgrenzen

Noch weniger durchschlagend ist das letzte hier zu erwähnende Argument der Polisario, das an den Begriff “Unverletzlichkeit der Kolonialgrenzen” anknüpft.

In der Charta der Organisation der afrikanischen Staaten (OAU) von 1963 ist ein Prinzip verankert, dass schon früher auf die zwischenstaatlichen Beziehungen der Länder Südamerikas angewandt wurde und dort als “Utipossidetis-Doktrin” bezeichnet wurde. Es bedeutet, dass die afrikanischen Staaten untereinander diejenigen Grenzen respektieren sollen, die von den europäischen Kolonialmächten in den betreffenden Gebieten gezogen wurden und Geltung hatten. Abgesehen davon, dass Marokko seinerzeit einen (völkerrechtlich zulässigen und von den übrigen Vertragsstaaten stillschweigend anerkannten) Rechtsvorbehalt gegen diese Klausel der OAU eingelegt hatte, ist das Prinzip auch praktisch kaum beherzigt und angewandt worden. Auseinandersetzungen und sogar Kriege um die “überkommenen” Grenzen wurden geführt zwischen Libyen und Tschad. Äthiopien und Kenia, Mali und Mauretanien, Mali und Burkina Faso (früher Obervolta), Ruanda und Burundi, Tansania und Malawi, Niger und Benin. Die Binnenstaaten Swasiland und Lesotho erstreben Zugänge zum Indischen Ozean im Wege von Landkorridoren durch die Republik Südafrika, Zaire möchte zwecks Verbreiterung seiner Meeresgrenze den angolanischen Cabinda-Zipfel gewinnen, und Somalia beansprucht die äthiopische Südprovinz Ogaden, die zwar von Somalis bewohnt wird, aber selbst zur Zeit der italienischen Herrschaft nie zur “Kolonie Somaliland” gehört hatte. Die politische Landkarte Afrikas sieht heute schon wesentlich anders aus als zu der Zeit, in der die europäischen Kolonialmächte den Kontinent verließen und die heutigen Staaten ihre Unabhängigkeit gewannen.

Juristisch betrachtet, dürfte die OAU-Klausel auf den westsaharischen Konflikt ohnehin nicht anwendbar sein. Denn sie bezieht sich ausschließlich auf die Grenzen zwischen bestehenden (!) Staaten, deren territoriale Integrität auf dem bisherigen Gebiet ja bewahrt bleiben sollte. Die Klausel verbietet aber keineswegs die Rückgliederung eines nichtstaatlichen Territoriums in einen Staat, dem es früher - unterbrochen durch koloniale Abhängigkeitangehört hat. Es läßt sich im Gegenteil die Auffassung vertreten, dass der Anschluss der Westsahara an Marokko gerade durch die Grenzklausel gerechtfertigt wird. Denn es wird damit ein Staat exakt in den Grenzen, die ihm durch Kolonisierung abhanden gekommen waren, wiederhergestellt - womit eine Grenzverletzungeben nicht “begangen”, sondern umgekehrt “geheilt” würde.

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