Reisebericht: 2 Wochen Essaouira - Weiter geht es nach Essaouira
Mittwoch:
Mulay: ca. 15 km nördlich von Essaouira. Zu erreichen über einen nicht geteerten aber für PKW noch passierbaren Weg, der von der Küstenstraße abbiegt. Sehr schöner Strand mit ein paar Bauten die sich zu einem Dorf zusammenschließen. Hier kann man zu sehr niedrigen Preisen alles aus Schafswolle kaufen, was in Essaouira das Doppelte und Dreifache kostet. Neben Mützen bietet die Einheimischen vor allem Pullover und Korbwaren an.
Wellenreiten macht nur bei Flut Sinn, da der Weg ins Wasser sonst steinig wird und auch der Brake dann einen sehr steinigen Untergrund hat -bei Ebbe also nur etwas für Könner mit Schuhen :-) Im Dorf gibt es einen kleinen Surfershop und 1-2 Kaffees. Für uns war es interessant die Einheimischen beim Tintenfischangeln zu beobachten. Die Ebbe hinterlässt Flutpfützen auf dem steinigen Untergrund, in dem sich die Tintenfische verstecken. Einer wird gefangen und auf einen Holzstock mit Haken aufgespießt. Danach wird er wieder in die Pfütze gehalten, die Artgenossen stürzen sich auf ihn und schon hat man zwei, drei, vier... Für mich alles ein Bisschen zu grausam aber so ist der Mensch: ein Fleischfresser eben und ich gehöre dazu.
Donnerstag:
Wir schlafen sehr lange und verbringen den Rest des Tages in der Medina von Essaouira. Dank eines Arabers namens Abdi in unserem Alter bekommen wir eine kostenlose Hafenführung, bei der wir nicht nur den Fischmarkt, sondern auch den Fischereibetrieb im Detail erklärt bekommen. Sehr interessant ist auch der Bau von neuen Schiffen sowie die römischen Anlagen auf der Insel vor Essaouira auf der früher Purpurfärbereien standen, die später zu einem Gefängnis umfunktioniert wurden. In der Medina gibt es für uns sehr viel Neues zu entdecken, zumal wir noch nie eine arabische Medina besucht haben. Neben den klassischen Lampen, Teppichen und Holzsouvenirs besuchen wir auch das Geschäft eines Malers, der sich inzwischen über Essaouira hinaus einen Namen gemacht hat. Er zeigt uns Fotos von seiner Ausstellung in Casablanca und wir diskutieren mit ihm über die Motive seiner Bilder. Er malt überwiegend arabischen Buchstaben und Worte, die er mit der Zeichensprache der Berber zu Gemälden vermischt. Ich muss lachen, weil er auch ein Bild mit dem arabischen Alphabet anbietet und ich mir vorzustellen versuche, welcher Araber so ein Bild wohl kauft. Als ich ihm das sage, erklärt er mir, dass es vor allem Franzosen und Ausländer kaufen, die gerne Arabisch lernen vollen, aber auch arabische Eltern, die es ihren Kindern schenken. Alles in allem verbringen wir über 12 Stunden in den Gassen und Gässchen der Medina, sprechen viel mit den Einheimischen und Händlern und kaufen schließlich einen sehr schönen Spiegel aus Kamelgebein und Messing. Besondere Freude bereitet mir ein Spitzname, den mir mit der Zeit viele Händler geben: Le Berbe Czeche! Natürlich werden wir trotzdem übers Ohr gehauen aber abgesehen von ein paar Ausnahmen zahlen wir für das meiste keine allzu überzogenen Preise. Zumindest bemerke ich dass viele Araber den selben Preis bezahlen wie ich, wenn sie denn ein Souvenir kaufen. Auch bekommen wir mit der Zeit immer realistischere Preise genannt, statt des klassische "Hello my frient", "good price for you and good price for me" und "tell me your price". Irgendwie hat man zum Schluss auf jeden Fall das Gefühl, dass das Handeln nur für Touris erfunden wurde. Auf der anderen Seite sind wir selbst wohl aber auch eine Kuriosität, da sich Tschechen nicht allzu oft nach Marokko bzw. speziell Essaouira zu verirren scheinen. Später am Abend werden wir dann noch von einem Gewürzhändler in den Bann gezogen, der uns alle möglichen Kräuter gegen alle möglichen Wehwehchen anbietet. Er ist es dann auch, der meiner Freundin beim gemeinsamen Foto (auf dem er bestanden hat) an den Hintern geht, sich aber dann brüskiert zurück zieht nach dem wir ihn darum höflichst bitten. Wenigstens macht er dann zur Entschuldigung noch ein paar Geschenke locker mit denen er sich ein wenig für seine Dreistigkeit entschuldigt. ...
Nach über 12 Stunden Medina-Besichtigung macht sich unser Magen mit einem lauten Knurren bemerkbar. Auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen landen wir schließlich auf der Dachterrasse einer Pizzeria im Zentrum der Medina. In dieser europäischen Oase (was für ein Widerspruch) finden wir nicht nur sehr leckeres Essen (Mozzarella-Tomaten-Salat, Pizza a la Carte und sehr guten marokkanischen Wein) sondern vor allem auch endlich ein Bisschen Ruhe für uns selbst. Obwohl das Essen für 2 Personen mit 30 Euro zu Buche schlägt, bereuen wir keinen Cent, denn Ruhe und Privatsphäre scheint mit das teuerste Gut in Marokko zu sein. Denn egal wo wir uns zuvor niedergelassen haben, es ist praktisch unmöglich nicht mit einem der (netten!) Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Obwohl wir während des ganzen Urlaubs gerade von dieser Kontaktfreudigkeit der Marokkaner profitieren (die besten Ausflugtipps, die schönsten und interessantesten Plätze haben wir nur Dank der Einheimischen gefunden) sind wir nun froh unsere Eindrücke selbst reflektieren zu können. Interessant aber auch hier wieder der Gegensatz zwischen Arabischer und Europäischer Welt: der Besitzer und vermutlich gleichzeitig auch Koch des Restaurants ist allem Anschein nach Franzose. Er kümmert sich um die Bestellung, seine marokkanische Frau bedient und räumt die Tische ab. Beide sind ausgesprochen freundlich und die Frau lächelt den ganzen Abend, obwohl sie kein Wort französisch zu sprechen scheint oder es nicht will. Das Restaurant ist äußerst gemütlich, lediglich die niedrigen Tische und die ungemütlichen Mc Donald-Stühle trüben ein wenig die Heimeligkeit. Zum Schluss kaufen wir noch eine weitere Flasche des marokkanischen Weins für unsere Weinsammlung zu Hause, den wir sogar 2 Euro günstiger als auf der Karte bekommen. Leicht beschwipst aber zufrieden machen wir uns auf den Heimweg entlang der Stadtmauer. Als wir ein Bisschen neugierig in einen Schuppen in der Stadtmauer gehen, werden wir sofort hineingebeten und bekommen zum Schluss des Abends noch gezeigt, wie in Marokko Teppiche gewebt werden. Die beiden jungen Marokkaner sind wieder äußerst zuvorkommend und lassen es sich nicht nehmen auf alle Tourifragen ausgiebig Auskunft zu geben. Unter anderem erfahren wir, dass man für einen Sofaüberzug ca. 6 Stunden weben muss.
Freitag:
Obwohl dieser Tag wieder mit einem ausgiebigen Mittagsfrühstück und in bester Laune seinen Anfang nimmt, soll er zu einem der traurigsten in meinem Leben werden. Wir fahren mit dem Auto entlang der Küste Richtung Norden, weil uns dort Abdi aus dem Hafen in Essaouira einen sehr schönen Strand empfohlen hat. Ca. 15 km hinter Mulay finden wir tatsächlich eine Abzweigung hinunter ans Meer, die sich mit unserem Uno gerade noch bewältigen lässt. Ein paar Mal müssen wir aussteigen damit wir mit dem Auto nicht aufsetzen und auch Schieben ist angesagt, nach dem wir ein paar Mal im Sand stecken bleiben. Die Mühe scheint sich aber zu lohnen, denn nach ca. 20 Minuten erreichen wir einen Strand, wie ihn sich die Werbung nicht hätten besser ausdenken können: ein riesiger Sandstrand mündet in einer kleinen Bucht mit vorgelagerten Felsen, zur unserer Rechten ein paar Häuser auf einem Felsplateau, danach beginnt eine felsige Küstenlinie. In der Bucht haben Fischer ihre kleinen hölzernen Boote auf den feinen Sand gezogen und Kinder spielen Fußball. Voller Vorfreude packen wir unsere Strand- und Surfsachen unter den Arm und machen uns auf die Suche nach einer schönen Liegestelle auf den Weg. Plötzlich sammeln sich die Kinder um eine am Boden liegende Gestalt und auch aus dem Häuser laufen immer mehr Menschen zusammen. Jemand hebt und senkt die Arme der am Boden liegenden Gestalt aber da wir nicht wissen was passiert ist und ja bereits viele Menschen dort sind, wollen wir uns nicht einmischen. Wir sind schon vorbei, als mich plötzlich ein ca. 40-jähriger Mann mit einem leblosen Körper über die Schulter überholt. Auf mein Nachfragen wo er denn hinläuft und was passiert sei, ruft er mir nur "une voiture - je cherche un voiture" zu und läuft weiter auf den Strand hinaus -scheinbar ins Nichts. Der leblose Körper in seinem Arm ist ein kleiner Junge, vielleicht 8,10 oder 12 Jahre alt und ich bitte ihn den Jungen auf den nassen Sand zu legen. Er atmet nicht, kein Puls und nach dem ich ihm den Mund ausgeräumt und den Kopf überstreckt habe, beginne ich mit Wiederbelebungsversuchen. Erfolglos. Er ist entweder ertrunken oder an seinem Erbrochenem erstickt und uns packt Wut und Trauer zugleich: Erste Hilfe? Fehlanzeige -kennt hier niemand. Rettungswagen? Fehlanzeige. Krankenhaus? Fehlanzeige - 63% der marokkanischen Bevölkerung leben nicht in der unmittelbaren Erreichbarkeit medizinischer Hilfe. Der Junge stirbt und ich zweifle bis heute, ob ich ihn nicht hätte länger wiederbeleben sollen. Hier in Deutschland haben wir gelernt: Wiederbelebungsversuch werden bis zum Eintreffen des Arztes fortgesetzt. Nur ein Arzt kann entscheiden, wann mit den Rettungsmaßnahmen aufgehört wird. Vermutlich wäre ich dann noch heute an diesem Strand. Genauso traurig: ich habe weder gesehen, wie der Junge aus dem Wasser gezogen wurde, was genau passiert ist und wie lange der Atemstillstand schon eingesetzt hatte, bevor ich mir seiner Notlage bewusst wurde.
Ich weiß nicht was danach passiert ist, denn wir wurden von allen nur angestarrt und haben recht schnell unsere Sachen gepackt und sind gefahren. Autos gab es vor Ort genug aber ich glaube nicht, dass man noch irgendetwas für den Jungen tun konnte. Mein letzter Eindruck von diesem Strand war der Vater des Jungen, der hilflos und traurig aufs Meer starrt.