Marrakesch, einzigartige Melodien der Sehnsüchte und Hoffnungen - Das Bild müsse ein Orientalisches Bild ersetzt werden
Das "Piment" ist ein kleines, aber sehr elegantes und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnetes Restaurant. Nur einige dezent positionierte maurische Spiegel erinnern an den orientalischen Hintergrund; auch das Publikum an diesem Abend war alles andere als orientalisch.
An dem einen Nachbartisch saßen zwei französisch sprechende ältere Damen, an einem anderen zwei gutaussehende Herren in feinem Zwirn, die offenbar über die großen Angelegenheiten dieser Welt diskutierten.
Als ich die Speisekarte öffnete und begann die Speisen zu lesen, fielen meine Augen sofort auf eine Hauptspeise: "Pastilla Praline mit Ente". Nicht nur, dass ich erst vor Kurzem nicht im Entferntesten daran gedacht hätte, dass Pastilla auch mit Fisch wunderbar schmecken kann, nun auch das noch: Pastilla mit meiner Lieblingsfleischsorte: Ente.
Also bestellte ich diese und war beeindruckt von der Komposition des Tellers. Die Pastilla, die gewöhnlich in Form einer großen, runden Torte gebacken wird, war hier in eine kleine Rolle verwandelt worden, der eine klassische Bauernentenkeule mit Rotkohl beigegeben war. Diese Speise war wunderbar; meine Zunge tanzte regelrecht von Biss zu Biss.
Noch während der ganzen Rückreise mit der Bahn war ich von der Zusammenstellung der Speisen und Gerichte Nouris beeindruckt. Die Küche war nicht marokkanisch, nicht orientalisch; sie hatte vielmehr ihren Grundton in der globalen Ferne. Alle Kulturen und Küchen waren vereint, die beim ersten Blick nicht passen konnten, aber beim Geschmack einen sofort überzeugten. Die Küche war als "crossover" zu bezeichnen – dieser Terminus beschreibt, dass alle Kochkulturen berührt wurden. Ich spürte aber eine Sehnsucht nach seiner Heimat Marokko, die wohl auch er nie selber kennengelernt hatte und die er nun in seinen Gerichten zum Ausdruck brachte.
Auf dem mit Liebe angerichteten Teller kamen Speisen zusammen, die ursprünglich bestimmt waren, die einzige Hauptrolle eines Mahls zu spielen und auf den ersten Blick nicht zusammenpassten. Beim Kosten gewahrte man aber schnell, dass das "neue" Aufeinandertreffen neue Fantasien provozierte und eine neue Harmonie bildete. Dennoch gaben sie am Gaumen ihre geschmackliche Selbständigkeit nicht auf; der ihnen eigene Geschmack blieb stets erhalten.
Zu Hause spät angekommen, schaute ich auf die Wand meiner neuen, weiß und sehr modern eingerichteten Wohnung. Ein Bild von New York bildete das optische Zentrum über dem großen Sofa. Dieses Bild schenkte mir einer meiner besten Freunde – Sigma, der teils in New York, teils in Berlin lebt und der die Freiheit und Unverbindlichkeit in Amerika und die Geborgenheit in und um sein Haus im kleinbürgerlichen Stadtteil Hermsdorf im Norden Berlins so liebt.
Ich schaute etwas müde, aber wach genug auf das Bild und fühlte, dass das nicht das richtige Bild für mein Zimmer sei. So wie beim Pastilla-Ente-Gericht empfand ich, dass ich das Bild durch etwas Orientalisches zu ersetzen habe.
Am nächsten Tag erzählte ich Khalid von meiner kulinarischen Erfahrung in Hamburg und dass ich ein orientalisches Bild für meine Wohnung suchte. Khalid sagte, er würde mir ein Bild besorgen.
Etwa eine Woche später erhielt ich einen Anruf von Khalid: "Das Bild ist da!" Ich fuhr umgehend hin und konnte meinen Augen nicht trauen. Das Bild zeigte einen Blick auf den Markt Djemaa el Fna. Man schaut hindurch zwischen zwei Orangenverkäufer- Wagen, die an ältere englische Pferdekutschen erinnern und an denen frisch gepresster Orangensaft zu kaufen ist. Im Hintergrund erkennt man andere Verkaufsstände des Djemaa el Fna, zum Beispiel einen Dattel-und-Nuss-Verkäufer und weiter dahinter eine der Moscheen am Platz. Der Marktplatz ist nicht voll, es scheint Spätnachmittag zu sein, wenn die Vorbereitungen für das Abendfinale beginnen. Das Bild schien mir so vertraut, als ob ich diesen Blick auf den Markt schon seit Jahren in meinem Herzen getragen hätte.
Etwas Besonderes an dem Bild ist auch, dass es sich dem Licht in der Wohnung anzupassen scheint. Abends hat man das Gefühl, es sei neunzehn Uhr; morgens kommt es mir vor wie acht Uhr.
Ich war bereits einige Male, aber nicht oft genug in Marrakesch. Von Anfang an war ich von dieser Stadt berührt; die Liebe zu ihr scheint aber erst jetzt zu entstehen oder mir bewusst zu werden. Städte sind wahrscheinlich nicht anders als ihre Menschen; manchmal muss man sie mehrfach treffen, um sich wirklich zu verlieben und sich dieser Liebe bewusst zu werden.
So beschrieb es der arabische Philosoph Khalil Gibran:
Wenn die Liebe dir winkt, folge ihr, sind ihre Wege auch schwer und steil.
Und wenn ihre Flügel dich umhüllen, gib dich ihr hin,
auch wenn das unterm Gefieder versteckte Schwert dich verwunden kann.
Und wenn sie zu dir spricht, glaube an sie,
auch wenn ihre Stimme deine Träume zerschmettern kann,
wie der Nordwind den Garten verwüstet.
Denn so, wie die Liebe dich krönt, kreuzigt sie dich.
So wie sie dich wachsen lässt, beschneidet sie dich.
So wie sie emporsteigt zu deinen Höhen
und die zartesten Zweige liebkost, die in der Sonne zittern,
steigt sie hinab zu deinen Wurzeln
und erschüttert sie in ihrer Erdgebundenheit.
Wie Korngarben sammelt sie dich um sich.
Sie drischt dich, um dich nackt zu machen.
Sie siebt dich, um dich von deiner Spreu zu befreien.
Sie mahlt dich, bis du weiß bist.
Sie knetet dich, bis du geschmeidig bist;
und dann weiht sie dich ihrem heiligen Feuer,
damit du heiliges Brot wirst für Gottes heiliges Mahl.
All dies wird die Liebe mit dir machen,
damit du die Geheimnisse deines Herzens kennenlernst
und in diesem Wissen ein Teil vom Herzen des Lebens wirst.
Aber wenn du in deiner Angst nur die Ruhe und die Lust der Liebe suchst,
dann ist es besser für dich, deine Nacktheit zu bedecken
und vom Dreschboden der Liebe zu gehen.
In die Welt ohne Jahreszeiten,
wo du lachen wirst, aber nicht dein ganzes Lachen,
und weinen, aber nicht all deine Tränen.
Liebe gibt nichts als sich selbst und nimmt nichts als von sich selbst.
Liebe besitzt nicht, noch lässt sie sich besitzen;
denn die Liebe genügt der Liebe.
Und glaube nicht, du kannst den Lauf der Liebe lenken,
denn die Liebe, wenn sie dich für würdig hält, lenkt deinen Lauf.
Liebe hat keinen anderen Wunsch, als sich zu erfüllen.
Aber wenn du liebst und Wünsche haben musst, sollst du dir dies wünschen:
zu schmelzen und wie ein plätschernder Bach zu sein,
der seine Melodie der Nacht singt.
Den Schmerz allzu vieler Zärtlichkeit zu kennen.
Vom eigenen Verstehen der Liebe verwundet zu sein;
und willig und freudig zu bluten.
Bei der Morgenröte
mit beflügeltem Herzen zu erwachen
und für einen weiteren Tag des Liebens dankzusagen;
Zur Mittagszeit zu ruhen
und über die Verzückung der Liebe nachzusinnen;
Am Abend mit Dankbarkeit heimzukehren;
und dann einzuschlafen
mit einem Gebet für den Geliebten im Herzen
und einem Lobgesang auf den Lippen.
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