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Zimt auf deiner Haut - Kapitel 3 und 4: FANTASIA

Seite 2 von 3: Kapitel 3 und 4: FANTASIA

 

Kapitel 3 und 4: FANTASIA

Karimas Mutter öffnete die Tagespost und nahm sich zuerst eines aus Seidenpapier gefalteten besonderen Umschlags an. Sehr vorsichtig zog sie die gebleichte Papyrusseite heraus und las aufmerksam und voller Neugier den mit blauer Tinte geschriebenen Text.

Wir, Chérif Khaled El-Raisuli geben uns die Ehre,

Herrn und Frau Neumann mit Tochter Karima

zur großen Fantasia

anlässlich unseres

50. Geburtstages einzuladen.

Auf einem zweiten Blatt waren weitere Angaben über diese Reiterspiele aufgeführt, so auch dass diese Einladung zugleich als Laissez-passer für die Ehrentribüne und dort für die Ehrenplätze 6 bis 8 galt, dass die Gäste abgeholt und wieder zurückgebracht würden. Sie las die Einladung noch mal durch, wunderte sich über den vom Einladenden gewählten Pluralis Majestatis und verspürte eine keimende Neugier.

Am Abend zeigte sie die Einladung ihrem Mann, der kleinlaut zugeben musste, ihr von der vorangegangenen telefonischen Ankündigung und Anfrage nichts gesagt zu haben. Er ginge davon aus, dass der ihm unbekannte Gastgeber, der in Marrakesch einen ehrbaren Ruf genieße und der Quarz-Magnat Marokkos sein soll, sicherlich in geschäftliche Beziehungen mit ihm treten wolle.

Als es so weit war, stand Karima in einem enganliegenden weißen Overall mit blauem Gürtel und gleichblauem Halstuch, die Augenlieder ausschließlich mit dunkelblauem Kajal geschminkt parat. Auch ihre Eltern hatten sich in Schale geschmissen. Es klingelte und auf der Straße stand ein schwarzer auf Hochglanz polierter Hummer H2. Der Fahrer in einem schwarzen Anzug stand neben der hinteren Tür und hielt diese offen. »Einladender geht es nicht!«, dachte Karima und frönte dem weiteren Geschehen.

Schon vom Weiten sahen sie, dass diese Veranstaltung sicherlich das mondänste gesellschaftliche Ereignis des Monats sein wird. Alles, was Rang und Namen in der Politik, Armee, Verwaltung und der Wirtschaft hat oder hatte, war zugegen. Karimas Eltern kannten viele der Gäste, was der allgemeinen Stimmung gleich die Anspannung nahm. Die meisten Freunde und Bekannte konnten ihr Staunen über die Entwicklung Karimas nicht verbergen, stand sie ja auch als Augenweide mitten unter ihnen. Ein auffällig gut gekleideter Araber kam auf sie zu und fragte, ob sie die Familie Neumann seien. Er sei der Generalsekretär von Chérif El-Raisuli und habe die Aufgabe, sie zu ihren Ehrenplätzen zu führen. Viele der anderen herumstehenden Gäste bekamen diese nur den Neumanns gezollte Aufmerksamkeit mit und waren ein wenig irritiert. An der von unzähligen Polizisten bewachten Tribüne angekommen verbeugte sich der Generalsekretär vor den Neumanns und teilte ihnen einen Butler zu.

»Dieser Butler steht ausschließlich zu Ihren Diensten. Bitte teilen Sie ihm Ihre Wünsche mit. Chérif El-Raisuli führt gegenwärtig ein wichtiges Gespräch und bittet Sie, seine Entschuldigung, Sie nicht persönlich begrüßen zu können, anzunehmen.«

Karima schaute sich um und entdeckte in der Mitte der Tribüne offenbar den Mann, der auch sie eingeladen hatte, stand sie doch expressis verbis auf der Einladung. Ein Schauer lief ihr den Rücken runter. Der erste Anblick dieses imposanten Mannes wirkte auf sie wie ein Magnet, der ihre Augen auf diesen Mann zu fixieren schien. Chérif El-Raisuli war ein hochgewachsener, schlanker Mann, mit schwarz-grau meliertem Haar, das asketisch gezeichnete Gesicht zeugte von Gesundheit, Kraft und Energie. Er war in einem intensiven Gespräch mit drei weiteren Männern, die überwiegend ihm aufmerksam zuhörten und sich immer wieder vor ihm sehr dezent verbeugten. Es geschah, was Karima nicht wollte: Ihre Blicke kreuzten sich.

Chérif El-Raisuli sprach auf seine Gesprächspartner ein, die sich mit einer tiefen Verbeugung von ihm entfernten. Er ging zwar direkt auf Karima zu, wandte sich aber zunächst an ihre Eltern, die er auf Französisch ansprach.

»Ich freue mich sehr, dass Sie Zeit gefunden haben und mit mir zusammen die Freuden des heutigen Tages verbringen wollen.«

»Chérif El-Raisuli, wir bedanken uns für die Einladung und freuen uns, mit Ihnen diesen Tag mit all den zu erwartenden Freuden verbringen zu können. Schon jetzt verspricht der Tag, unvergesslich zu werden.«, antwortete Herr Neumann respektvoll, wusste er doch noch nicht, wie er sowohl die ganze Situation als auch die Macht dieses Mannes einzuordnen hatte.

»Darf ich Ihnen meine Tochter Karima vorstellen? Sie ist seit kurzer Zeit wieder im Lande, nach ihrem Studium der Geologie, das sie jetzt abgeschlossen hat.«

»Wo hat sie denn studiert?«

»In Deutschland, an der Universität zu Köln.«

Karima spürte, wie ein Gefühl des Ärgers anfing, sich in ihrem Gemüt breitzumachen. Wieso sah dieser Mann sie nicht an und vor allen Dingen, wieso sprach er sie nicht direkt an und fragte sie nicht persönlich. Erst viel später sollte sie erfahren, dass sein Verhalten Methode hatte: Um das unbegrenzte Interesse einer Frau zu gewinnen, beachte sie zunächst nicht. Sie wird pikiert sein und alles tun, um die Aufmerksamkeit desjenigen, der sie nicht beachtet, auf sich zu lenken. Chérif El-Raisuli hatte mit dieser Gangart auch bei Karima Erfolg. Sie entschied sich, ihm imponieren zu wollen und mit sehr gepflegten Worten auf Arabisch seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sicherlich wird er nicht wissen, dass sie fließend Arabisch spricht. Sie nahm sich all den Mut, den sie aufbringen konnte, nahm Chérif El-Raisuli am Arm und sah ihm tief in die Augen.

»Ich habe mein Geologie-Studium mit „sehr gut“ abgeschlossen und darüber freue ich mich! Ich freue mich aber auch sehr, mit meinen Eltern von Ihnen eingeladen worden zu sein und Ihre Bekanntschaft machen zu können.«

Chérif El-Raisuli zeigte sehr deutlich seine Überraschung. Er war perplex, denn damit hatte er nicht gerechnet. Es gelang ihm aber noch, seine nicht mehr ganz beherrschbaren Gefühle zu verbergen.

»Sie sprechen ja meine Sprache und wie gewählt Sie sich ausdrücken, mein Fräulein!«, antwortete Chérif El-Raisuli auf Französisch. Er wusste nicht, ob die Neumanns ebenfalls Arabisch sprechen, und wollte keinen Fauxpas begehen und auf einer Sprache antworten, die die übrigen Gäste eventuell nicht verstehen oder derer sie nicht ganz mächtig sind.

Chérif El-Raisulis gewandter Generalsekretär unterbrach äußerst zurückhaltend die Unterhaltung und deutete an, dass das Fest eröffnet werden müsste. Chérif El-Raisuli entschuldige sich bei Karimas Eltern und dann passierte etwas, was es noch nie in der arabischen Gesellschaft gegeben hatte. Er reichte allein Karima, einer jungen Frau, seine Hand und sagte nur ihr zugewendet auf Arabisch:

»Sie haben sich gezeigt, wie Sie sind; oder Sie sind so, wie Sie sich zeigen! Sie sind ein aufrichtiger und wertvoller Mensch! Ich mag Sie immer mehr!«

Chérif El-Raisuli drückte nochmals spürbar, aber zärtlich Karimas Hand und entfernte sich. Karima wurde nachdenklich. Was meinte er mit „Ich mag Sie immer mehr“? Was bedeutete „immer mehr“? „Immer mehr“ im Vergleich zu was? Sie konnte die Fragen nicht beantworten. Die Reiterspiele – die FANTASIA begannen. An dem der Tribüne gegenüberliegenden Ende versammelten sich die Reiter auf ihren mit Arabisch-Vollbluthengsten veredelten Berberpferden. Zwar zeigten diese Pferde nicht die Schnelligkeit der reinen Araber-Pferde, aber die Kreuzung brachte Tiere mit auffälligerer Mähne und imposanterem Galopp hervor. Bei dieser FANTASIA wurde die in Marokko übliche Barouda gezeigt. Mehrere hundert Meter kommen die Reiter stürmend auf die Tribüne zu, und schießen mit ihren reichlich dekorierten Schwarzpulvergewehren aus vollem Galopp kurz vor Erreichen der Tribüne, vor der sie dann abrupt stoppen. Natürlich gab es auch Wertungen, Ergebnisse komplizierter Regeln. Herausragend empfanden die Gäste die Anzahl der Reiter. Es waren – unüblich – hier mehr als fünfhundert Reiter auf der Strecke. Das Bild von dieser enormen Horde, dieser Ansammlung der schönsten, feurigsten und elegantesten Pferde, gravierte sich in die Erinnerung aller Beteiligten, ob Reiter selbst oder Gäste.

Zwischen den zwei Baroudas zeigten die tanzenden Pferde ihr Können. In einer Reihe vor der Tribüne standen etwas mehr als fünfzig schwarze Hengste mit in Weiß gekleideten Reitern dicht an dicht und fast unbeweglich. Alles war still, die Pferde, die Reiter, die Gäste. Nur ab und zu war das Schnaufen eines Pferdes zu hören. Die Konzentration der Reiter und der Pferde nahm zu, als ein kleiner Wimpel gehisst wurde. Sodann folgte ein sehr kurzes schrilles Stimmkommando und alle Reiterpaare begannen gleichmäßig und im gleichen Schritt zu tanzen. Die Reiterpaare vollendeten in einer ersten Szene den Tanz in voller Übereinstimmung. Nach wenigen Minuten weitete sich die Reihe aus und jedes Paar vollzog eigene Tanzinterpretationen, ohne auch nur die Reihe aufzulösen. Dann plötzlich kam die Reihe in Bewegung, aber nur eine Pferdelänge vorwärts. Die Reihe stand still, wie vor Beginn des Tanzes. Es war das Ende dieser Vorführung. Betörend waren der Jubel der Gäste und das Geschrei der im Hintergrund stehenden Fantasia-Reiter.

Fast unbemerkt verließ Chérif El-Raisuli das noch rauschende Fest, denn Folklore und maurische Musik rundeten das soeben gesehene Spektakel ab. Die Neumanns konnten sich nur mit Mühe in der sich nun auflösenden Menschenmenge, die sich wieder zu kleinen und kleinsten Gruppen formierte, fortbewegen. Sie wollten sich einer Gruppe von guten Bekannten anschließen, die nicht in unmittelbarer Nähe zum Gastgeber Plätze erhalten hatten. Karima bemerkte, dass der ihnen zugewiesene persönliche Butler ihnen folgte, auf Schritt und Tritt, ohne sie auch nur ansatzweise zu bedrängen. Sie drehte sich um und rief dem Butler zu, dass sie seine Dienste nicht mehr benötigten. Der Butler verbeugte sich und war wie vom Erdboden verschwunden. Abends, beim Abendbrot, fragte Karima insbesondere ihrem Vater Löcher in den Bauch. Woher er denn Chérif El-Raisuli kenne, wieso sie eingeladen worden waren, wieso auch sie persönlich auf der Einladungskarte erwähnt wurde, wo er denn wohne, was er denn beruflich genau mache.

Karimas Vater beantwortete so gut wie möglich alle Fragen, die Antworten interessierten auch Karimas Mutter sehr. Er kannte vom Hörensagen diesen Mann, wusste aber nur wenig über ihn. Das Ereignis des Tages fand erst Ruhe, als sie alle übermüdet ins Bett fielen.

Für Karima war es reiner Zufall, für Chérif El-Raisuli mehr eine Fügung des Schicksals, als sie sich in der Altstadt wiedersahen. Karima wollte sich nach einem Wandteppich umschauen, den sie ihrer Mutter schenken wollte. Sie traf Chérif El-Raisuli in einem Basar. Er selbst suchte nach Teppichen in Übergröße. Beide freuten sich über das Wiedersehen und begrüßten sich so herzlich, als ob sie sich schon einige Zeit gut kennen würden.

Der Basarchef lud beide zu einem Tee ein und servierte dazu in Zimt gebadete geschälte Orangenscheiben. Sie saßen in einem gewaltigen Nebenraum, in dem die farbenfrohen Teppiche von den Wänden hingen. Sie waren allein und unterhielten sich über arabische und europäische Kunst und die Weltreligionen und deren Miteinander. Sie fühlte sich in seiner Gegenwart sehr wohl und genoss die Aufmerksamkeit, die er ihr schenkte. Er wollte viel von ihr wissen, wie sie allgemein über die Dinge des Lebens denkt, wie sie sich als Deutsche in Marokko fühlt und wie sie ihr weiteres Leben gestalten will. Sie erzählte ihm alle ihre Absichten für die nächste Zeit. Sie war ein wenig irritiert, als sie merkte, dass er sich über ihre Entscheidung, in den nächsten zwei Monaten nicht nach Deutschland zurückzukehren, erfreute.

Karima wurden die schönsten Wandteppiche gezeigt. Der Basarchef ließ auch noch aus dem naheliegenden Lager mehrere Prachtexemplare holen. Vor dieser Auswahl musste sie scheitern. Aber ein Basarchef, der einen Kunden hinausgehen lässt, ohne dass dieser etwas gekauft hat, ist kein guter Basarchef. Daher vereinbarte er mit Karima, dass er ihr morgen gleich mehrere Teppiche zur Auswahl bringen werde. Natürlich müsse sie sich nicht verpflichtet fühlen, etwas zu kaufen. Aber wenn ihr ein Teppich besonders gefiele, sollte sie ihn gleich dortbehalten. Über den Preis werde man sich schon einig. Zwei Tage später verhandelte sie mit dem Basarchef und wunderte sich, wie schnell sie sich doch über einen angemessenen Preis einig wurden.

Schon an der Universität hatte Karima von Gourrama gehört. Eine kleine, aber allen Geologen bekannte Stadt in Marokko. Sie liegt im östlichen Teil des Hohen Atlas, am Ausläufer des 2640 Meter hohen Bergmassivs Ait Serhouchen. Von dort kommen die besten Quarze, die Marokko vorweisen kann und die in aller Welt sehr begehrt sind. Die dort ebenfalls vorkommenden Siderite sind perfekt und nicht weniger begehrt.

Sie wollte die Gegend um Gourrama im Rahmen einer Exkursion untersuchen und prüfen, ob sie nicht über dieses mineralreiche Gebiet ihre Doktorarbeit schreiben könnte. Entsprechende Vorgespräche hatte sie bereits mit einem potentiellen weil interessierten Doktorvater in Köln geführt. Sie wollte diese Exkursion aber alleine durchführen, um völlig unabhängig zu sein. Sie wollte selbst entscheiden, wann, wo und wie lange sie arbeitet. Sie wollte nicht von unzähligen und anderslautenden Meinungen oder guten Ratschlägen übersät werden. Sie wollte zumindest diese erste Erkundung alleine gestalten und bewerkstelligen, und von dieser Entscheidung würde sie keiner abbringen!

Karimas Vater hatte es nach wenigen Tagen aufgegeben, immer wieder die Gründe aufzuzählen, die für eine begleitete Exkursion sprachen. Er kannte seine Tochter. Offenbar hatte sie seine Sturheit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geerbt. Es blieb ihm nur übrig, die Modalitäten der Exkursion durch Überzeugung mitzubestimmen, was ihm auch gelang. Karima hatte sein Angebot, sie bis nach Ouarzazate durch einen Freund fliegen zu lassen, angenommen. So hätte sie zumindest schon einmal die eher unangenehme Fahrt von Marrakesch nach Ouarzazate gespart. Dort sollte sie dann einen Geländewagen der Dependance der eigenen Firma nehmen und nach Gourrama fahren. Eine „Höllentour“, wie er sich ausdrückte.

Der Flug war angenehm und kurzweilig. Die ganze Region von oben zu sehen war für Karima berauschend, konnte sie doch die unterschiedlichen geologischen Formationen einordnen und verstehen. Der Freund ihres Vaters begleitete sie noch im Taxi bis ins Hotel Berbere Palace. In der Empfangshalle wartete bereits ein Mitarbeiter ihres Vaters und übergab ihr die Wagenschlüssel. Sein Angebot, das Fahrzeug zu erklären, lehnte sie ab. Mit Geländefahrzeugen war sie vertraut. Karima war aber auch eine Genießerin. Sie hatte das Angebot ihrer Eltern gerne angenommen, vor der Exkursion noch einige Tage im Berbere Palace zu verweilen. Die Gäste des bekannten Hotels ließen sich gerne durch die Architektur des Hauses und des Gartens mit seinen nach Rosen und Jasmin duftenden Alleen und durch die gastronomische Vielfalt, die keine Wünsche offenließen, verzaubern.

Abends ließ sie sich eine B´stilla zubereiten, ihr Lieblingsgericht. Sie durfte selbst beim Chefkoch die Einzelheiten bestimmen und so orderte sie eine B´stilla mit Hühnerfleisch mit nur zwölf dünnen Teiglagen. Der Chefkoch zeigte hierfür geschauspielert kein Verständnis, denn seine B´stillas hätten doch immer über dreißig Lagen und würden mit Taubenfleisch gefüllt! Aber Karimas blaue Augen seien ihm Befehl, und er würde ihr die schönste B´stilla zubereiten, die sie je gegessen habe.

Am nächsten Morgen kaufte Karima noch fünf Khaki-Hosen und zehn kurzärmelige Hemden, ihre Ausstattung an Arbeitskleidung. Mit mehr wollte sie sich auch nicht belasten, denn mehr brauchte sie für das Klettern nicht. Der Wagen war vollgetankt, ein voller Reservekanister lag im Kofferraum. Es war schon am frühen Morgen sehr warm, und für die lange Autofahrt hatte sich Karima entsprechend luftig angezogen. Ihre sehr knappen Shorts und das weite T-Shirt sollten für einen schnellen Ausgleich sorgen, denn schwitzen wollte sie während der Fahrt nicht. Sie fuhr schon gut zwei Stunden, als der morgendliche Frühstückskaffee sich meldete. Sie hielt an einer Ansammlung von Büschen und Bäumen an, stellte den Motor ab und begab sich in ein Gebüsch. Als sie den Motor wieder starten wollte, gab es eine kleine Verpuffung und ein Zischen. Sie stellte die Zündung aus und machte die Motorhaube auf. Es war nichts zu sehen, alles schien in Ordnung zu sein. Bei offener Motorhaube versuchte sie den Motor erneut zu starten, aber nichts tat sich mehr. Auch die weiteren Versuche scheiterten.

Bis zu diesem Halt kamen ihr nur wenige Fahrzeuge entgegen, was sicherlich auf den Wochentag zurückzuführen war. Es war Sonntag. Sie musste somit den nächsten Wagen anhalten und um Hilfe bitten. Weit und breit aber war kein sich nähernder Wagen zu sehen oder zu hören. Was sie aber sah waren zwei Männer, die von einem Hügel herunter in ihre Richtung gingen. Sie hielten ein paar Mal an, berieten sich und gingen dann aber keines eiligen Schrittes weiter. Karima wurde die Situation unheimlich. Und wieder kamen die Männer näher. Jetzt bemerkte sie, dass sie sehr freizügig gekleidet war und begann, die Absicht der zwei Männer zu erkennen. Die Angst ersetzte nun ihr anfängliche Unbehagen. Sie musste fliehen, aber sie konnte nicht. Sie stieg in den Wagen und versuchte, den Motor erneut zu starten. Die Männer blieben erneut stehen. Der Motor startete nicht. Nichts ging mehr. Auch die Türen des Geländewagens konnten nicht mehr abgeschlossen werden, was sie mit Entsetzen feststellte. Die Männer setzten sich wieder in Bewegung und kamen immer näher, nunmehr zynisch grinsend. Karima überlegte panikartig, was sie machen sollte: im Wagen bleiben oder draußen vor dem Wagen stehen? Sie entschied sich für Letzteres und rief den nur noch wenige Schritte von ihr entfernten Männern zu, sie müssten nicht helfen, ihr Vater sei mit einem anderen Wagen schon unterwegs und hätte eigentlich schon da sein müssen. Und wieder berieten sich die Männer. Einer von ihnen öffnete seinen Gürtel und ging auf den Wagen zu. Der andere holte eine Kordel aus seiner Hosentasche und ging eiligen Schrittes auf die andere Wagenseite zu. Sein Gesichtsausdruck zeigte Entschiedenheit.

Ein Brummen ging durch Karimas Kopf, denn sie wusste, was nun passieren würde. Das Brummen wurde lauter und lauter und ihr Kopf schien zu platzen. Ihre Angst paralysierte sie völlig. Das Brummen wurde so laut, dass sie aus ihrer Lähmung erwachte und nunmehr das Brummen als Geräusch wahrnahm. Die Männer hielten kurz vor Karima inne und starrten auf die zwei schwarzen Geländewagen, die mit großer Geschwindigkeit auf sie zukamen. Die Fahrzeuge wurden zwar langsamer, schienen aber nicht anhalten zu wollen. Der erste Wagen fuhr an Karima vorbei und legte dann aber eine Vollbremsung ein. Der zweite Wagen hielt noch hinter Karimas Wagen. Sie wusste nicht, wohin sie sehen sollte. Zu dem ersten Wagen rechts von ihr, zu dem anderen Wagen links von ihr, zu den zwei Männern? Nichts tat sich, nichts rührte sich. Die Situation war für sie nicht mehr rational zu erfassen. Die zwei Männer standen wie angewurzelt und unbeweglich da, auf die schwarzen Wagen starrend. Sekunden vergingen, für Karima aber eine unendliche Zeit. Sie wusste immer noch nicht, ob nun Hilfe gekommen war oder die ganze Situation noch brenzliger für sie werden würde. Wer waren die Insassen der zwei schweren Geländewagen?

Plötzlich ging die Beifahrertür des ersten Wagens auf und ein in einem schwarzen Anzug gekleideter Marokkaner stieg aus, ein Gewehr in der Hand. Er zielte auf die zwei Männer und befahl diesen, sich auf den Boden zu legen. Nun öffnete sich die hintere Tür und ein weiterer, ebenso gekleideter Marokkaner stieg aus und ging auf Karima zu.

»Haben Sie keine Angst. Wir haben die Situation im Griff. Es wird Ihnen nichts passieren. Was ist hier los?«

»Ich habe eine Autopanne. Der Motor springt nicht mehr an. Und die zwei Männer hatten wohl die Absicht, mir etwas antun zu wollen«, erwiderte sie etwas erleichtert, denn sie war nicht mehr alleine und die Situation hatte sich völlig verändert. Zwar wusste sie nicht, wer nun diese Männer in schwarzen Anzügen waren, aber die teuren Geländewagen ließen nicht den Schluss zu, dass sie noch bangen musste, vergewaltigt zu werden.

Der Marokkaner setzte sich in Karimas Wagen und versuchte den Motor zu starten, jedoch ohne Erfolg. Er ging zu dem hinteren Wagen und sprach durch den dünnen Schlitz am hinteren Fenster. Er nickte und kam auf Karima zu.

»Der Mahdi bietet Ihnen an, Sie mitzunehmen und in seinen Mauern auf die Reparatur Ihres Wagens zu warten. Wir werden den Wagen bewachen, bis er abgeschleppt wird. In unserer Werkstatt wird Ihr Wagen repariert werden können. Sodann könnten Sie Ihren Weg fortsetzen.«

Sie war so entzückt, nicht nur von der Hilfsbereitschaft dieser Leute, dass sie die Nuance »sie könnte« nicht vernahm. Sie war beschäftigt mit der Frage, wieso er seinen Auftraggeber Mahdi nannte, den „von Gott Geleiteten“. Irgendwie gewann sie wieder ein Gefühl der Sicherheit, denn der „von Gott Geleitete“ würde doch nicht zulassen können, dass ihr etwas zustößt. Der stämmige Marokkaner mit dem Gewehr blieb an Karimas Wagen angelehnt, immer die zwei potentiellen Übeltäter streng im Blick haltend.

Ihr Gesprächspartner holte ihre persönlichen Sachen aus dem Kofferraum und verstaute diese im ersten Fahrzeug. Dort durfte Karima auf der Rückbank Platz nehmen, denn vorne saß nun ihr Gesprächspartner, mit einem Gewehr auf dem Schoß. Nach einer knappen Stunde, in der keiner der Insassen sprach, erreichten sie das Ziel. Von der Straße aus konnte sie nichts erkennen, die Mauern waren zu hoch. Offenbar gab es nur eine Haupteinfahrt. Vier schwer bewaffnete Wächter äußerst dunkler Hautfarbe ließen den ersten Wagen passieren und verbeugten sich noch, bevor der zweite Wagen an ihnen vorbeifuhr. »Der von Gott Geleitete« dachte Karima und ertappte sich dabei, ein wenig zu spöttisch gedacht zu haben, war es doch er, der sie gerettet hatte. Der Wagen fuhr durch einen dichten Palmenhain und plötzlich verschloss es Karima die Augen. Eine riesige quadratisch angelegte maurische Burg aus Sandstein, mit aus jeweils fünf Ebenen bestehenden runden Ecktürmen, die miteinander durch aus drei Ebenen bestehende breite Trakte verbunden waren. Sie bemerkte, wie der zweite Wagen links vorbei und um die Ecke fuhr. Der Wagen, in dem sie saß, fuhr um die rechte Ecke und hielt sogleich neben einer breiten zweiflügeligen Eingangstür aus dickem Holz. Der Beifahrer stieg aus, holte ihre Taschen aus dem Wagen und übergab sie einem an der Holztür wartenden jungen Burschen, der in dem bis zu den Knöcheln reichenden blauen Kaftan sehr gekleidet aussah.

»Ich heiße Sie willkommen. Mein Name ist Ali und ich bin Ihr persönlicher Diener. Sie sollen den Turmbereich ganz oben bekommen. Er hat den schönsten Ausblick. Wir nennen hier den persönlichen Rückzugsraum „Bereich“, und nicht Zimmer. Ich bringe Ihnen gleich Wasser und Orangen. Haben Sie einen Wunsch? Ich bringe Ihnen alles, was Sie wollen. Bitte achten Sie auf die Sterne, die wir auf unserer Kleidung tragen. Einen Stern tragen die Diener, zwei Sterne tragen die Vorgesetzten und drei Sterne tragen nur die Palastwächter. Die sind ganz gefährlich.«

»Halt!«, sagte Karima energisch, denn sie hatte schnell bemerkt, dass „ihr“ Diener sehr nervös, wenn nicht ängstlich war und deshalb ununterbrochen redete. »Zeige mir bitte meinen Bereich. Alles andere wird sich dann ergeben! Und sprich nur, um Fragen zu stellen oder auf meine zu antworten!«

Die größte Fläche ihres Bereiches nahm das in der Mitte stehende überbreite Himmelbett ein. Links daneben eine einladende kleine Sitzecke, von der man ebenfalls durch die tiefen Fenster auf den riesigen Garten im Inneren schauen konnte. Rechts befand sich das voll ausgestattete Badezimmer. Karima nahm ein Bad und rieb sich mit Rosenöl ein. Kaum hatte sie sich etwas geschminkt, klopfte es an der Tür. Ali überreichte ihr eine Kanne mit frisch gepresstem Orangensaft und teilte ihr mit, dass der Mahdi sie zu sprechen wünschte. Sie trank noch ein volles Glas Orangensaft und folgte ihrem Diener aufmerksam durch die langen Gänge und unzähligen Türen. Ali blieb vor einer riesigen Holztür stehen, in der eine kleinere, aber immer noch imposante Tür eingelassen war. Er klopfte diskret, es klang aber, als ob er gegen die Tür geschlagen hätte. Er zuckte zusammen, öffnete die kleinere Tür und bat Karima einzutreten. Sie trat ein und befand sich in einem riesigen Konferenzraum, in dem in der Mitte ein Tisch mit Sesseln für zwanzig Personen stand. Der ganze Raum war mit einer Bibliothek ausgekleidet, in der tausende von Werken standen. Das ganze Mobiliar war aus echtem Mahagoni. Im hinteren Bereich des Raumes stand ein enormer ovaler Schreibtisch, hinter dem der Mahdi saß. Sie erkannte ihn sofort, schreckte dabei auf und zitterte am ganzen Körper. Es war Chérif El-Raisuli! Er kam um den Schreibtisch herum und begrüßte Karima sehr freundlich. Sein Lächeln war – wie immer charmant, seine Ausstrahlung ließ keinen Zweifel offen, dass man sich in seiner Gegenwart sicher und geborgen fühlen konnte.

»Karima. Darf ich Sie so nennen?«, fragte er mit einer tiefen, aber angenehmen Stimme.

»Ja, natürlich!«, antwortete Karima noch benommen. Er forderte sie auf, doch an der Stirnseite des Tisches Platz zu nehmen. Sie hatte einen Blick über den ganzen langen Tisch und wusste erst nach dem Gespräch, dass es die Absicht von Chérif El-Raisuli war, sie dort Platz nehmen zu lassen. Er hatte ihr viel zu sagen, ihr Nachdenken sollte nicht durch umherschweifende Blicke gestört werden. Ihre auf die lange und breitflächige Tischplatte ruhenden Blicke halfen ungemein, konzentriert und wachsam die Worte Chérif El-Raisulis aufzunehmen. Er selbst setzte sich nicht, sondern blieb hinter Karima stehen und legte seine Hände auf ihre Schultern. Sie schauderte und spürte eine ihr bislang unbekannte Erregung aufsteigen.

»Karima! Ich bin froh, dass Sie heil und gesund sind. Ich bin froh, dass Sie hier sind, denn ich habe Ihnen viel zu sagen und ja, ich muss Ihnen auch einiges gestehen.«

»Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie mich gerettet haben und mich hier so freundlich aufnehmen. Sie hätten mich auch in ein Hotel nach Gourrama bringen lassen können. Aber ich muss Ihnen gestehen: Ich bin sehr gerne hier, Chérif El-Raisuli.«

»Karima, nennen Sie mich bitte Khaled. Nur um einen Gefallen möchte ich Sie bitten. Unsere Sitten verbieten es, dass wir uns duzen, zumal wir noch Fremde sind. Es muss somit, was auch immer geschehen mag, beim Sie bleiben. Können Sie mir versprechen, dass Sie diese Abmachung einhalten?«

»Erlauben Sie mir zunächst, dass ich Ihnen beim ersten Aussprechen Ihres Vornamens in die Augen schaue?«

»Ja, natürlich, warum nicht?«

Karima drehte ihren Kopf und schaute ihm in die Augen.

»Khaled«, sagte sie mit leicht vibrierender Stimme und verstand dabei ihre Gefühle nicht mehr. »War da ein Funke an Zuneigung in ihren Worten zu erkennen?«, fragte sie sich spontan.

»Khaled, ich verspreche es Ihnen.«

»Meine liebe Karima, als Erstes möchte ich Ihnen Folgendes erklären. Meine Mutter ist vor vier Tagen gestorben. Ich habe sie in den letzten Tagen vor ihrem Tode regelmäßig besucht und habe Stunden an ihrem Bett gesessen. Meine Mutter war noch vollgeistig bei Sinnen, nur die vielen und starken Schmerztabletten trübten ihr Allgemeinbefinden. Um der Traurigkeit für kurze Zeit zu entgehen, bin ich immer auf die große Dachterrasse gegangen. Mein Mutterhaus liegt genau gegenüber vom Hammam, den Sie besucht haben, und so konnte ich Sie von der Dachterrasse aus beim Betreten des Hammams beobachten. Ich gebe gerne zu, dass sich meine Besuche bei meiner Mutter häuften und ich den Wunsch hatte, auf die Dachterrasse zu steigen, und die Hoffnung hatte, Sie wiederzusehen. Vielleicht ist mein Verhalten kindisch, aber ich wollte Sie wiedersehen.«

Chérif El-Raisuli setzte sich neben Karima und nahm ihre Hände.

»Karima, ich hatte den Wunsch, Sie wiederzusehen, und habe über die Angestellte im Hammam mehr über Sie erfahren. Ich bitte Sie, mir zu vergeben, dass ich Ihnen hinterherspioniert habe und Erkundigungen über Sie eingeholt habe. Aber bitte verstehen Sie mich: Ich musste wissen, wie ich Sie kontaktieren könnte.«

Sie wusste nicht, wie sie diese Worte einordnen sollte. Das war doch eben eine Liebeserklärung, die sie vernommen hatte, oder nicht? Was meint ein so wichtiger Mann bei solch einer Erklärung? Karima sah ihn an, er hielt ihrem Blick stand.

»Haben Sie deshalb meine Eltern und mich zu der FANTASIA eingeladen, Khaled?«, fragte sie herausfordernd.

»Nachdem ich wusste, dass Ihre Eltern ohnehin eingeladen werden würden, habe ich Order gegeben, die Einladungskarte mit Ihrem Namen zu ergänzen. Ja, ich wollte Sie offiziell kennen lernen.«

»Und warum, Khaled?«

»Karima, ich bin kein Mann, der lange um den heißen Brei herumredet. Ich habe Sie gesehen und auch wiedergesehen. Ich musste danach immer wieder an Sie denken. Ich musste mir daher Klarheit verschaffen, was ich will und was mir meine Gefühle sagen wollen. Und wenn ich das weiß, dann werde ich es Ihnen sagen und Ihre Meinung dazu mit großer Erwartung hören. Wenn der Zufall es nicht gewollt hätte, dass wir uns wie jetzt wieder begegnen, dann hätte ich Wege gefunden, Sie in Marrakesch zu treffen.«

Sie erhob sich und Chérif El-Raisuli stand gleich auf. Sie sagte ihm, dass sie das Gehörte erst mal verdauen und darüber nachdenken müsse. Sie würde sich jetzt gerne zurückziehen wollen.

»Karima, ich komme heute Abend zu Ihnen und hole Sie zum Essen ab.«

»Ich freue mich!«, sagte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Chérif El-Raisuli einen kurzen Kuss. Seine Lippen schmeckten süß.

Kaum war sie unter Führung ihres Dieners in ihren Bereich zurückgekehrt, hörte sie draußen Stimmen und Motorgeräusche. Sie schaute aus einem Fenster und sah einen Abschleppwagen, der ihren Geländewagen am Haken hatte. Ein Mechaniker leitete den Abschleppwagen in eine Halle in dem hinteren Verbindungsgebäude.

Sie versuchte, das Geschehene einzuordnen. Was hatte das alles zu bedeuten? Hatte sie seine Worte richtig verstanden, seine Absichten eventuell falsch gedeutet? Und was sie erschreckte, war allein ihre eigene Reaktion. Wieso hat sie sich bei ihm mit einem Kuss verabschiedet, mit einem Kuss auf den Mund? Was passierte hier eigentlich? Karima schmiss sich auf das Bett und schlief wenige Sekunden später ein. Das was sie bislang an diesem Tage erlebt hatte, war reichlich und genug.

Die Sonne schien noch am Horizont, als Chérif El-Raisuli leise an ihrer Tür klopfte. Karima hatte sich herausgeputzt und sah einem Engel ähnlich. Ihr Diener hatte ihr einen eher durchsichtigen weißen Kaftan mit goldenen Ornamenten auf einen Stuhl gelegt. Ihr rotes Minihöschen schimmerte durch, mehr trug sie nicht darunter. Sie öffnete die Tür und Chérif El-Raisuli trat hinein, eine Flasche Champagner in der einen Hand, zwei Champagnergläser in der anderen. Bei ihrem Anblick blieb er stehen und sagte nichts. Nur seine Augen schienen zu verraten, was in ihm vorging.

Er öffnete die Flasche und schenkte gekonnt, ohne auch nur einen Tropfen daneben zu vergießen, die zwei Gläser halbvoll.

»Karima, ich bin geblendet. Aber nicht die Sonne blendet mich!«

Sie ging auf ihn zu und nahm das Glas, das er ihr entgegenreichte. Beide hoben die Gläser diskret hoch und tranken einen Schluck. Dann nahm er sie an die Hand und führte sie hinaus. Karima war etwas erschrocken, hatte sie diesen Fortgang nicht so erwartet. Chérif El-Raisuli ging mit ihr durch den Garten und erst jetzt stellte sie fest, wie weitläufig dieser war. Die vielen Arganölbäume fielen ihr gleich auf, waren es doch diese kostbaren Bäume, die einem Großteil der Bevölkerung im Süden Marokkos eine Existenz mit der Produktion des wirkungsstarken Arganöls, das auch das „Gold von Marokko“ genannt wird, sicherten. Unter einem hohen gelb blühenden Eukalyptusbaum stand ein weit geöffnetes Zelt. Sie erkannte, dass kein Tisch und keine Stühle vorhanden waren. Allein bunte und lange Sitzkissen auf mehreren, kreuz und quer aufeinandergelegten Teppichen vermittelten dem Ganzen ein unglaublich romantisches Flair.

Sie speisten fürstlich. Die Djaja Mahamara aus Huhn, Mandeln, Rosinen und Grieß regte als flüssige Vorkost ihren Appetit richtig an. Die nachfolgende Tajine aus Ochsenfleisch wurde in einer Schmorpfanne zusammen mit Gemüse, Pflaumen und Mandeln direkt vor ihnen zubereitet und mit Zimt abgeschmeckt. Die Keftabällchen ließen sie diskret ausfallen, denn der Knoblauch passte offenbar nicht in ihr jeweils geheimes Konzept der beginnenden Nacht. Das Méchoui aus fein gebratenem Lamm beendete den Schmaus. Sie tranken viel Wasser und zum Abschluss noch einen Pfefferminztee. Während der ganzen Zeremonie kamen sie sich körperlich immer näher, und sie spürte durch den dünnen Kaftan seine suchenden Hände, die immer mehr verlangten und immer mehr bekamen.

Chérif El-Raisuli begleitete sie zurück. Vor der Tür nahm er sie um die Taille und presste sie an sich. Er küsste sie fordernd und sie gab sich dem leidenschaftlich hin. Er sah ihr in die Augen und sagte nur noch »Schlaf gut, mein Engel.«

Es klopfte leise an ihrer Tür und ihr Diener fragte, ob er das Frühstück servieren könne. Karima stieg aus dem Bett und begab sich ins Badezimmer. Der Diener durfte den Bereich betreten, bereitete das Frühstück vor und entfernte sich. Chérif El-Raisuli kam hinein und Karima stand nackt im Türrahmen zum Bad. Sie ging auf ihn zu und umarmte ihn. Er küsste sie wie zuvor und sie merkte, dass er sie haben wollte, aber auch sie spürte ihr Verlangen, endlich von ihm genommen zu werden. Chérif El-Raisuli hob sie hoch und setzte sie aufs Bett. Er gab ihr einen Brief und entfernte sich ohne ein Wort zu sagen. Sie hatte sein leichtes Verbeugen ihr gegenüber bemerkt und wusste, dass dies ein Zeichen höchsten Respekts war. Sie öffnete hastig den Umschlag und las.

Karima!

Wenn der Blick in die Zukunft

dir schwerfällt,

wenn dir bange ist vor jedem Schritt,

dann soll sich dein Herz

nicht erschrecken!

Du darfst glauben,

ich gehe mit dir und ich bin bei dir.

Khaled

Karima wurde durch das Klopfen an der Tür aus der Welt der Träume gerissen. Sie machte die Tür auf und erkannte den Generalsekretär, der sie und ihre Eltern bei der Fantasia begrüßt hatte, sofort wieder.

»Fräulein Neumann, der Mahdi lässt sich für die nächsten drei Tage entschuldigen. Er muss eine Konferenz vorbereiten, die hier ab morgen für zwei Tage stattfindet und die er leitet. Wenn Sie einen Wunsch haben, Ihr Diener wird Ihnen diesen erfüllen. Er wird Ihnen alles bringen und Sie führen, wohin Sie wollen. Im Notfall können Sie jederzeit irgendeinen der Wächter ansprechen. Es wird Ihnen geholfen werden. Der Mahdi wünscht Ihnen einen schönen Tag. Ich darf mich diesen Wünschen anschließen.«

Karima bat den Diener, sie zur Werkstatt zu führen. Ihr Geländewagen stand in der Mitte des Raumes, so proper und glänzend wie nie zuvor. Zwei Mechaniker kamen auf sie zu und erklärten ihr, dass das Hauptkabel zur Zündspule einen Riss hatte und die gesamte Elektrik zum Erliegen gebracht habe. Es sei aber alles repariert und sie könne ohne jegliche Bedenken mit dem Wagen fahren.

Sie packte ein paar Sachen zusammen. Ihr Ziel waren die Salzbrunnen von Gourrama. Sie war gespannt, was für geologische Entdeckungen sie am ersten Tag ihrer Erkenntnisreise machen würde. Sie versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was Grund ihrer Reise war. Es war und blieb aber nur ein Versuch.

Kapitel 5: DIE DREI NEINS
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