Ramadan in Fès: Ein spirituelles und kulturelles Erlebnis in der Medina - Das Leben in der Medina
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Am ersten Tag des Ramadan, etwa eineinhalb bis zwei Stunden vor der Morgendämmerung, zieht ein freiwilliger Rufer, genannt „Klopfer“ (Deqqaq) durch die engen Gassen der Stadt, hält in seiner Hand einen hölzernen Hammer, mit dem er an die Türen der Häuser klopft, während er Lobpreisungen Gottes und Segenswünsche auf den Propheten anstimmt. Er weckt die Menschen auf, damit sie das Nachtmahl (as-Suhur) zu sich nehmen. Das Nachtmahl wird individuell begonnen und endet spätestens vor der Morgendämmerung (bzw. vor dem Gebetsruf zum Morgengebet al-Fadschr). Ab der Morgendämmerung beginnt die Fastenzeit des Tages und dauert bis zum Sonnenuntergang an.
Einst war as-Suhur schlicht: Meist bestand er nur aus Brot, das mit Ei bestrichen und in Öl gebraten wurde und Minztee. Heutzutage jedoch hat sich as-Suhur durch vielerlei kulinarische Neuerungen bereichert und umfasst eine Vielzahl von Speisen - stets mit dem Ziel, dem Fastenden Kraft für den kommenden Tag zu verleihen.
Kurz vor dem Gebetsruf zum Morgengebet erklingen in den Minaretten der großen Moscheen die feierlichen Töne der Trompeten (Nafīr), während in kleineren Moscheen die Schalmei (Ghiṭa) ertönt. Zudem ertönen von den Minaretten feierliche Litaneien, die als at-Tahalil bekannt sind - ein feierlicher Lobpreis Gottes, der das endgültige Ende der Essenszeit und den Beginn des Fastens verkündet.
Nach dem as-Suhur und dem Morgengebet senkt sich eine tiefe Stille über die Stadt, die bis in die frühen Morgenstunden anhält. Dann erwacht allmählich das Leben: Schüler machen sich auf den Weg zu ihren Schulen, einige Beamte eilen zu ihren Arbeitsstätten. Doch selbst dann bleibt die Stadt in einer trägen, verschlafenen Bewegung gefangen, als schleppte sie ihre Stunden mühsam dem Sonnenuntergang entgegen.
Cafés, Restaurants und Vergnügungsstätten bleiben geschlossen, und der gewohnte Rhythmus des Lebens gerät aus den Fugen - die Nacht wird zum Tag, der Tag zur Nacht. Viele Handwerksbetriebe und traditionelle Gewerke stellen ihre Arbeit tagsüber ein und verlegen sie in die Dunkelheit, mit Ausnahme jener Berufe, die mit Wasser zu tun haben, wie die Gerber, die Metzger oder jene, die Wolle von Tierhäuten trennen (al-Lebbata). Auch die Mühlen, die Getreide mahlen, setzen ihre Arbeit fort, doch beginnen sie in diesem Monat weit früher als gewöhnlich, um ihre Tätigkeit vor dem Mittagsgebet (Asr) zu beenden.
Die Zeiten der Märkte, auf denen handwerkliche Waren meist im Auktionsverfahren gehandelt werden - wie Wolle, Leder in all seinen Variationen oder fertige Produkte wie traditionelle Schuhe (Blaghi) - verändern sich.
Gegen Mittag nimmt das Leben auf den Basaren eine beinahe normale Form an, doch bleibt ein Hauch von Trägheit spürbar. Die Moscheen füllen sich zu dieser Stunde mit Betenden und jenen, die den Predigten der Imame lauschen. Nach dem Mittagsgebet jedoch erfasst die Stadt, insbesondere ihre Märkte und Handelszentren, eine Art fiebrige Unruhe: Das Treiben wird hektischer, die Bewegungen der Menschen eilig, als ob alle von einer drängenden Rastlosigkeit erfasst wären. Käufer und Händler strömen geschäftig durch die Straßen, in der Hoffnung, ihre letzten Besorgungen rechtzeitig zu erledigen - bevor der Ruf des Muezzins zum Sonnenuntergangsgebet (al-Maghreb) ertönt und das Fastenbrechen einleitet.
Die Unruhe zeichnet sich auf den Gesichtern mancher Raucher und Konsumenten von Kif deutlich ab. Die Gereiztheit wächst, und kleinste Anlässe genügen, um Streitigkeiten zu entfachen - besonders, wenn Ramadan in den Sommer fällt, wo die Tage lang sind, die Hitze den Durst steigert und der Entzug von Zigaretten oder Schnupftabak (Tanfiḥa) die Spannung zusätzlich anheizt. Manche provozieren die gereizten Fastenden bewusst, indem sie ihnen spöttisch zurufen: „Zünde ihm eine Zigarette an!“ (AschʿAllu!). Solche Neckereien können rasch eskalieren und nicht selten endet ein solcher Streit mit dem Eingreifen der Behörden.
Im Ramadan entfaltet sich eine wahre Kunstfertigkeit in der Herstellung von Süßspeisen, Brot und Gebäck. Brote werden in kunstvollen Formen gebacken - als Schlüssel, als Rad oder gar als Telefon - während die traditionellen Pfannkuchen (Baghrir) in leuchtenden Farben schillern. Auf den Märkten erscheinen Früchte, die außerhalb ihrer Saison sind und oft noch unreif verkauft werden, doch ihr bloßer Anblick weckt den Heißhunger der Fastenden. Viele kaufen weit mehr, als sie tatsächlich konsumieren können. So wird der Ramadan zum größten Verbrauchermarkt des Jahres, in dem Verschwendung in ungeahnten Dimensionen zunimmt.
Unter den beliebtesten Lebensmitteln des Monats steht frische Milch an oberster Stelle. Die Frauen bevorzugen sie zum as-Suhur in fermentierter Form (Raïb), während viele sie nach dem Fastenbrechen mit Kaffee mischen. Milchverkäufer genießen in dieser Zeit einen besonderen Status: Man ruft sie nicht mehr einfach beim Namen, sondern ehrt sie mit respektvollen Anreden. Vor den Läden dieser Händler drängen sich Frauen und Kinder lange vor der Ankunft der begehrten Ware, um nicht mit leeren Händen heimkehren zu müssen.
Das Fastenbrechen (Iftar)
Der Höhepunkt des Tages, das große Fastenbrechen, rückt immer näher. In geduldiger, doch angespannter erwartungsvoller Stimmung versammelt sich die Familie um die gedeckte Tafel. Alle Blicke sind auf das herbeigesehnte Signal gerichtet - sei es der Gebetsruf zum Sonnenuntergang (al-Maghreb) aus den Moscheen, die Übertragung im Fernsehen oder der Sirenenton, der das Ende des Fastentages verkündet.
Mit dem ersten Schluck Wasser oder einer Dattel beginnt der ersehnte Moment des Fastenbrechens - ein Augenblick des Ausgleichs nach einem langen Tag der Entbehrungen.
Die Straßen der Stadt verwandeln sich in menschenleere Gassen. Kaum jemand bleibt draußen; jeder eilt nach Hause, um sich zum Fastenbrechen mit seiner Familie zu versammeln. Nur vereinzelt sieht man noch Passanten - oder Fremde, die sich in Restaurants begeben, wo ebenfalls besondere Ramadan-Menüs serviert werden.
Einst waren die Tafeln beim Fastenbrechen bescheiden gedeckt: Harira, Datteln, Feigen, Brot - und für wohlhabendere Familien evtl. in Honig gebackenem Kuchen. Heute jedoch hat sich das Bild grundlegend gewandelt. Die Fastenbrechen-Tische (Iftar) gleichen festlichen Banketten oder gar den üppigen Buffets eines Fünf-Sterne-Hotels. Es beginnt mit einem dampfenden Teller Harira, begleitet von süßen Ramadan-Spezialitäten. Es folgen verschiedenste Speisen, dazu frisch gepresste Säfte und eine Vielfalt an Gebäck und Pfannkuchen - ein reichhaltiges Mahl, das den langen Tag des Hungerns und Durstens in einem Moment der Fülle und Genüsse verwandelt.,
Nach dem Fastenbrechen schleichen sich die jungen Raucher leise aus ihren Häusern, um sich an den Hauseingängen zu versammeln und endlich den ersten Zug an einer Zigarette zu nehmen - ein Moment tiefen Genusses nach einem langen Tag des Entbehrens.
Etwa eine Stunde nach dem Fastenbrechen erwacht das nächtliche Leben in der Stadt erneut. Männer und Frauen strömen auf die Straßen, jeder seinem eigenen Vergnügen folgend. Die einen zieht es in die stets belebten Cafés, wo Karten- oder Brettspiele gespielt werden, während andere gebannt die neuesten Fernsehserien verfolgen - sei es in geselliger Runde in den Lokalen oder daheim im Kreis der Familie. Eine dritte Gruppe begibt sich zum at-Tarawih-Gebet in die Moscheen, während sich andere an Orte der Unterhaltung begeben, die speziell für Ramadan ein nächtliches Programm bereithalten. Hier finden musikalische Darbietungen traditioneller Gesänge (al-Malḥun) oder moderner Musik statt, daneben Theateraufführungen und akrobatische Spiele für Kinder. Die Besucher solcher Veranstaltungen kehren oft erst kurz vor dem Morgengebet (Fadschr) nach Hause zurück. Ebenso zieht es viele zu nächtlichen Spaziergängen durch die modernen Viertel der Stadt… Dieses lebendige Treiben wiederholt sich Nacht für Nacht.
Für die Kinder ist Ramadan eine Zeit der Sehnsucht nach Teilhabe. Jeden Abend flehen sie ihre Eltern an, sie zum as-Suhur zu wecken, versprechen feierlich, das Fasten zu halten. Doch die Eltern wissen um die Unmöglichkeit, ihre Kleinen aus tiefem Schlaf zu reißen, und ahnen, dass sie die späte Stunde kaum bewältigen könnten. Um die Kinder behutsam an das Fasten heranzuführen, wird oft ein besonderer Brauch gepflegt: Sie fasten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils eine Tageshälfte - einmal von der Morgendämmerung bis zum Mittag, dann von Mittag bis zum Sonnenuntergang. Diese beiden Hälften werden symbolisch zu einem vollständigen Fastentag „zusammengenäht“.
Im Monat Ramadan häufen sich Familienbesuche und Einladungen zum gemeinsamen Fastenbrechen. Der Gastgeber übertrifft sich selbst in seiner Gastfreundschaft, kredenzt seinen Gästen eine üppige Tafel mit allem, was Gaumen und Herz erfreut. Der Eingeladene wiederum erscheint nicht mit leeren Händen, sondern bringt Speisen mit, die weit über das Notwendige hinausgehen. Nach einigen Tagen erwidert er die Einladung und übertrifft, in einer Geste der Großzügigkeit und Ehrerbietung, den Aufwand seines Gastgebers. Manchmal dehnt sich diese gastliche Gegenseitigkeit gar über Tag und Nacht aus.