In einer nicht allzu fernen Zukunft auf einer Mittelmeerinsel
Der Roman entführt die Leser auf eine mysteriöse, fast magische Mittelmeerinsel, die in der nahen Zukunft zum Schauplatz globaler Spannungen und technologischer Innovationen wird. Reem und ihr Ehemann Rafael leben dort in einer modernen Villa, wo sie den Luxus und die Ruhe der abgelegenen Lage genießen. Die Insel ist inzwischen zum Ziel wohlhabender und neugieriger Menschen aus aller Welt geworden, angezogen von Chinas ehrgeizigem Plan, sie zu einem digitalen Paradies zu formen.
Doch hinter der idyllischen Fassade brodeln Unsicherheiten und Konflikte. Während Reem sich in die wärmende Sonne legt und Rafael auf Abenteuerfahrt geht, spüren beide die Spannungen, die sich zwischen der alten Wildnis und der neuen technologischen Welt auftun. Der Roman wirft Fragen zur Balance zwischen Fortschritt und Natur, zur kulturellen Identität und den Herausforderungen der modernen Familiengestaltung auf. Die Schicksale der Figuren, wie Reem und Rafael, verweben sich auf faszinierende Weise mit der Zukunft der Insel, die zwischen Tradition und Fortschritt steht.
Auszüge aus den ersten vier Kapiteln des Romans „Unvollendete Mutterschaft“ von Mustapha Laghtiri.
Reem lag ausgestreckt am Rande des Pools, eingehüllt in das gewohnte Behagen, das die sanfte Morgensonne auf ihrer Haut hinterließ. Sie drehte sich unruhig auf ihrem Liegestuhl, während ihre Gedanken durch Raum und Zeit schwebten. Zunächst tauchte sie tief in die Erinnerungen ihrer Vergangenheit ein, verweilte an vertrauten Stationen, um dann kühn in die Zukunft zu springen, deren schemenhafte Umrisse vor ihr auftauchten. Doch diese Reise in eine schimmernde, flüchtige Zukunft erschöpfte sie bald, und so kehrte sie schließlich in den gegenwärtigen Moment zurück, wo ihr Körper träge die entfernte, zarte Wärme der Sonne in sich aufnahm.
Mit einem Anflug von schläfriger Gelassenheit bewegte sich Reem, gähnte und strich sanft mit der Hand über die kaum sichtbaren Sensoren ihres Liegestuhls. Dieser fing die zarten Strahlen ein und hüllte sie allmählich in die gewünschte goldene Bräune.
Die Villa, in der Reem nun schon seit einiger Zeit lebte, stand auf einer kleinen Insel, die bis vor kurzem kaum jemand gekannt hatte. Nur Geografen wussten von ihrer Existenz, und auf den meisten Weltkarten war sie schlichtweg nicht verzeichnet. Auch die nahegelegenen Staaten schenkten ihr kaum Beachtung. Doch für die Reisenden auf großen Touristen- und Frachtschiffen, die das Mittelmeer durchkreuzten, war diese Insel ein faszinierender Anblick - ein Ort, der den Atem stocken ließ und in ihnen den Wunsch weckte, fernab vom aufdringlichen Lärm der Welt für eine Weile hier zu verweilen.
Gleich weit von den Küsten Europas und Afrikas liegt die Insel etwa gleich entfernt. Beide Kontinente, insbesondere die Mittelmeeranrainer, betrachten sie gewissermaßen als zugehöriges Gebiet - ohne jedoch formale Ansprüche zu erheben oder die Insel jemals für sich zu beanspruchen. Keine Nation hatte bislang das Bedürfnis, dieses Eiland dauerhaft zu besiedeln. So blieb es unberührt, ein wahres Refugium für wilde Tiere: Füchse, Wölfe und Wildkaninchen streifen durch die Landschaft, seltene Vögel kreisen am Himmel, und in den versteckten Talsenken finden Schlangen und andere Reptilien ideale Brutplätze. Auch botanisch bietet die Insel eine reiche Vielfalt, was dazu führte, dass einzelne Kräuterkundige sie zu bestimmten Jahreszeiten aufsuchten, um Heilkräuter zu sammeln, die sie anschließend auf den Märkten der angrenzenden Länder verkauften - stets darauf bedacht, das Geheimnis ihres Ursprungs zu wahren.
Die isolierte Lage mitten im Meer und die Nähe zu verschiedenen Küsten machten die Insel jedoch auch für Schmuggler und Drogenhändler attraktiv. Sie nutzten das dichte Dickicht, das hier ungestört und üppig wuchern konnte, um ihre Waren zu verstecken und diese bei günstigen Gelegenheiten zwischen den Kontinenten hin und her zu transportieren.
In jüngster Zeit hat die Insel jedoch eine plötzliche kulturelle und wirtschaftliche Blüte erlebt. Sie wurde zu einem Ziel für wohlhabende Menschen aus Europa und Afrika, ja, sogar aus den weit entfernten Kontinenten Amerika und Asien. Manche Besucher, selbst aus Australien, ließen sich dauerhaft nieder. Ein intensiver Werbefeldzug begleitete diese Entwicklung, insbesondere nachdem China die Insel nach langen Verhandlungen mit den Mittelmeeranrainerstaaten Spanien, Frankreich, Marokko, Algerien, Italien, Malta und der Regierung von Gibraltar erwarb.
Die meisten Länder im westlichen Mittelmeerraum sahen sich als legitime Eigentümer der kleinen Insel, auch wenn sie diesen Anspruch nie explizit äußerten und sich auf die ineinandergreifenden Seegrenzen beriefen. Doch sobald China sein Interesse am Kauf bekundete, meldeten sich diese Nationen mehr oder weniger offen zu Wort, besorgt über den wachsenden Einfluss Chinas, das beständig seine Reichweite über die Welt ausdehnt.
Nach langen, teils geheimen, teils offenen Verhandlungen fügten sich schließlich alle Parteien den Realitäten und akzeptierten das Abkommen. China beruhigte die betroffenen Staaten mit dem Versprechen, die kleine Insel frei von jeglicher Bewaffnung zu halten, die den Frieden in der Region gefährden könnte. Im Gegenzug aber plante China, die Insel in ein digitales Paradies zu verwandeln - ein Modell der Zukunft.