Im Spannungsfeld zw. ursprünglichem Instinkt und visionärem Denken
Das gesamte Paradoxon des Menschseins besteht darin, diese wesentliche Dualität zu erkennen, die das pulsierende Herz jeder menschlichen Handlung sein muss: den Urinstinkt in uns mit einer zukunftsweisenden Vision zu verbinden, um eine bewegliche Brücke zwischen Gestern und Morgen zu schlagen.
Nur zu diesem Preis können wir unsere kosmische Krankheit [das Bewusstsein unserer eigenen Endlichkeit, der Zerbrechlichkeit des Lebens und der Unvollkommenheit unserer Welt. Es ist ein Zustand, in dem wir uns als Teil eines riesigen, oft unverständlichen Universums erleben, das uns sowohl fasziniert als auch überfordert.] in ihrer ganzen Tragweite erleben und die Illusion von Gesundheit in einer pathologisch unheilbaren Welt aufrechterhalten, in der die gesamte Menschheit vergeblich versucht, an dem herumzudoktern, was sich niemals heilen lässt.
René Char bringt diese Idee mit poetischer Klarheit auf den Punkt: „Unser Erbe ist durch kein Testament überliefert. Man kämpft nur gut für die Dinge, die man selbst geformt hat und mit denen man sich im Feuer der Identifikation verbrennt. Handle primitiv und denke strategisch. Wir sind unheilbare kosmische Kranke, denen das Leben teuflischerweise die Illusion von Gesundheit schenkt.“
Dies fordert dazu auf, Handlung und Wort in Einklang zu bringen - ohne die Bescheidenheit der Natur zu übergehen. Die Essenz liegt darin, im Einklang mit der eigenen, wahren Natur zu agieren, vorausgesetzt, man hat ihre Beschaffenheit erkannt. Dies erfordert, den "Weg der Mitte" einzuhalten - jenes Gleichgewicht zwischen Maß und Übermaß, was Friedrich Nietzsche in Die "Geburt der Tragödie" als das Apollinische und das Dionysische bezeichnet[i]: Ekstase und Reflexion, Überschwang und Zurückhaltung.
Diese Haltung erfordert das Handeln ohne Worte, das Tun, das seine Wirkung sprechen lässt. Sie durchzieht alle Formen menschlicher Kreativität und Ausdruckskraft, besonders im Theater, der ursprünglichen und höchsten Kunstform. Hier wird das Zusammenspiel von Instinkt und Strategie, von Hingabe und Distanzierung exemplarisch inszeniert - eine Aufforderung, die Tragödie des Lebens mit all ihrer Schönheit zu umarmen.
Die Kunst des Spiels und der Verlust revolutionärer Gedanken
Der Schöpfer von Macbeth, Othello, Hamlet und König Lear gibt uns einen entscheidenden Hinweis: „Denn alles, was übertrieben gespielt wird, entfernt sich vom eigentlichen Ziel des Theaters, dessen einzige Aufgabe es ist, von seinem ersten Tag bis heute der Natur einen Spiegel vorzuhalten: der Tugend ihr Gesicht zu zeigen, dem Lächerlichen seine eigene Fratze und der Zeit in ihrer ganzen Stärke und Gestalt ihren Widerschein. Übertreibung oder zu schwaches Spiel, selbst wenn es die Unwissenden zum Lachen bringt, wird nur den Geschmack der Kenner beleidigen - und deren Urteil sollte euch mehr bedeuten als das einer ganzen Zuschauerhalle. [...] Ich kenne jene, die allein lachen, um das Gelächter einfältiger Zuschauer zu provozieren, während entscheidende Fragen des Stücks auf dem Spiel stehen. Das ist niederträchtig und offenbart die armseligste Ambition des Narren, der es tut.“ Diese Worte von William Shakespeare, dem unübertroffenen Kenner der menschlichen Seele, haben über die Jahrhunderte hinweg nichts von ihrer Dringlichkeit eingebüßt. Sie mahnen zu Authentizität und Tiefe, sowohl im künstlerischen Ausdruck als auch im Denken.
Doch gerade hier zeigt sich ein Defizit unserer modernen Zeit. Jede Epoche prägt ihre eigenen Verhaltensregeln, Konventionen und Denkweisen, aber unsere Gegenwart scheint von einer einzigartigen Leere gekennzeichnet: Handlungen ohne Substanz und ein erschreckend geringer Beitrag neuer, revolutionärer Ideen. Die moderne Ära reproduziert hauptsächlich längst überholte Gedanken, deren Wirkung auf die menschliche Gesellschaft und deren Wandel marginal bleibt.
Anstelle tiefgreifender Innovation erleben wir eine sterile Wiederverwertung veralteter Konzepte. In dem Bemühen, sie in ein modernes Gewand zu kleiden, bleibt ihr Gehalt jedoch leer und unfruchtbar. Der schöpferische Geist, der einst die Menschheitsgeschichte bewegte, scheint heute in einer Endlosschleife gefangen - ein Potpourri aus Ideen, deren Zeit längst abgelaufen ist.
Die Herausforderung unserer Zeit besteht darin, wieder den Mut zu schöpfen, revolutionär zu denken und authentisch zu handeln, so wie Shakespeare es mit seinem unvergleichlichen Werk vorgelebt hat. Nur so kann der Geist in seiner universellen Dimension neu belebt werden.
Der Sinn des Handelns: Reflexionen über Musil, Zweig und Proust
Der Autor des monumentalen Werks Der Mann ohne Eigenschaften bemerkt treffend: „Unsere Zeit sprüht vor Energie. Man will nur noch Taten sehen und keine Gedanken. Diese schreckliche Energie entspringt der inneren Leere - einer Leere, die nicht nur das Innere, sondern letztlich auch das Äußere durchdringt. Denn letztlich wiederholt der Mensch ein Leben lang ein und dieselbe Handlung: Er ergreift einen Beruf und macht darin Fortschritte. […] Es ist so einfach, die Kraft zum Handeln zu haben, und doch so schwer, dem Handeln einen Sinn zu geben! Nur wenige verstehen dies heute. Deshalb ähneln die Menschen des Handelns Bowling-Spielern, die sich Napoleons Posen anmaßen, nur um neun Holzkegel umzuwerfen! Es würde mich nicht wundern, wenn sie sich irgendwann gegenseitig angreifen würden, nur um das unfassbare Mysterium zu begreifen: dass alle Handlungen der Welt niemals ausreichen!“ So Robert Musil.
Die zentrale Frage liegt nicht allein im Handeln, sondern im Warum des Handelns. Was ist der tiefere Sinn dessen, was wir tun? Wofür handeln wir? Welche Auswirkungen hat unser Tun auf uns und unsere Umwelt? Letztlich sollte jede Handlung darauf abzielen, das Gute zu fördern - die Welt besser zu machen, Wohltaten zu teilen und zu mehren, Menschlichkeit zu stärken. Jede Tat, die hingegen Leid verursacht, verstößt gegen die menschliche Natur und ist im Kern unmenschlich.
Diese Überlegungen führen zur Problematik, die Stefan Zweig häufig als „Verwirrung der Kategorien“ bezeichnete: eine Orientierungslosigkeit in der Handlung, die weder fest verankert in der Realität noch von klaren Überzeugungen getragen ist.
Marcel Proust beschreibt diesen Zustand in seinem Werk "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit2 mit einer ergreifenden Einsicht: „In unserer Seele gibt es Dinge, deren Wert wir nicht begreifen. Wenn wir ohne sie leben, dann deshalb, weil wir aus Angst vor Scheitern oder Schmerz den Schritt auf sie zu von Tag zu Tag hinauszögern.“
Dieses Schwanken zwischen Begehren und Unentschlossenheit, zwischen Wille und Halbherzigkeit, macht Handlungen oft steril - wie Schwerthiebe ins Wasser. Wahres Handeln erfordert Klarheit, Überzeugung und eine klare Zielsetzung: das Streben nach einem besseren, humaneren Dasein.
Der trügerische Kreislauf der Nicht-Aktion: Über Erschöpfung und Einsamkeit
In einem wiederkehrenden Muster, das sich endlos selbst recycelt, laufen wir im Kreis, gefangen in einem Teufelskreis der vermeintlichen Aktion. Wir glauben, gehandelt zu haben, doch in Wahrheit blieb jede wirkliche Handlung aus. Die aufgewendete Energie versickert im Nichts, zurück bleibt lediglich Erschöpfung. Ein beachtlicher Aufwand verpufft, und wir wähnen uns dennoch produktiv. Diese Illusion wird von der Masse genährt, die uns als Gesellschaft umgibt. In der Gemeinschaft lebend, täuschen wir uns über die Fruchtbarkeit unseres Tuns hinweg, während unser angebliches Handeln nichts als eine bleierne Schwere hinterlässt - eine Last, die den Geist lähmt und den Energiefluss unterbricht.
Dieses Phänomen ist typisch für Zivilisationen am Rande der Erschöpfung, Gesellschaften, die sich im letzten Stadium ihres Zyklus befinden. Hier hat das Individuum keinen Raum mehr, und die Einsamkeit wird unmöglich, da der Mensch unablässig vom Lärm und der Unruhe der Stadt überrollt wird.
Henry Miller, Autor von „Das klimatisierte Albtraum und Tropique du Cancer“, beschreibt treffend den Wert der Einsamkeit: „Allein zu sein, auch nur für ein paar Minuten, und dies mit ganzem Wesen zu begreifen, ist ein Segen, den wir selten zu erbitten wagen. Der Mensch der Großstadt träumt von einem Leben auf dem Land, einem Rückzugsort vor allem, was ihn bedrängt und sein Dasein unerträglich macht. Doch ihm ist nicht bewusst, dass er in einer Stadt mit zehn Millionen Einwohnern einsamer sein kann als in einer kleinen Gemeinschaft. Die Erfahrung der Einsamkeit führt zur spirituellen Erkenntnis. Doch wer vor dem Leben flieht, um diese Erfahrung zu machen, könnte schmerzlich feststellen, dass er nur Isolation findet - besonders dann, wenn er all die Wünsche mit sich nimmt, die die Stadt in ihm genährt hat. Die Einsamkeit, so heißt es, ist den wilden Tieren oder den Göttern vorbehalten. Und daran ist etwas Wahres.“
Diese Worte offenbaren die schmale Gratwanderung zwischen fruchtbarer Einsamkeit und lähmender Isolation - ein Zustand, der den modernen Menschen im Lärm seiner nicht enden wollenden Nicht-Aktionen gefangen hält.
Der Prozess, der Einsamkeit mit spiritueller Erkenntnis verbindet, ist von grundlegender Bedeutung, insbesondere in unheilbar kranken Gesellschaften. Der Mensch benötigt den Rückzug aus der Gesellschaft, um nachzudenken und Sinn zu schaffen. Arthur Schopenhauer bemerkte, dass ein hoher Grad an Intelligenz Menschen zu Einzelgängern macht. Je tiefer wir über die Welt, über andere, über uns selbst und über die Zerbrechlichkeit unseres Daseins nachdenken, desto stärker ziehen wir uns zurück - fern von allem, was die Gedanken stören und den Geist in seiner Sinnsuche korrumpieren könnte.
Gabriel García Márquez bringt in „Hundert Jahre Einsamkeit“ die transformative Kraft der Einsamkeit auf den Punkt: „Er war zutiefst überzeugt, dass Menschen nicht ein für alle Mal in dem Moment geboren werden, in dem ihre Mutter ihnen das Leben schenkt, sondern dass das Leben sie immer wieder dazu zwingt, sich selbst neu zur Welt zu bringen.“
Diese innere Geburt ist ein einsamer Prozess, ein zyklischer Akt der Erneuerung ohne Hilfe von außen. Jede dieser Wiedergeburten verlangt eine introspektive Reise, bei der Schichten von Erfahrungen und Erkenntnissen hinzugefügt werden, ohne dass ihr Gewicht zur Last wird. Vielmehr verschafft dieser Prozess dem Geist eine zunehmende Leichtigkeit - eine ständige Bewegung zwischen Vergessen und Wiederentdeckung, die das Individuum befähigt, zu einer immer besseren, nie endgültigen Version seiner selbst zu werden.
Um diese intensive Auseinandersetzung mit sich selbst und der Einsamkeit zu meistern, bedarf es eines tiefen Verständnisses der Komplexität des Daseins. Charles Darwin beschreibt dies treffend mit seinem Gleichnis: „Ein Mathematiker ist wie ein Blinder in einem dunklen Raum, der nach einer schwarzen Katze sucht, die gar nicht da ist.“
Dieser Vergleich zeigt, dass Erkenntnis ein ständiges Suchen ist - eine unendliche Suche nach Wahrheit und Sinn, die keine Gewissheiten verspricht, sondern die geistige Weiterentwicklung als Ziel hat. Die Einsamkeit wird so zum Raum der Transformation, in dem wir uns immer wieder neu erfinden und wachsen können.
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[i] Das Apollinische und das Dionysische: Zwei zentrale Kräfte oder Prinzipien, die die menschliche Erfahrung und insbesondere die Kunst prägen. Das Apollinische steht für Ordnung, Harmonie, Vernunft und Maß. Apollon ist in der griechischen Mythologie der Gott des Lichts, der Schönheit, der Künste und der Prophezeiung. Das Apollinische ist also die rationalere, strukturierte Seite des Lebens. Es symbolisiert die Fähigkeit des Menschen, das Chaos der Welt zu ordnen und zu kontrollieren, um Schönheit und Klarheit zu erschaffen. In der Kunst manifestiert sich das Apollinische durch klare Formen, Maß und Symmetrie, wie man sie etwa in der klassischen griechischen Kunst findet. Das Dionysische von Dionysos, dem griechischen Gott des Weins, des Ekstase, der Fruchtbarkeit und der Zeremonien, inspiriert ist. Das Dionysische repräsentiert das Unbewusste, das Chaotische, das Unzähmbare und die Ekstase. Es steht für den Trieb, die Leidenschaft, die Zerstörung und das Überwinden von Grenzen. In der Kunst zeigt sich das Dionysische in der Kunstform, die das Irrationale, das Chaotische und das Ursprüngliche feiert, etwa in der Musik, im Tanz oder in der dramatischen Kunst.
Über Abdelhak Najib*
Übersetzung aus dem Französischen