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Harter Kampf ums Überleben in den Straßen von Casablanca

Schuhputzer in Casablanca kämpfen täglich ums Überleben. Trotz harter Arbeit und ungewisser Einkommen bewahren sie Optimismus. Ihr Arbeitsgebiet erstreckt sich über belebte Straßen der Stadt. Für sie ist Schuheputzen ein Beruf wie jeder andere. Trotz Missachtung und Ablehnung durch manche Kunden setzen sie ihre Arbeit unbeirrt fort. Ihr Überlebenskampf spiegelt sich in seltenen Erfolgsgeschichten wieder, die sie motivieren, jeden Tag aufs Neue ihr Glück zu suchen.

 

Schuh putzen, Foto: Andre Klimke auf unsplash.comBevor man einen solchen Job aufnimmt, muss man die Stadt durchkämmen, um einen Ort zu finden, an dem sich die Leute viel bewegen, ein nicht zu abgelegenes Stadtgebiet mit vielen Menschenströmen, um operieren zu können.

Bei diesem Rundgang durch die Stadt haben wir eine kleine Gruppe von Schuhputzern ausfindig gemacht. Ihr Arbeitsgebiet erstreckt sich von der Rue Socrate über Yakoub Al Mansour, die Rue Nassih Eddine und die Route d'El Jadida bis zum Boulevard Ghandi. Das ist ihr Arbeitsgebiet. Hier schleppen sie ihre kleinen Schuhputzkisten mit sich herum. Eine Art Würfel mit einer Fußstütze, ein paar Bürsten, ein oder zwei Schwämme, chinesische Schuhcremedosen und ein Samttuch, um die Schuhe nach dem Putzen wieder auf Hochglanz zu bringen.

Sie sind drei Brüder und ein Cousin. Alle sind zwischen 19 und 24 Jahre alt. Khalid, Hassan, Said und der Cousin Driss. Sie wohnen zusammen in einer Mansarde, nicht weit entfernt von Beauséjour. „Wir zahlen 1.200 DH Miete im Monat, aber zu viert schaffen wir das. Wir essen abends gemeinsam, gehen zusammen in den Hamam, wechseln unsere Kleidung und versuchen, den Kopf über Wasser zu halten“.

Hassan, der älteste der Geschwister, erklärt, dass das gesparte Geld am Monatsende an die Familie geschickt wird, die in der Region Safi, nicht weit entfernt von Sebt Gzoula, lebt. „Man muss ihnen doch helfen. Sie leben im Douar in ärmlichen Verhältnissen. Wir schicken, was wir können, und sagen „al hamdu Lillah (Gott sei Dank)“. Das ist keineswegs eine fatalistische Aussage von den drei Brüdern und ihrem Waisen Cousin, der von seiner Tante aufgenommen wurde. Sie alle haben sich durchs Leben gekämpft, aber sie finden, dass Schuhe putzen ein Beruf wie jeder andere ist: „Wir haben in Fabriken gearbeitet. Wir haben nächtelang im Industrieviertel Zenata gearbeitet, als wir aus dem Dorf kamen, aber es war zu hart und zu einem Hungerlohn“. Also beschloss Hassan, alles hinzuschmeißen, das Geld nicht mehr für Taxis, Essen auf der Straße und das Risiko, nachts von lauernden Ganoven überfallen zu werden, auszugeben, sondern sich eine Schuhputzkiste anfertigen zu lassen. „Erster Tag, 200 DH. Ich war glücklich. Ich ging nach Hause und erzählte es meinen Brüdern und meinem Cousin. Wir wohnten damals in Bournazel. Am Ende des Monats haben die anderen drei die Arbeit in der Fabrik aufgegeben und dazu gestoßen“, erzählt der junge Mann mit einem Lächeln auf den Lippen.

Für die Brüder ist jeder Tag ein Tag der Mühe. Mal sind es 100 DH, mal das Doppelte, mal reicht es nicht einmal für zwei runde Brote. Aber alle vier überleben und scheinen nicht viel auf das Pech zu geben, das sie manchmal trifft. Denn bei dieser Art von Arbeit kann es Tage geben, an denen man keinen einzigen Schuh zum Glänzen hat, „Walu (Nichts)“.

Von einem Café zum anderen gehen Hassan und seine Mitstreiter tagelang über die Gehwege. Sie gehen, machen Pausen, stellen die kleine Schachtel ab und setzen sich darauf, um sich für einen Moment zu entspannen. Dann geht es wieder los. Sie müssen Teer und Staub schlucken. Dann vor allem auf die Leute zugehen und sie fragen „‘tssiri? (Schuhe putzen?)“. Wenn „Ja“, gibt es mindestens drei DH. Wenn es sich um einen missglückten Versuch handelt, muss man sich den Zorn des Cafébesitzers anhören, der einen gerade zur Ordnung gerufen hat: „Ja, es ist schwer, in den Cafés die Kunden zu belästigen“.

„Manche Ladenbesitzer haben Verständnis und lassen uns gewähren, andere treten uns am liebsten in den Hintern, aber so ist der Beruf, man muss den Kopf einziehen, seine Wut und sogar seinen Stolz herunterschlucken und so tun, als sei das normal“, sagt Driss, dessen Blick von einer Spur Traurigkeit geprägt ist.

Für die Kellner sind die Schuhputzer ein Ärgernis: „Sie stören die Gäste und das ist nicht gut für das Geschäft“, betont Ahmad, der seit 25 Jahren kellnert. Auf die Frage: „Aber sie sind in Not, können Sie, der Sie schon viele Schuhputzer gesehen haben, verstehen, dass sie arbeiten und Geld verdienen müssen, anstatt sich illegalen Tätigkeiten hinzugeben?“, antwortet der erfahrene Kellner: „Aber in diesem Beruf gibt es keine Gefühle, mein Bruder, wenn ich sie lasse, können sie eines Tages meinen Platz einnehmen, das sage ich Ihnen“.

Mit einem kleinen Geldbetrag in der Tasche machen die vier „Musketiere“ alles richtig. Sie gehen jeden Sonntagmorgen in aller Frühe zum Fußball. So können sie Dampf ablassen. Sie machen den Wochenmarkt und warten auf die Kunden und Passanten, die sonntags morgens meist etwas später in die Gassen und Cafés kommen. „Es ist der beste Tag der Woche. Es gibt Schuhe,die geputzt werden müssen. Man kann drei, vier Tage an einem Tag schaffen, wenn es ein guter Sonntag ist“. „Umso besser“, erwidert der Cousin, der uns versichert, dass er einmal den Rekord für die Tageseinnahmen gebrochen hat: „500 DH in 14 Arbeitsstunden. Ich habe wie ein Kranker gearbeitet, bin gelaufen und habe gewachst, bis mir die Schulter und das Handgelenk abfielen, aber es hat sich gelohnt“ und ergänzt „Nur sind solche Treffer selten. Aber sie motivieren und geben einem diese Energie, jeden Tag rauszugehen und nach einem weiteren Glückstag zu suchen“.

Kleiner Mann Foto Achraf Baznani

Aber all das ist nichts. Alle vier Schuhputzer sagen, dass das Schlimmste der Blick der anderen und die Verachtung ist, die sie zeigen, wenn sie einem ihre Schuhe zum Putzen geben: „Ich mag es nicht, wie sie mich anglotzen, als wäre ich ein Schlitzohr. Aber damit muss man leben. Andere beschimpfen uns. Manche sprechen sehr spöttisch mit uns. So hat nun Mal jeder sein Los auf dieser Erde“.

Über Abdelhak Najib*
Sinngemäße Übersetzung aus dem Französischen durch marokko.com