Denkt unsere Epoche überhaupt noch?
Das ist eine zentrale Frage, die heute im Mittelpunkt stehen sollte, in einer Welt, in der das Nachdenken seltener geworden ist und das Zeitalter der voreiligen Pauschalurteile das besonnene Reflektieren verdrängt hat und damit die Fähigkeit, Fakten und ihre komplexen Zusammenhänge und Konsequenzen zu hinterfragen, ad acta gelegt hat.
Da das Denken immer seltener wird, wiederholen einige lediglich das, was sie hier und da sehen, und nutzen dieselben abgedroschenen Phrasen, was die Verbreitung eines oberflächlichen Denkens fördert, das in einer endlosen Schleife verharrt und die meisten Menschen infiziert. In solchen Zeiten, in denen das Denken gegen einfache Kommentare und banale Formulierungen eingetauscht wird, gewinnen Diktaturen an Stärke und festigen sich, indem sie alles, was sich von der Norm abhebt, wie eine unaufhaltsame, alles niederwalzende Dampfwalze, zermalmen. Die Meinungsdiktatur in sogenannten "demokratischen" Gesellschaften ist eine unbarmherzige Herrschaft.
Es gibt keine Toleranz, wenn es um Beurteilungen und Verurteilungen geht. Das Zeitalter der Meinungen ist der größte Feind der Wahrheit. Jeder möchte sich als Lehrer aufspielen, jeder meint, alles zu wissen, nur weil er meint, zu jedem Thema eine Meinung haben zu müssen, oft ohne die Fakten zu kennen. Dies ist ein verheerender Angriff auf die Wahrheit. Denn die Ära des Volkes, das den Verlauf der Geschichte beeinflussen kann, wurde abgelöst von einer Zeit, in der konsumorientierte Massen nach Einheitlichkeit streben und sich nach Konsens sehnen. Die Zeit der Individualität, die den Geist von seinen einschränkenden Ketten befreien und das Denken beflügeln konnte, ist vorbei.
Die Frage stellt sich, ob unsere gegenwärtige Epoche überhaupt noch in der Lage ist, zu denken. Die Menschen werden systematisch darauf trainiert, in die Leere zu blicken. Diese Leere wird zu ihrem einzigen Zufluchtsort in einer Welt, die zunehmend undurchsichtig und feindlich wirkt. In dieser Welt scheinen nur zwei Emotionen zu existieren: Angst und Neid. Die Moderne hat zwei Hauptgruppen von Menschen hervorgebracht: Diejenigen, die von einer lähmenden Angst und Furcht beherrscht werden, und diejenigen, die sich mit Verbitterung über Wasser halten.
Seit mindestens einem Jahrhundert erstreckt sich die Leere in ihrer reinsten physikalischen Bedeutung über alle Aspekte des menschlichen Lebens. Dies gilt auf globaler Ebene und in sämtlichen Bereichen, sei es die Verwaltung der Welt, Politik, Wirtschaft, Finanzen oder in den vielfältigen Gesellschaften auf allen Kontinenten. Dieser Prozess hat dazu geführt, dass die Kulturen der Welt, die einst ihre Identität und Vielfalt in einer erzwungenen Globalisierung der Normen und Standards verloren haben, in eine homogene und eintönige Menschheit übergegangen sind.
Die Ausdehnung des Raums der Leere, die sich permanent und mit atemberaubender Geschwindigkeit erweitert, ist in allen Bereichen des menschlichen Handelns zu spüren. Trotz des ständigen Ansammelns von Waren und der Flut von sinnlosen Informationen, die oft als Wissen angesehen werden, und trotz der systematischen Verbreitung rudimentärer Propaganda wird die Dimension der Leere überall größer, sowohl im physischen Raum als auch in der Zeit. Diese Struktur der Leere ähnelt einer Art Strudel, das anstatt die Raumzeit zu krümmen, sie in mehrere schwarze Löcher stürzt, die Stunden, Tage und Jahre verschlingen, während sie die Räume auf Bildschirmgrößen unterschiedlicher Größe und zunehmend verschwommene Sichtweiten reduzieren, die ins Undurchsichtige tendieren.
In diesem Szenario wird der moderne Mensch, belastet mit all den Dingen, die er ansammelt und tragen oder sogar schleppen muss, nicht nur durch die Erschöpfung seiner natürlichen, physischen, psychologischen, mentalen und spirituellen Ressourcen geschwächt. Er ist auch seiner menschlichen Essenz beraubt, die es ihm ermöglichen würde, seinen eigenen Absturz in das von ihm selbst geschaffene Chaos zu bewältigen. Er stürzt hinein, gefesselt an Händen und Füßen, ohne die Fähigkeit, irgendeine Reaktion auszulösen, außer sich in ein feindliches Vakuum zu begeben. Selbst der urtümliche Reflex, nach imaginären Seilen oder Schutznetzen zu greifen, geht verloren. Der moderne Mensch fällt, starrt in die Leere und bleibt wie betäubt, hilflos und bewusstlos zurück.
In diesem dominierenden Vakuum wird eine bestimmte Vision für die gesamte Gesellschaft aufgezwungen. Diese Vision ist aus dem Nichts entstanden, um einer Zeit Rechnung zu tragen, in der keinerlei Form von Freiheit mehr geduldet wird. Dies wird besonders deutlich in dem, was politische Aufsteiger heute über Bildschirme und Papiere verbreiten, um einen beträchtlichen Teil der Gesellschaft in eine tiefe Verzweiflung zu stürzen. In einer Welt, die sich in extreme Positionen verlagert und glaubt, darin die Antwort auf die Krisen zu finden, die die Grundfesten einer Welt erschüttern, die offenkundig in ihren schwerwiegendsten Problemen gefangen ist, spürt man dies mit großer Intensität. Diese Vision ebnet den Weg für Hassreden von Anführern, die das chronische Unwohlsein einer vernachlässigten Menschheit instrumentalisiert, indem sie Figuren ohne jegliche Substanz Gehör verschafft, die von den Scheinwerfern der Medien und dem Glanz der Fernsehbühnen geblendet werden. Ihr erklärtes Ziel ist es, Zweifel zu säen und Ängste zu schüren, die in einer Welt, die von Spannungen und Giften durchzogen ist, sektiererische Ausbrüche nähren können. Diese wiederum werden ständig von den Ausdünstungen einer sozialen und "intellektuellen" Ethik genährt, die auf dem Niveau von Kinderspielen verharrt. Sie können insbesondere Morde, Massaker und Völkermord im Namen einer Glaubensrichtung, einer Konfession oder einer speziellen Vorstellung von Macht und Ungerechtigkeit legitimieren.
Diese Haltung trägt einen speziellen Namen: die Leugnung der Geschichte. Die Geschichte selbst sollte uns eigentlich Lehren ziehen lassen, um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Dennoch scheint die Geschichte beharrlich darauf zu bestehen, all ihre Schrecken zu recyceln. Der Mensch scheint wenig dazu zu lernen und wiederholt die gleichen Muster. Er reproduziert die gleichen Grausamkeiten und bemüht sich, an die tiefsten Wunden der Menschheitsgeschichte anzuknüpfen, als ob er in einem endlosen Zyklus gefangen wäre. Wenn dieser von Zynismus und umfassenden Manipulationen begleitet wird, verliert das Motto der sogenannten "demokratischen" Gesellschaften - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - seine Gültigkeit. An seine Stelle tritt stattdessen eine Formel, die besser zur gegenwärtigen Realität passt: Hektik, Oberflächlichkeit, Dummheit! Oder sogar die, die allzu oft akzeptiert und zur Schau gestellt wird: Opportunität, Feigheit, Kriminalität!
Über Abdelhak Najib*
Sinngemäße Übersetzung aus dem Französischen durch marokko.com