Die Suppe des Geizigen - Altruismus, Egoismus und Selbstreflexion
Es heißt, dass das, was wir geben, oft zu uns zurückkehrt - sei es in dieser Welt oder einer anderen. Doch was geschieht mit einem Menschen, der stets nur für sich behält und niemals teilt? Dies ist die Geschichte eines Mannes von unermesslichem Geiz - so sehr, dass er seinen Blick abwandte, sobald er einen Bettler erblickte.
Aus der Geschichtensammlung "Weisheiten, und Witz von Joha" von Prof.Dr. Faouzi Skali.
Einst trat ein armer Mann an ihn heran und bat demütig um eine kleine Münze, um sich eine Schale Suppe kaufen zu können. Doch der Geizige verharrte in stummer Gleichgültigkeit und eilte weiter, als hätte er nichts gehört. Der Bettler aber ließ nicht ab, folgte ihm und flehte eindringlicher: „Nur ein kleines Almosen für eine Suppe, nur eine winzige Gabe!“
Der Geizige beschleunigte seinen Schritt, um den hartnäckigen Bittsteller abzuschütteln. Doch dieser ließ sich nicht abschütteln, hob gar die Stimme, sodass sein Rufen schließlich die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf sich zog. Genervt und in der Hoffnung, ihn loszuwerden, wühlte der Geizige tief in seiner Tasche und reichte ihm mit widerwilliger Miene eine kümmerliche Münze.
Doch der Bettler war damit nicht zufrieden. „Eine kleine Münze noch für ein Stück Brot zu meiner Suppe - nur eine kleine Münze!“ flehte er weiter. Diesmal aber wollte der Geizige nicht nachgeben. Der Bettler jedoch erhob seine Stimme derart, dass sich bald Passanten einmischten. Der Geizige, von Wut gepackt, beschimpfte den Bettler als Wahnsinnigen und eilte schnaubend nach Hause.
Der Geizige im Himmel
Als die Nacht hereinbrach, legte er sich nieder und fiel in einen seltsamen Traum. Er sah sich selbst im Paradies angekommen, doch der Weg dorthin war lang gewesen, und der Hunger nagte an ihm. Ein Engel trat an ihn heran, und voller Hoffnung fragte der Geizige, wo er eine Mahlzeit finden könne. „Gedulde dich“, sprach der Engel milde. Nach einiger Zeit kehrte er mit einer Schale Suppe zurück.
Der Geizige beäugte die dünne Brühe und rümpfte die Nase. „Wie?“, rief er empört. „Gibt es im Paradies nichts als diese magere Suppe? Ich hatte erwartet, hier im Reich der Fülle und Großzügigkeit zu sein!“
Der Engel aber lächelte sanft und sprach: „Siehst du, im Paradies findet ein jeder nur das, was er selbst mitgebracht hat. Für dich gibt es nur diese eine Schale Suppe.“ Da erwachte der Geizige - und in seinem Herzen reifte der Entschluss, sich zu ändern.
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Übersetzung aus dem Französischen
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Interpretation durch die Redaktion
Diese Geschichte trägt eine tiefgehende moralische Botschaft, die sich um die Konzepte von Großzügigkeit, Selbstsucht und die Konsequenzen des eigenen Handelns dreht.
Der Geiz als moralische Verfehlung
Der Protagonist ist ein Inbegriff der Habgier und Hartherzigkeit. Sein Geiz geht über bloße Sparsamkeit hinaus - er ist so unbarmherzig, dass er nicht einmal einem hungernden Bettler eine winzige Gabe gönnt. Diese Haltung ist nicht nur eine Frage des materiellen Besitzes, sondern vielmehr eine geistige Verarmung: Er verschließt sein Herz vor der Not anderer, was ihn letztlich auch selbst verarmen lässt.
Der Spiegel der eigenen Taten
Das Paradies in der Geschichte funktioniert nicht nach einem willkürlichen Prinzip von Belohnung oder Strafe, sondern nach einem Gesetz der moralischen Reflexion: Jeder findet dort, was er selbst in seinem irdischen Leben gesät hat. Der Geizige, der stets nur das Geringste gegeben hat, empfängt auch im Jenseits nur das Geringste. Seine Enttäuschung ist somit keine ungerechte Bestrafung, sondern die logische Konsequenz seines eigenen Verhaltens.
Die späte Erkenntnis und die Möglichkeit der Umkehr
Entscheidend ist, dass der Geizige durch diese Erfahrung zur Einsicht gelangt. Das Aufwachen aus seinem Traum symbolisiert eine innere Erweckung: Er versteht, dass sein bisheriges Verhalten ihn letztlich selbst geschadet hat. Diese Erkenntnis führt zu einem moralischen Wandel, einer zweiten Chance, sein Leben neu zu gestalten.
Die universelle Lehre: Geben ist zugleich Empfangen
Die Geschichte vermittelt eine zentrale moralische Wahrheit: Großzügigkeit bereichert nicht nur den Empfänger, sondern auch den Geber. Wer anderen mit offenem Herzen begegnet, trägt zur Fülle des Lebens bei - nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst. Wer hingegen nur für sich hortet, wird letztlich selbst in geistiger Armut enden.
Diese Erzählung erinnert daran, dass wahre Fülle nicht im Besitz liegt, sondern in der Fähigkeit, zu teilen und Mitgefühl zu zeigen.