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Fès - Sufi-Kunst als Antwort auf die Sinnkrise der Gegenwart

Während viele Gesellschaften nach neuen Wegen der Orientierung suchen, verwandelt sich Fès in ein Labor des Geistes. Hier zeigt sich, wie Spiritualität, Kunst und Wissenschaft gemeinsam eine Sprache des Sinns formen können - jenseits von Dogma und Marktlogik.

Fes, Sufi Forum

Fès, die älteste der marokkanischen Königsstädte, bereitet sich darauf vor, erneut zu einem Zentrum geistiger Ausstrahlung zu werden. Vom 18. bis 25. Oktober findet die 17. Ausgabe des Festival de Fès de la Culture Soufie statt - unter dem Leitmotiv „Poetisch leben - Kunst und Spiritualität“. Die Veranstaltung steht unter der Hohen Schirmherrschaft Seiner Majestät König Mohammed VI. und versteht sich als mehr als ein kulturelles Ereignis: Sie will auf die tieferliegende Sinnkrise des modernen Menschen antworten.

Die Organisatoren beschreiben Fès während dieser Tage als ein „poetisches Territorium“ - einen Raum, in dem Kunst, Weisheit und die Feier des Lebendigen einander begegnen. Ziel ist es, aus dem immateriellen Erbe des Landes eine lebendige Quelle sozialer und spiritueller Erneuerung zu schaffen. Festivalpräsident Faouzi Skali spricht von einer „Politik der Zivilisation“, die sich auf geteilte Werte und eine gemeinsame geistige Haltung gründet. Das Festival wolle, so Skali, „einen spirituellen Humanismus neu erfinden, der Intelligenz, Schönheit und Innerlichkeit vereint“.

Ein Dialog zwischen Tradition und Gegenwart

Der Sufismus wird hier nicht als Rückzug ins Gestern verstanden, sondern als lebendige Kultur des Menschlichen - verwurzelt und zugleich offen für die Welt. Ein Schwerpunkt des Festivals liegt auf den marokkanischen Sufi-Bruderschaften (Turuq), die als „wahre Schulen der Seele und Quellen sozialen Zusammenhalts“ gelten. Ihre Gesänge, Tänze und Poesien prägen die Atmosphäre der gesamten Woche.

Auch musikalisch verbindet das Programm Tradition und Innovation. Das Eröffnungskonzert vereint mystischen Flamenco mit den Versen des großen Denkers Ibn Arabî. Das Werk „Anghâm al-Shifâ“ untersucht die Musik als Weg der Heilung. Weitere Höhepunkte sind ein Konzert zu Ehren Paganinis, das Virtuosität und Innerlichkeit in Einklang bringt, sowie „In Memoriam Ibn al-Khatîb“, eine Hommage an die andalusische Kultur des Miteinanders.

Ein Forum der Ideen und Gewissen

Das Festival versteht sich auch als Raum des Nachdenkens und des Dialogs. Philosophinnen, Dichter, Wissenschaftler und Künstler diskutieren in den Rencontres spirituelles über die zentrale Frage: Wie lässt sich in einer sich wandelnden Welt poetisch leben? Diese Begegnungen fördern den Austausch zwischen Denken und Erfahrung, zwischen spirituellen Überlieferungen und aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen.

Besonderes Gewicht erhält die Bildungsdimension. Am 24. Oktober wird die musikalische Komposition „Der Wiedehopf und die zwölf Vögel“ aufgeführt, inspiriert vom Cantique des Oiseaux des persischen Mystikers Farid ud-Din Attar. Die Inszenierung erzählt vom inneren Weg der Vögel auf ihrer Suche nach dem Simorgh - Sinnbild der Selbsterkenntnis und der spirituellen Vollkommenheit. Musik, Tanz und Erzählung verschmelzen zu einem pädagogischen Erlebnis, das besonders Kinder für Werte wie Respekt, Vielfalt und Sinnsuche sensibilisieren soll.

Zwischen Wissenschaft, Spiritualität und Heilung

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Verbindung von Wissenschaft und Spiritualität. Ein Symposium ist dem Psychiater und Denker Sami Ali, Begründer der relationalen Psychosomatik, gewidmet. Es untersucht, wie Heilung durch die Wiederentdeckung des Zusammenhangs von Emotion, Sprache und Atem möglich wird - ein Ansatz, der an die sufische Vorstellung des „inneren Gleichklangs“ erinnert.

Begleitend öffnen Ausstellungen und Workshops den Dialog weiter. Die Schau „Interreligiosités marocaines“ des Anthropologen Manoël Pénicaud dokumentiert den religiösen Pluralismus Marokkos. Workshops zu Tanz, Duft und Poesie machen erfahrbar, wie Kunst selbst zu einer Schule des Zusammenlebens werden kann.

Kultur als Fundament des Zusammenhalts

Mit seiner 17. Ausgabe festigt das Festival seine Rolle als Labor für eine lebendige Zivilisation. Anstatt nostalgisch in die Vergangenheit zu blicken, begreift es das Erbe als dynamische Kraft, die Brücken zwischen Geschichte und Zukunft schlägt.

So wird Fès in diesen Oktobertagen zum Ort, an dem sich zeigt, wie Kunst und Spiritualität den Menschen wieder mit sich selbst und mit der Welt verbinden können - nicht als Flucht, sondern als bewusste Form des Lebens.