Tin Mal, dem Himmel ganz nah
Während man in vielen anderen Ländern auch als Nicht-Muslim Moscheen betreten darf ist dies in Marokko nicht möglich. Das ist kein Verbot, das Muslime ausgesprochen haben, sondern es geht auf den französischen Marschall Louis Hubert Lyautey zurück.
Nun mag man ja über die französische Protektoratszeit in Marokko allgemein und über das Verhalten Lyauteys im Besonderen denken was man will, eines jedoch muss man dem guten Mann zugutehalten: Er liebte die Architektur und das Flair der alten Städte Marokkos. Und er wollte sie auf jeden Fall bewahren. Natürlich war es sein Job, den marokkanischen Widerstand niederzuschlagen und natürlich war er es, der mit den französischen Truppen Marokko besetzte, aber: Er war es auch, der die alten Stadtstrukturen bewahrte und dafür sorgte, dass seine Soldaten sich in Marokko benahmen. Und so schloss er die Moscheen auch für eben jene Franzosen, die diese Orte mit dem einzigartigen Flair allzu gerne aufsuchten, um dort mit einer guten Flasche Rotwein die Ruhe zu genießen. Geht gar nicht, fand Lyautey und schloss die Gotteshäuser für alle, die eben keine Muslime waren. Und das ist bis heute so.
Eine der ganz wenigen Ausnahmen von dieser Moschee-Betretungs-Verbots-Regel für Nicht-Muslime in Marokko ist die Moschee von Tin Mal. Es ist ein sagenhafter Bau im Hohen Atlas, der sich fast unmittelbar neben der Passstraße über den Tizi’n’Test befindet, die von Marrakech nach Taroudannt führt. Es ist die Moschee der einstigen Festung der Almohaden, die als zweite masirischen Dynastie Marokkos in die Geschichte Nordafrikas einging. Es war das Jahr 1100, die Almoraviden waren gerade an der Macht und verfielen dem Reiz von Wein, Weib und Gesang, als ein Gelehrter namens Muhammad Ibn Toumert hierher in die Berge verbannt wurde, da er den Herrschenden in Marrakech für deren Gebaren kritisierte. Er errichtete ein Haus an der Stelle, wo heute die Moschee steht, versammelte gläubige Menschen um sich und forderte die Rückkehr zur wahren Lehre des Islams. Er prangerte die Verrohung der Sitten an, verbot Frauen zu reiten und ernannte sich selbst zum Mahdi, also zu einem Nachfolger des Propheten Muhammads. Und als solcher ersann er Rachepläne, wie er das Land von den Ungläubigen zurück erobern konnte.
Natürlich brauchte so ein Gelehrter für derartige Pläne einen militärisch erfahrenen und schlauen Berater. Er fand ihn in Abdel Mou’min, der nach dem Tode Ibn Toumerts praktischerweise auch gleich dessen Macht übernahm. Aus dem ehemaligen Haus Ibn Toumerts ließ er eine Festung errichten, von der aus er 1147 erst Marrakech und danach das ganze Land eroberte. Auch wenn der Herrschaftssitz der Almohaden daraufhin von Tin Mal nach Marrakech verlegt wurde, blieb die Festung in den Bergen ihr Heiligtum. Und so ließ el Mou‘min hier auch 1153 neben dem Grab seines Mentors Ibn Toumert die Moschee errichten, die bis heute steht.
Weitere spannende Reiseberichte und Fakten über Marokko, finden Sie im Reiseführer von Muriel Brunswig. |
Interessant ist die Architektur des Sakralbaus. Die Grundmauern wurden aus Stampflehm errichtet, dem Kalk beigemischt wurde, sodass die Mauern fast so hart sind wie Beton. Das mussten sie auch sein, da die Moschee und die danebenliegende Festung auch den Schatz der Almohaden beherbergte. Der Grundriss des Hauses ist T-förmig, mit einem Mittelschiff, das direkt zum Mihrab, der Gebetsnische, führt. Darüber bzw. darin (vollkommen ungewöhnlich!) befindet sich das Minarett, das manchmal sogar bestiegen werden kann. Auffallend in Tin Mal sind die vielen Rundbögen des Mittelschiffs, die unglaublich vielfältig und fein gearbeitet, vor allem aber richtig gut erhalten sind. Die Wandpfeiler haben mit Palmen- und Akanthusblättern verzierte Halbkapitelle - eine Seltenheit im nordafrikanischen Moscheebau. All das ist ganz wundervoll.
Und doch ist das eigentlich Besondere an diesem Ort die Magie, die von ihm ausgeht. Man mag nun an Kraftorte glauben oder nicht. Man kann auch davon ausgehen, dass die besondere Stimmung in Tin Mal von dem Grab Ibn Toumerts ausgeht, dessen Gebeine hier noch immer zu finden sind. Man kann aber auch einfach nur mal nach oben schauen. Dort, wo das Dach der Moschee fehlt und sich der riesige Himmel über dem Prachtbau erstreckt. Stahlblau an den meisten Tagen. Im Vordergrund die roten Mauern und die Bogengewölbe, drumherum die wilde Landschaft des Hohen Atlas und über einem der Himmel. Ob das nun an der Kraft, am Grab oder an irgendwelchen Wasseradern liegt, ist vollkommen egal. Hier spürt man den Himmel, ist ihm ganz nah, und das, das muss man zugeben: Das ist Magie.
Tin Mal ist frei zugänglich. Freitags finden hier jedoch Gebete statt, weshalb man sich einen anderen Tag aussuchen sollte. Dem Gardien ein Trinkgeld zu geben ist angebracht.
Mehr über die Autorin Muriel Brunswig erfahren Sie hier