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Speicherburgen, Höhlen, Steinbrüche, Marabouts und Zaouias

Nicht selten sind es Extremsituationen im Leben, die einen zum Umdenken und Neuplanen zwingen. Auch bei Andreas Conrad war das so. Als er 2015 krank wurde, war Schluss mit seiner Arbeit als Verkaufs- und Projektleiter.

Speicherburgen, Höhlen, Steinbrüche, Marabouts und Zaouias, Foto: Barbara Conrad von marokko-erfahrenUnd während der Körper langsam heilte, beschäftigte sich die Seele mit der Frage: Wie geht es weiter, da mir ein zweites Leben geschenkt wurde? Eines war klar: So wie vorher sollte es nicht sein. Denn Stress und Leistungsdruck waren mitursächlich für seine Krankheit und das wollte er nie wieder. Und noch etwas war klar: Die Zukunft sollte etwas mit Marokko zu tun haben. Denn Marokko war ein Sehnsuchtsland für Andreas und seine Frau Barbara und so flogen die Gedanken immer häufiger übers Mittelmeer, vor allem in den Süden des Landes.

Die Conrads reisen seit 1991 in den Maghreb. Allerdings interessierten sie sich nie für Mainstream-Marokko. Ihre Liebe gilt der Geschichte, mehr aber noch der alten, traditionellen Architektur und den versteckten Plätzen im Süden. Als sie zum ersten Mal zu der Berberburg Id Aissa in Amtoudi kommen, wissen sie: Sie wollen mehr über diese alten, archaischen und dennoch so unglaublich genialen Bauten wissen. Vor allem aber möchten sie noch viel mehr alte Berberburgen finden. Und zwar nicht nur die, die in den gängigen Reiseführer stehen und die jeder kennt, sondern die unbekannten, die, die sie nur durch das Studium alter Reiseliteratur und durch Gespräche mit alten Menschen vor Ort finden können.

Andreas wühlt sich also durch Datenbanken und studiert sowjetische Militärkarten, liest Reiseberichte aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert und ist dabei auf Spurensuche. Er beschäftigt sich mit französischen Landkarten aus den 1950er Jahren und versucht anhand dieser die Ziele, die in den Datenbanken und in der alten Literatur zu finden sind, irgendwie zu lokalisieren. Wenn er glaubt zu wissen, wo sie sind, fahren beide dort hin, ermitteln die GPS-Daten, fotografieren und dokumentieren die Orte und tragen so dazu bei, dass diese Schätze nicht verlorengehen.

Um andere an ihrem Wissen teilhaben zu lassen, entsteht ein Büchlein: GPS Waypoints, die quer über den Süden des Landes verteilt liegen. Parallel dazu entsteht die Webseite von marokko-erfahren, ein stets sich erweiternder Fundus an Wissen über zahlreiche Kulturschätze. Dem Büchlein und der Webseite folgen dann die Karten. Denn die Conrads haben auf ihren Reisen durch Marokko festgestellt: Die gängigen Landkarten, die es von Marokko gibt, sind kaum hilfreich, vor allem aber in einem sehr großen Maßstab, so dass die meisten sehenswerten Orte keinen Platz darin finden können. Und so starten sie ihr Landkartenprojekt.

Im Maßstab von 1:120.000, mit sämtlichen Details verschiedener Regionen Marokkos, Foto: www.marokko-erfahren.deAndreas weiß, alleine kann er das nicht bewerkstelligen. Er ist kein Kartograph und braucht die Hilfe von Fachleuten. Und nach beharrlicher Suche findet er sie in Prof. Dr. Jäschke, einem Professor für Geographie und Kartographie von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden. Der hat selbst ein Faible für Afrika und vermittelt Andreas einen seiner Studenten.  Gemeinsam bringen sie ihre erste Karte auf den Markt: K13 Tafraoute-Nord – Tizourgane – Igherm, in einem sagenhaften Maßstab von 1:120.000, dreisprachig und mit sämtlichen Speicherburgen der Region. Außerdem sind auf der Karte zu finden: Höhlen, Steinbrüche, Marabouts und Zaouias. Jede einzelne Sehenswürdigkeit ist mit GPS-Koordinaten versehen, so dass Selbstfahrer sie auch finden können.

2018 können Barbara und Andreas dann endlich ihren großen Traum verwirklichen und zumindest für ein Jahr nach Marokko ziehen. Sie möchten in den Süden, und zwar in die Nähe des Anti-Atlas. In Sidi R’bat, im Nationalpark Souss Massa, finden sie ein Haus, in dem sie wohnen und dort erarbeiten sie ihre nächste Karte. J12: Agadir – Taghazout – Imouzzer, die 2019 erscheint, und einen Stadtplan für Agadir, der 2020 erscheint.

Noch können Andreas und Barbara nicht von ihren Karten leben, obwohl inzwischen auch die Université Ibn Zohr in Agadir Hilfe angeboten hat und die IDPCM, die Inventaire et Documentation du Patrimoine Culturel du Maroc ihnen zumindest ihre Datenbank zur Verfügung stellt. Nur: Leider finanziert sie im Augenblick (noch) keiner. Aber irgendwann, das hoffen die beiden, wird sich auch das ändern – und sie können von den Karten leben. Denn Nummer 4 und 5 sind bereits in Arbeit, L11: Asni – Imlil – Oukaimden – Setti Fatma und L10 Marrakech - Ourika - Lalla Takerkoust. Aber was ist, wenn sie ihr Leben nicht durch die Karten finanzieren können? Dann bereichern sie einfach weiter unser und ihr eigenes Leben durch ihre unablässige Suche nach den Spuren längst vergangener Tage, nach dieser einzigartigen Architektur und der Geschichte Marokkos. Und das alleine ist schon wunderbar, auch wenn ein wenig mehr unglaublich wundervoll wäre!

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