Das Herz Marokkos auf 40.000 km erfahren
Der Fotograf Steffen Burger erfuhr mit seinem Motorrad auf 40.000 Km die Liebenswürdigkeit der marokkanischen Landbevölkerung und die Faszination der unterschiedlichsten Landschaften. Entstanden ist ein einmaliger Bildband der ins Herz des Landes führt.
Am Anfang meiner ersten Marokkoreise im Winter 2012 habe ich noch kein Buch im Sinn. Es ist einfach nur Fernweh. Der Drang auszubrechen und dem Ruf Afrikas zu folgen.
Die 2.500 Kilometer durch Deutschland und Frankreich hinab nach Südspanien sind in drei Tagen abgespult. Auch an Bord der Fähre bleibt erstmal keine Zeit für Grübeleien. Meine »Dicke« will gut verzurrt werden, und schon bald wird ihr ein nettes Plätzchen neben einer schlanken F 800 GS zugewiesen. Eine Unmenge von Reiseaufklebern, Spanngurten und Gepäck und nicht zuletzt ein marokkanischer Teppich auf der Sitzbank lassen vermuten, dass sich ein Gleichgesinnter an Bord befindet.
Erste Zweifel an meinem Vorhaben werden bald auf dem Oberdeck hinweg geblasen: Während ein heftiger Seewind die Schreie der Möwen zu mir heranträgt, lasse ich mich über die Wellen der Straße von Gibraltar schaukeln.
Die Meerenge verbindet nicht nur den Atlantik mit dem Mittelmeer, sondern auch Europa mit dem afrikanischen Kontinent. Kaum eine Stunde nachdem mein überladenes Zweirad im Bauch des Schiffes verschwand, ist bereits wieder Land in Sicht, denn gerade einmal 13 Seemeilen trennen Algeciras auf der Iberischen Halbinsel von der nördlichsten Küste Afrikas.
The nearest far away place
40.000 km
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Ein drahtiger Kerl lehnt neben mir an der Reling – Stephen, reisender Ire und Besitzer der schlanken Lady im Frachtraum. Während er sich eine Zigarette dreht, flüstert er mir etwas zu: »The nearest far away place«. Sehr treffend formuliert, wie ich heute weiß. Marokko. Diese völlig andere Welt ist jetzt zum Greifen nah.
Wenn man vom Meer kommt, ist das Rif-Gebirge das Erste, was man von dem kleinen Königreich im Maghreb zu Gesicht bekommt. Der Djebel Moussa bildet mit dem Felsen von Gibraltar die Säulen des Herakles. Dieser soll dort die Inschrift »Nicht mehr weiter« angebracht haben, um das Ende der Welt zu markieren. Für mich soll sie heute genau dort beginnen – zumindest meine Reise. Und es soll auch nicht meine letzte sein…
Obgleich es aussichtslos erscheint, dieser Perle zwischen Okzident und Orient in einem kurzen Artikel auch nur annähernd gerecht zu werden, will ich mich in einer Beschreibung versuchen. Nur Wüste und Kamele? Weit gefehlt. Nach nunmehr fünf Reisen auf meiner GS, die mich 40.000 Kilometer durch das Königreich getragen hat, denke ich längst nicht mehr nur an Wüste, wenn ich an Marokko denke.
Begegnung mit dem Selbst
Wegdenken möchte ich das faszinierende Sandmeer jedoch keineswegs, weil ich dort immer wieder sehr viel erleben durfte. So gräbt sich die BMW Adventure mit 450 Kilogramm Gesamtgewicht plus gefräßigem Schwaben deutlich tiefer in den losen Sand, als eine schlanke F 800 GS nebst drahtigem Iren.
Vergessen kann ich die Wüste schon gar nicht, weil sie mich durch ihre Armut an Außenreizen mit einem sehr guten Freund bekannt machte: Mit mir selbst! Aber natürlich ist dieses Land viel mehr als »nur« Wüste.
Wenn ich heute auf Marokko angesprochen werde, schießen mir die gigantischen grünen Zedernwälder des Rif-Gebirges durch den Kopf. Ich sehe zehntausende Dattelpalmen vor mir, die flankiert von Erdbeeren, Feigen und Pfirsichbäumen das Flussufer des Draá säumen, der zu den längsten Flüssen der Erde zählt. Hinter den mächtigen, schneebedeckten Gipfeln des Hohen Atlas steigt der Mond auf. Er taucht mein Nachtlager auf dem Dach eines kleinen Hofes in sanftes Licht und deklassiert, umkreist von Millionen Sternen, jedes Luxusresort zu einer banalen Erscheinung.
In den Tälern des Antiatlas gesellt sich das herzerwärmend freie Lachen der Berberkinder zum Gezwitscher Hunderter Vögel, die sich in den schattenspendenden Akazien tummeln. Ich lasse mich von duftenden Winden über die Wildblumenmeere des Nordens sanft dahintragen, friere erbärmlich in den Tropfsteinhöhlen von Taza und stehe demütig unter tosenden Wasserfällen im Regenwald. Die Rauchschwaden glühender Holzkohlefeuer vermengen sich in meiner Nase mit dem Duft gegrillter Lammspieße, und ich spüre den aromatischen Saft von Früchten aus schier endlosen Orangenhainen meinen Hals hinab fließen. Ich lache mich schief über Ziegen in der Arganeraie, die dort auf Bäumen herumklettern, um an die nur hier wachsenden, kostbaren Arganmandeln zu gelangen.
Hundert Worte für Sand
Am Lagerfeuer in der Sahara lausche ich wildem Trommelgewitter und trillernden Gesängen aus den Nomadenzelten. Während der heiße Sand auf den Dünen Merzougas zwischen meinen Zehen hervor quillt, fällt mir ein, dass die Berber hundert Begriffe für diese Mineralkörnchen kennen.
Ich beobachte springende Oryxantilopen im Souss Massa Nationalpark und bekomme an der algerischen Grenze mitten in der Nacht Todesangst in meinem Zelt – als ein Dromedar seinen mächtigen Kopf zu mir hereinsteckt. Während ich in der Lagune von Dakhla bis zur Hüfte im Wasser stehe, ziehen zahllose Flamingos im Formationsflug direkt über meinen Kopf hinweg.
Orientalische Küchenzaubereien, die unter den Lehmhauben der Tajine-Gefäße am Straßenrand brutzeln, lösen wahre Aromafeuerwerke in meinem Gaumen aus. Ebenso wie die frische Nana-Minze im zuckersüßen »Berberwhisky« – dem typisch marokkanischen Minztee.
Ich könnte ewig so fortfahren. Zum einen, weil ich auf meinen Reisen unglaublich viel erleben durfte. Vor allem aber, weil ich Marokko und seine Menschen lieben gelernt habe. Gleichwohl bleibt mein Blick auf Marokko der eines Europäers, der für seine Landsleute reizvolle Motive aus dem Alltag hart arbeitender Menschen herausstanzt. In Essaouira öffnete mir ein Händler in dieser Hinsicht die Augen, als er eine Einkaufstüte über mein Objektiv stülpte – ich bin ihm sehr dankbar für seinen Hinweis.
Viele Marokkaner sehen ihre Heimat mit anderen, kritischeren Augen.