Zalagh - Legende, Symbol und imposante Erhabenheit
Wer sich Fès aus östlicher oder westlicher Richtung nähert, wird unweigerlich von den imposanten Gipfeln der Berge „Zalagh“ und „Tghat“ angezogen, die wie mächtige Wächter über den nördlichen Hängen der Stadt thronen. Besonders von der nordöstlichen Seite zeigt sich der Berg Zalagh in seiner massiven, runden Form, deren Farbe je nach Lichtverhältnissen von Grau bis Aschfarben schimmert.
Die Bezeichnung „Zalagh“ umfasst die landwirtschaftlichen Gebiete östlich von Fès und steht bis heute als Symbol für die beeindruckende Erhabenheit, die die Bewohner der Stadt täglich bestaunen. Ob bei Wanderungen, Reisen oder Ausflügen - der Berg wird immer wieder als landschaftlicher Höhepunkt wahrgenommen, der wie eine natürliche Erweiterung der Stadtlandschaft erscheint. Er fügt sich nahtlos in das städtische Wachstum ein, das sich beinahe märchenhaft an die ländliche Umgebung anschmiegt. Westlich von Zalagh, auf der gegenüberliegenden Seite von Fès Jdid, der Neustadt der Meriniden, erhebt sich der Berg Tghat. Von den Einheimischen wird sein Name oft als „Thghat“ ausgesprochen, eine Verfälschung des ursprünglichen Amazigh-Namens „Taghghat“, der „Ziege“ bedeutet. In alten Schriften taucht er auch unter dem Namen „Berg der kleinen Mandelbäume“ („al-Lwizaat: اللويزات“) auf.
Tief in der Volkskultur der Bewohner von Fès verankert, spiegelt sich der Name „Zalagh“ in ihren alltäglichen Redewendungen wider. So sagt man etwa: „Er stieg auf den Berg Zalagh“, um Sturheit, Unnachgiebigkeit oder sogar Überheblichkeit zu beschreiben. Mit einer Höhe von fast 1000 Metern und einer Ausdehnung von über 22 Kilometern in östlicher Richtung thront der Berg majestätisch über der Altstadt und ihrer Umgebung. Von nahezu jedem Punkt der Stadt, sei es von den verwinkelten Gassen oder den weitläufigen Dächern, bleibt Zalagh stets sichtbar und präsent.
Zalagh ist bis heute ein unverwechselbares Wahrzeichen von Fès. Sein Name findet sich auf zahlreichen Handels- und Tourismuseinrichtungen der Stadt wieder, und die Bewohner von Fès haben ihn voller Stolz in andere Städte getragen, wo sie ihre Geschäfte und Projekte nach ihm benannten.
Die markante Präsenz des Berges Zalagh in der Landschaft der Stadt hat eine tiefe Verbindung zu den Menschen geschaffen - geprägt von Bewunderung, Respekt, Staunen und Neugier. Um den Berg ranken sich zahlreiche Legenden und Erzählungen, doch nur wenige haben je seinen Gipfel erreicht. Für die Bewohner von Fès ist er ein treuer Begleiter ihrer Erinnerungen an Ausflüge, Wanderungen und Frühlingsspaziergänge. Als einzig herausragender Berg in der Umgebung der Altstadt erhebt er sich majestätisch und unvergleichlich, ein stiller Wächter, der das Leben und die Kultur der Stadt nachhaltig prägt.
Der Berg Zalagh in der Geschichte und den Augen der Reisenden
Das Interesse am Berg Zalagh ist keineswegs eine Erscheinung der Neuzeit. Schon die Alten widmeten ihm Aufmerksamkeit, darunter der Historiker Ibn Abi Zar, der Gelehrte Hassan al-Wazzan und zahlreiche westliche sowie moderne Reisende, die Fès besuchten. In „Das erfreuliche Gespräch im Garten der Chronik“ beschreibt der Autor die Suche des Idrissidenherrschers im späten 8. Jahrhundert nach einem geeigneten Ort für die Gründung der Stadt. Er berichtet: „Zunächst wählte Idris einen Platz an den (vermutlich nördlichen) Hängen des Berges Zalagh, der auf Fès hinabblickt. Der Bau der Stadtmauer hatte bereits begonnen, als ein Sturm und eine Flut kamen, die Mauern, Zelte und Menschen hinwegfegten. Daraufhin gab Idris das Vorhaben an diesem Ort auf.“
Auch Hassan al-Wazzan widmete dem Berg in seinem Werk „Beschreibung Afrikas“ eine detaillierte Passage: „Der Berg Zalagh beginnt östlich des Flusses „Sebou“ und endet etwa 14 Meilen westlich von ihm. Der höchste Punkt des Berges liegt im Norden, rund sieben Meilen von Fès entfernt. Der südliche Hang des Berges ist vollständig unbewohnt, doch die nördlichen Hänge sind von hervorragenden Hügeln geprägt, auf denen zahlreiche Dörfer und Festungen thronen. Fast alle landwirtschaftlich nutzbaren Flächen sind mit Weintrauben bepflanzt, die die besten Trauben hervorbringen - die süßesten, die ich je gekostet habe. Auch Oliven und andere Früchte aus dieser Region zeichnen sich durch außergewöhnliche Qualität aus, da der Boden trocken ist.“ Die Bewohner dieser Region zählen zu den Wohlhabendsten, und fast alle besitzen ein Haus in der Stadt. Viele angesehene Persönlichkeiten von Fès verfügen darüber hinaus über Weinberge am Berg Zalagh. Die nördlichen Hänge des Berges sind von grünen Tälern und üppigen Obstgärten geprägt, die durch den Fluss Sebou, der von Süden her fließt, bewässert werden. Die Bauern nutzen die verfügbaren Materialien, um Wasserschöpfräder zu bauen, mit denen sie das Flusswasser auf ihre Felder leiten. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche des Zalagh ist so umfangreich, dass es zweihundert Paar Ochsen bedarf, um sie zu pflügen.
Roger Le Tourneau, französischer Schriftsteller, Historiker, Orientalist und Nordafrika-Spezialist (1907 - 1971), beschrieb den Berg Zalagh mit poetischen Worten: „Zalagh - der stille, karge und aufrechte Wächter. Die geraden Wege sind in dieser massiven und dichten Erhebung selten. Plötzlich jedoch kann man durch eine enge Gasse einen Blick erhaschen - auf einen Winkel eines Viertels, auf gestaffelte Dächer, die sich gen Himmel abheben, oder auf den ehrfurchtgebietenden Zalaghs.“ Diese Beschreibungen zeichnen ein Bild des Zalagh-Bergs, der sowohl durch seine majestätische Natur als auch durch die Mythen und Geschichten, die ihn umgeben, fasziniert. Ein Berg, der die Stadt überragt und zugleich mit ihr verschmilzt - ein stiller Zeuge der Geschichte und ein lebendiger Teil der Landschaft von Fès.
Der Berg und seine symbolische Bedeutung
Zalagh hat seinen ursprünglichen, aus dem Amazigh stammenden Namen bewahrt, was „Ziegenbock“ bedeutet. Er hebt sich damit von vielen anderen Bergen Marokkos und Nordafrikas ab, deren einheimische Namen durch fremde Bezeichnungen ersetzt wurden - oft ohne Bezug zu den ursprünglichen Bewohnern und ihrer Kultur. Ein Beispiel für diesen Wandel ist der Gebirgszug „Darn: درن“, dessen Name in der Amazigh-Sprache „Berg des Lebens“ bedeutet, wurde in „Der Hohe Atlas“ umbenannt. Dieses Gebirge bot seinen Bewohnern an seinen Hängen Quellen, fruchtbare Böden für den Anbau von Obst und Gemüse sowie Schutz und reiche Tierbestände. Doch während der französischen Kolonialzeit erhielt er offiziell den Namen „Hoher Atlas“, inspiriert von griechisch-römischen Mythen. In diesen wird Atlas als der Titan beschrieben, der die Himmelskuppel auf seinen Schultern trägt, vergleichbar mit anderen mächtigen Gottheiten wie Okeanos oder Kronos.
Ähnlich erging es dem Berg „Fizaz: فزاز“, einem mittelgroßen Gebirgszug, der für seine Zedern- und Eichenwälder bekannt ist und die Quelle des Flusses Oum Er-Rbi‘a bildet. Es wurde in „Mittlerer Atlas“ umbenannt. Die Bergkette „Ahaqar: أهاقار“, deren Name „Rabe“ bedeutet und die einst ein Rückzugsort für Wüstenbewohner und zahlreiche Tierarten war, wurde in „Kleiner Atlas“ umbenannt.
Zalagh hingegen behielt nicht nur seinen Namen, sondern erhielt auch eine poetische Zusatzbezeichnung: „Berg des Schattens“. Diese Bezeichnung geht auf seine markante Rolle zurück, den Sonnenaufgang für die unterhalb gelegener Dörfer zu verzögern. Der Berg Zalagh ist damit nicht nur ein geographisches Wahrzeichen, sondern auch ein Symbol für kulturelle Beharrlichkeit und die Verbindung der Landschaft mit der Geschichte und Identität seiner Bewohner.
Der Berg, die Erinnerung und die Spiritualität
Der Berg Zalagh ist für die Bewohner von Fès weit mehr als ein Ort fruchtbarer Böden und reicher Ernten. An seinen Hängen und auf den versteckten Feldern in den Gebieten „Lemta“ und „Khandaq Hmam“ gedeihen Oliven, Feigen, Trauben, Gemüse und andere Früchte von höchster Qualität. Diese Gegenden waren besonders bei den wohlhabenden Bürgern von Fès begehrt, die dort landwirtschaftliche Flächen erwarben und prächtige Landhäuser errichteten, um die milden Jahreszeiten des Frühlings und Herbstes zu genießen. Darüber hinaus ist Zalagh untrennbar mit dem jährlichen Fest zu Ehren des Heiligen Sidi Ahmed al-Barnoussi (سيدي أحمد البرنوسي) verbunden. Sein Grabmal befindet sich auf einer Anhöhe zwischen Zalagh und dem benachbarten Berg Tghat, nur wenige Kilometer außerhalb der Stadtmauern von Fès. Jedes Jahr im Mai pilgern zahlreiche Besucher aus Fès, den umliegenden Dörfern und sogar aus entfernten Regionen zu diesem heiligen Ort. Sie nehmen an religiösen Zeremonien sowie kommerziellen und geselligen Feierlichkeiten teil, die das Fest zu einem lebendigen Ereignis machen.
Der stille Hüter
Der Historiker Ali al-Jazna-i beschrieb den Berg Tghat im 14. Jahrhundert in seinem Werk „Die duftende Myrte im Aufbau der Stadt Fès: جني زهرة الآس في بناء مدينة فاس“: „Die Stadt Fès wurde in einem Tal erbaut, umgeben von üppigen Bäumen, durchzogen von fließenden Flüssen und sprudelnden Quellen, zwischen zwei kleinen Bergen: „Zalagh“ und „Al-Lwizat“ oder zwei erhabenen Hügeln: ‚Qbibat Bani Mrin‘ und ‚Al-Msalla‘.“ Diese beiden Berge sind nicht nur geographische Wahrzeichen, sondern auch ein Symbol für die Verschmelzung von Natur, Geschichte und Kultur, die die Stadt Fès und ihre Bewohner seit Jahrhunderten prägen. Tghat war zudem nicht nur ein geographisches Merkmal, sondern ein Ort des wirtschaftlichen und kulturellen Austauschs - ein stiller, aber unverzichtbarer Teil der Geschichte von Fès und seiner Umgebung.
Der Name „Tghat“ hat sich ebenso fest in das kollektive Gedächtnis der Bewohner der Stadt Fès eingeprägt wie der Name des benachbarten Berges Zalagh. In der Alltagssprache wird Tghat oft als Symbol für das Ferne und Unerreichbare verwendet. So sagt man etwa: „Allah ydik L-‚Tghat“ - „Möge Gott dich nach Tghat verbannen“ -, was so viel bedeutet wie an einen entlegenen Ort geschickt zu werden. Dieser Ausdruck spiegelt die relative Abgelegenheit des Berges Tghat wider, der im Vergleich zu Zalagh, der direkt über die Altstadt wacht, seitlich und weiter entfernt liegt.
In der volkstümlichen Vorstellung von Fès sind die beiden Berge von einer gemeinsamen mythischen Erzählung umwoben. Sie werden als steingewordene Gestalten eines Ziegenbocks und einer Ziege gesehen - Symbole für Schutz und Widerstandskraft. Diese Tiere, die den Menschen Milch und Felle spendeten, galten zugleich als wild und unbezähmbar. Der Legende nach wurden der Bock und die Ziege versteinert und verwandelten sich im Laufe der Zeit in die beiden mächtigen Berge, die heute als Wächter die Stadt von Osten und Westen beschützen.
Obwohl beide Berge aus unbelebtem Gestein bestehen, leben sie in der kollektiven Fantasie der Menschen als lebendige, tierähnliche Wesen weiter. Ihre ursprünglichen, unveränderten Namen bewahren eine tief verwurzelte marokkanische Identität, die bis heute in der Sprache und im kulturellen Gedächtnis lebendig geblieben ist.
Über Idriss Al-jay
Übersetzung aus dem Arabischen