Wir haben eine fantastische Welt entdeckt
"Am Ende haben wir den Gipfel zwar nicht erreicht, aber wir haben eine fantastische Welt entdeckt und es hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Danach begann ich, viel in Marokko (und in anderen afrikanischen Ländern) zu reisen. Fünf Jahre später ließ ich mich dort nieder, zuerst im Norden, in Assilah, wo ich immer noch ein Haus habe, dann 1991 im Süden. Ich wählte Tinghir für ein touristisches Projekt, ein sehr geeigneter Ort für Besucher, der zu der Zeit noch unzureichend erschlossen war", so Roger Mimó.
Roger Mimó betrat Marokko im Jahr 1984 zum ersten Mal als Teil einer Gruppe von Bergsteigern um den Toubkal-Gipfel zu besteigen. Durch fehlende Informationen stieg die Truppe mehrere Tage auf der Suche nach einem Zugang zum Gipfel durch die Berge. Dabei wurden sie von Imazighen aufgenommen und beherbergt.
In Assilah verdiente sich Roger als ausgebildeter Journalist zunächst als Fremdenführer für spanische Reisebüros seinen Lebensunterhalt. Später in Tinghir stieg er in das Hotelgewerbe ein, vergaß darüber aber nie seine Leidenschaft am Schreiben. So gern er schreibt, sieht er diese Tätigkeit als einzige Verdienstquelle doch kritisch: „Allerdings ist mir bewusst, dass man sehr bekannt sein und über kommerziellere Themen schreiben muss, um davon leben zu können. Die traditionelle marokkanische Kultur zieht nur eine kleine Anzahl von Lesern an. Außerdem schreibe ich fast alles auf Spanisch und das Publikum für dieses Thema ist noch kleiner.“
Im Jahr 1994 stellten sich für Roger Mimó erneut die Weichen, als in Tinghir eine alte Kasbah zu einem Hotel umgebaut wurde. Die traditionelle Lehmbauweise faszinierte ihn so, dass sie zum Hauptgegenstand seiner Forschungen wurde. Aber das wäre eine zu einseitige Sicht auf die Interessensbereiche von Roger. Traditionelle marokkanische Kultur einschließlich Architektur, Geschichte, Ethnologie, Kunst, Bräuche und Literatur stehen für ihn genauso im Fokus. Seine Beweggründe formuliert er sehr nachvollziehbar: „Die Kultur ist durch den Einfluss des Westens im Verschwinden begriffen und bis jetzt noch wenig erforscht. Meine Leidenschaft ist es also, nach den noch vorhandenen Daten zu suchen, alles aufzuzeichnen und zu veröffentlichen, damit es für zukünftige Generationen verfügbar bleibt. Eines Tages, wenn fast alles, was wir heute noch sehen können, verschwunden sein wird, werden diese Informationen für Forscher von großem Wert sein.“ Dabei reizt ihn die letzte Chance, etwas zu beobachten, was noch vorhanden ist, oder zumindest die Möglichkeit, diese fast vergessenen historischen Stätten zu lokalisieren und die Koordinaten zu notieren.
Erleichtert wird ihm seine Suche, indem er gelernt hat, Gebäude oder Ruinen zu beobachten und den Bewohnern Fragen zu stellen. Dann beginnt seine eigentliche Arbeit am Schreibtisch, weil er seine Erkenntnisse mit vorhandenen, oft alten Dokumenten vergleicht, Berichte studiert und manchmal auch chronologische Fehler erkennt. Seine im Hotel Tomboctou auch für interessierte Gäste geöffnete umfangreiche Bibliothek ermöglicht ihm, Forschungsergebnisse zu untermauern. Und meist führt ein gefundenes Ziel gleich weiter zum nächsten - eine Kettenreaktion, die bei intensivem Einstieg in die Materie fast zum Selbstläufer wird.
Roger Mimó Lladós, geboren 1962 in Spanien, hat sich 1989 endgültig in seiner Wahlheimat Marokko niedergelassen. Er lebt mit seiner Familie in Tinghir und setzt sich mit all seinem Können und Wissen intensiv für den Kulturerhalt Marokkos ein. Das Engagement dieses so bescheiden und zurückhaltend arbeitenden Wissenschaftlers verdient es, für die interessierte Öffentlichkeit etwas in den Fokus gerückt zu werden. |
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Dass er sich mit seiner Arbeit einen Namen verdient hat, beweisen seine Worte: „In den letzten dreißig Jahren habe ich mit einer Vielzahl von privaten Forschern, Universitäten, Studenten, die ihre Diplomarbeit vorbereiten, Organisationen wie CERKAS, die zum Kulturministerium gehört, NGOs, privaten Investoren, die an der Sanierung alter Gebäude interessiert sind, zusammengearbeitet... Im Jahr 2010 wurde ich sogar für ein paar Monate engagiert, um einen Bericht über die Möglichkeiten der Nutzung einiger Kasbahs durch das Tourismusministerium zu erstellen.“
In deutschsprachigen Reiseführern taucht der Name Roger Mimó immer wieder im Zusammenhang mit der Rekonstruktion traditioneller Gebäude auf.
Die Frage, nach welchen Kriterien er so eine Auswahl trifft, beantwortet Roger ausführlich: „Ich habe nie daran gedacht, eine Auswahl zu treffen, weil die sehr begrenzte Anzahl von Möglichkeiten dies nicht zulässt. Ich sage ja zu jedem Vorschlag, der darauf abzielt, irgendein historisches Gebäude im Süden Marokkos zu untersuchen oder zu erhalten. Als mich also Leute aus Ksar El Khorbat in Tinejdad ansprachen, ob ich nicht ein Projekt in diesem Dorf machen wollte, habe ich sofort zugesagt. Ich ging mit meiner Arbeit und meinem persönlichen Kapital dorthin, um in diesem alten Lehmdorf ein Haus zu rekonstruieren und ein Museum einzurichten. Dazu suchte ich in Spanien nach Organisationen, die den gesamten öffentlichen Teil finanzierten: Abwasserentsorgung, Pflasterung der Straßen, Verkleidung der Mauer usw. Denn viele der Häuser in diesem Dorf sind noch bewohnt. Heute ist Ksar El Khorbat immer noch in gutem Zustand, während es ohne diesen Eingriff in Ruinen liegen würde, wie die meisten der alten ummauerten Dörfer in der Region.
Auch als mir die Einwohner von Afanour, in der Nähe von Tinghir, erzählten, dass sie gerade die fantastische Ikelane-Moschee aufgegeben hatten, weil sie eine neue Moschee aus Stahlbeton neben der Straße gebaut hatten, schlug ich ihnen sofort vor, dieses Denkmal für touristische Besuche zu restaurieren, bevor es anfängt zu verfallen. Ich suchte wieder nach einer Finanzierung durch einen Verein in Barcelona und half sogar bei der Finanzierung der letzten Phase der Arbeiten.
Bei anderen Projekten habe ich nur Investoren gefördert, die bereits über eigene Mittel verfügten und sie mit meiner Erfahrung beraten. Dies ist der Fall bei der Kasbah Ben Moro und der Kasbah Aït Abou in Skoura, sowie bei der Kasbah Aït Kassi in Dades.“
Persönlich sehr stark involviert war er bei der Gestaltung des Museums im Ksar El Khorbat. So trug er Ausstellungsgegenstände zusammen, organisierte die räumliche Aufteilung der Objekte und schrieb die dazugehörenden Erklärungen.
Die Bibliothek im Hotel Tomboctou
Schaut man sich die bereits erwähnte Bibliothek im Hotel Tomboctou an, kann man nur den Hut ziehen vor der Vielzahl an Veröffentlichungen unter seinem Namen: Studien über die traditionelle Kultur des südlichen Marokkos, aber auch Reiseführer über verschiedene arabische Länder, Reiseberichte und sogar Romane, Kulturkarten und eine eigene Webseite. Besser als es Roger Mimó aus vollem Herzen formuliert, kann man die Beweggründe für seinen Einsatz nicht wiedergeben: „Meine Idee ist, dass das gebaute Erbe den Tourismus in diese Region anziehen kann und dass der Tourismus helfen kann, das gebaute Erbe zu erhalten.“ Und auf die Frage, ob aus seiner Sicht noch Erwähnenswertes offen geblieben ist, kommt sofort die Ergänzung: „Ich möchte nur die jungen Leute und besonders die jungen Marokkaner ermutigen, ihre Forschungen und Bemühungen für den Erhalt des architektonischen Erbes fortzusetzen, das Zeuge einer Vergangenheit ist, die, auch wenn sie vom heutigen Leben völlig überholt ist, nicht vergessen werden darf.“
Solange er das Hotel in Tinghir noch als Lebensunterhalt für sich und seine Familie führt, muss Roger nach eigenen Worten noch etwas kürzer treten, was seine Leidenshaft für das Reisen und Schreiben betrifft. Mit Beginn seines Ruhestandes in absehbarer Zeit wünscht er sich aber, dafür mehr Raum zu finden, denn: „In Marokko gibt es noch so viel zu erforschen!“
Weitere Infos:Ksar El Khorbat: Le Musée des Oasis Tinghir: Kasbah n'Cheikh Bassou Ou Ali, heute: Hotel Tomboctou |
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marokko erfahren und Roger Mimó
Als wir uns 2017 intensiv mit den Igoudar im Anti Atlas beschäftigten, standen wir öfter recht fassungslos in Ruinen von Speicherburgen und entdeckten dort zahlreiche alte Gebrauchsgegenstände und historische auf Papier oder Holz geschriebene Dokumente achtlos im Staub liegend. Die Gebäude können wir nicht retten aber die transportablen Dinge sollten doch für die Nachwelt erhalten bleiben?
Mit dieser Einstellung kontaktierten wir u. a. Roger Mimó, den wir durch sein Museum in El Khorbat kannten und fanden in ihm auf Anhieb einen Gleichgesinnten.
Bei einem späteren Besuch in Tinghir führte Roger uns fachkundig durch das vollständig rekonstruierte Ksar und versorgte uns mit vielen Informationen.
Mittlerweile findet eine regelmäßige Zusammenarbeit statt, wir verfolgen u. a. gemeinsam Routen von Wissenschaftlern und Forschern aus dem 19. und 20. Jahrhundert, tauschen Daten aus und diskutieren über die oft zahlreichen Namen für ein und dasselbe Dorf oder Gebäude. Roger war im vergangenen Jahr mehrfach für uns mit der Kamera unterwegs, um uns fehlende Fotos für die weitere Kartenarbeit zuzuarbeiten.
Fotogalerie Roger Mimó
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