Wie eine Rose, ein Gedicht von Meririda Nait Atik
1900 geboren, war Meririda Nait Atik eine Amazigh-Dichterin (mündliche Dichtung) aus Tassaout im Höheren Atlas. Meririda arbeitete in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts als Prostituierte.
Ihre mündlichen Gedichte auf Tamazight (Berbersprache) wurden 1927 von dem französischen Lehrer René Euloge, der Tamazight lernte, aufgeschrieben und ins Französische übersetzt.
Wie eine Rose
Ich weiß, wie lange deine Lust andauern wird!
Was kannst du mir für meine Freiheit geben?
Aber vorher entferne deinen verwerflichen Blick,
damit er mir nicht die Schande meines Berufes vermitteln kann,
Diesen Beruf dem ich viel Spaß verdanke...
Gibt es überhaupt ein anderes Schicksal, welches mich glücklicher machen könnte?
Und was ist mit dir? Du, der mich bittet, nur für dich da zu sein...?
Was kannst du mir gewähren? Sprich, du naiver junger Mann!
Tage ohne Fleisch, ohne Zucker und ohne Lieder.
Nur mit Schweiß und Schmutz der harten Arbeit,
schmutzige Kleidung und der schreckliche Rauch der dunklen Küche.
Während du, Adrissi, tanzen gehst, wirst du mit Sicherheit von mir verlangen,
Kinder zu gebären, Kinder und noch mehr Kinder!
Siehst du nicht, dass ich nicht dafür geschaffen wurde?
Lass mich zum Azilal-Markt zurückkehren.
Du verschwendest nur deine Zeit! Ebenso erschöpft mich dein ständiges Verlangen.
Und warum willst du, dass ich arbeite,
während ich von den Männern mit Geld und Geschenken überhäuft werde?
Ich bin wie eine Rose mit einem berauschenden Duft.
Sie hat keine anderen Sorgen, als sich zu öffnen,
damit sie jede Nacht und jeden Tag
den milden Tau und das Kitzeln der Sonne empfängt.
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Das Gedicht wurde aus dem Tamazight von Dr.Abderrahmane Ammar übersetzt. Dr. Ammar ist Journalist und Islamwissenschaftler, lebt und arbeitet in Berlin. Neu von ihm erschienen ist das Buch “Religion und Identität - Junge Marokkaner in Deutschland - das Beispiel Frankfurt“ im Transcript Verlag.