Zum Hauptinhalt springen

Weil ein Elefant nicht genug ist, gibt es noch eine Elefantin dazu

Dieses Sprichwort, das seinen Ursprung in einer Zeit großer Herausforderungen hat, wird oft verwendet, um auszudrücken, dass eine ohnehin schon schwierige Lage durch zusätzliche Probleme noch verschärft wird.

Königin Victoria schenkte Sultan Hassan I. einen nahezu weißen indischen Elefanten namens "Stoke"Die Wurzeln dieses Sprichworts reichen zurück in die Zeit zwischen 1891 und 1893, als Marokko von einer Reihe von Krisen erschüttert wurde. Die Menschen in Marokko, insbesondere in Städten wie Fès, erinnern sich noch heute an diese Zeit großer Not, die als das "Jahr des marokkanischen Elefanten" bezeichnet wird.

Elefanten in der arabischen Wüste

Die Vorstellung eines Elefanten in der arabischen Wüste mag zunächst befremdlich wirken. Doch die Geschichte zeigt, dass auch in Kulturen, die weit entfernt von den natürlichen Lebensräumen dieser Tiere sind, eine tiefe Faszination für sie bestehen kann.

Ganesh Maharashtra, Foto: Jonoikobangali auf commons.wikimediaDer Elefant wird als lernfähig, anpassungsfähig und ein großer Kämpfer beschrieben. Er gilt als weise, unterscheidungsfähig, besitzt ein starkes Gedächtnis, ein langes Leben und wird insbesondere in der indischen Kultur als heilig verehrt. In der hinduistischen Religion ist Ganesha, ein Gott mit einem Elefantenkopf und dem Körper eines kräftigen Jungen, vier Händen und gelber Haut, ein Symbol der Weisheit, Klugheit, des Friedens und der Überwindung von Hindernissen.

Die Entscheidung des äthiopischen Herrschers Abraha (أبرهة الحبشي), Mekka anzugreifen und die Ka'ba zu zerstören, lenkte die Aufmerksamkeit der Araber auf dieses Tier. Dieses Ereignis wurde zu einem der bedeutendsten in ihrer Geschichte und erhielt den Namen „Das Jahr des Elefanten“. Es wurde zu einer der wichtigsten historischen Markierungen, die sie in ihrer Chronologie verwendeten.

Abrahas Ziel war es nicht, den Elefanten „Mahmud“ einzusetzen, um das kleine Bauwerk - im Vergleich zu der großartigen Kirche al-Qalīs (القليس), die er hatte bauen lassen - zu zerstören. Vielmehr wollte er im Falle von Widerstand Angst und Schrecken unter den Arabern verbreiten, indem er ein Tier mitbrachte, das sie zuvor noch nie gesehen hatten.

Angesichts der Bedeutung dieses Ereignisses wurde ihm sogar im Koran eine eigene Sure, 105: Al Fil (der Elefant), gewidmet: „Hast du nicht gesehen, wie dein Herr mit den Leuten des Elefanten verfahren hat?“ (أَلَمْ تَرَ كَيْفَ فَعَلَ رَبُّكَ بِأَصْحَابِ الْفِيلِ).

Auch Musailima ibn Habib al-Hanafi, der im Jahr 632 n. Chr. den Anspruch erhob, ein Prophet zu sein, erkannte die Bedeutung und die Wunderhaftigkeit dieses Tieres für die Araber. Er widmete ihm in seiner angeblichen Offenbarung ebenfalls eine eigene Sure: „Der Elefant, und was weißt du was den Elefanten ist. Er hat einen langen Rüssel und einen kurzen Schwanz“, (الفيل وما أدراكَ ما الفيل له خرطوم طويل وذيل قصير).

Ein Elefant namens Abu al-Abbas

Der deutsche Mittelalterhistoriker Michael Borgolte erwähnt in seinem Buch Der Gesandtenaustausch der Karolinger mit den Abbasiden und mit den Patriarchen von Jerusalem“, dass im Jahr 798 n. Chr. der abbassidische Kalif Harun al-Raschid eine Gesandtschaft aus dem Reich der Franken (dem heutigen Deutschland und Frankreich) empfing.Als Geschenk für deren König Karl den Großen überreichte er einen weißen Elefanten namens Abu al-Abbas sowie eine kunstvoll gefertigte Wasseruhr. Diese Uhr kündigte jede Stunde durch Schläge an, die mithilfe eines automatischen Hammermechanismus ausgelöst wurden. Das sorgte für große Verwirrung am Hofe Karls des Großen, wo die Anwesenden in Panik davonliefen, weil sie glaubten, dass in der Uhr Geister oder Dämonen verborgen seien.

Ein Elefant namens „Stoke“

Qeen VictoriaAls Symbol der diplomatischen Beziehungen zwischen Großbritannien und Marokko erreichte im August 1891 ein außergewöhnliches Geschenk die marokkanische Küste: Königin Victoria schenkte Sultan Hassan I. einen nahezu weißen indischen Elefanten namens "Stoke". Der Gesandte William Kirby Green, der seit 1886 in Marokko tätig war, überbrachte das Tier nach Tanger. Dieses Geschenk sollte die freundschaftlichen Bande zwischen den beiden Königreichen festigen und die Bedeutung Marokkos für die britische Außenpolitik unterstreichen.

„Stoke“ war einer der burmesischen Elefanten, die einige Jahre zuvor von den Briten während ihrer Eroberung Burmas nach Britisch-Indien gebracht wurden. Dieser Elefant gehörte ursprünglich König Thibaw (1858–1916), dem letzten König von Burma, und diente lange Zeit als heiliges Symbol der Dekoration in seinem königlichen Palast in Mandalay. Elefanten dieser Linie zeichnen sich durch einige helle, blassbraune Flecken auf ihrem Rüssel, Kopf und den Ohren aus.

Bevor das Geschenk den Sultan erreichte, führte sein Weg über Rabat zu einem Lager, das in der Region zwischen Salé und Zemour (heute Khémisset) aufgeschlagen war. Dort befand sich der Sultan auf seiner Rückreise von Marrakesch in die Hauptstadt Fès. Beinahe hätte dieser Elefant jedoch bei seiner Ankunft im Hafen von Tanger das Leben verloren, als er beim Entladen ins Meer zu stürzen drohte und dabei auch die anwesenden Seeleute in Gefahr brachte.

Sultan Hassan I.Die Ankunft des Elefanten in Tanger löste große Angst unter den Stadtbewohnern aus, da sein massiver Körperbau und seine enorme Größe, die fast drei Meter erreichte, sowie sein Gewicht von etwa vier Tonnen die Menschen einschüchterten. Die meisten Marokkaner hatten in den letzten vierzehn Jahrhunderten noch nie ein Tier dieser Art gesehen.

Bevor die königliche Gabe „Stoke“ weitertransportiert werden konnte, richtete man für den als kräftig und wild beschriebenen Elefanten einen eigenen Stall in der Kasbah von Tanger ein. Ohne das Geschick seines indischen Tierbändigers wäre es kaum möglich gewesen, ihn dorthin zu bringen. Der Elefant blieb dort für eine gewisse Zeit, bis der Moment seiner Weiterreise nach Fès gekommen war.

Dieses Geschenk wurde in einer Phase überreicht, in der Marokko großes Ansehen und Einfluss bei den europäischen Mächten genoss. Bereits seit jeher erhielten die marokkanischen Sultane zahlreiche Geschenke, sei es von afrikanischen Königreichen - wie die wunderschöne Giraffe, die 1.360 vom König von Mali dem Meriniden-Sultan Abu Salem geschenkt wurde. Dies war ein beeindruckendes Spektakel, da die Menschen noch nie zuvor eine Giraffe gesehen hatten und sich in Massen versammelten, um sie zu bewundern, oder von europäischen Staaten, die damit bestimmte Handels- oder politische Privilegien innerhalb Marokkos erlangen wollten.

Einer der berühmtesten römischen Historiker, Plinius der Ältere (bekannter römischer Gelehrter und Schriftsteller, 20-79 n. Chr.), erwähnt in seinem Werk, Buch 5, Kapitel 1: „Die Stadt Salé liegt nördlich am Fluss, sehr nahe der Wüste und ist aufgrund von durchziehenden Elefantenherden unsicher, aber noch mehr wegen des Stammes der Atuladen [Berberstamm, der in der Antike in Nordafrika lebte.], durch dessen Gebiet der Weg zu den Atlasbergen führt.“

Die Ankunft des Elefanten in Fes wurde offiziell begangen: Ein Soldatenregiment, Minister, Staatsbeamte und die Würdenträger des Landes nahmen an der Begrüßung teil. Vor dem Sultan und seinem Hofstaat wurde der burmesische Elefant in einer beeindruckenden Darbietung vorgeführt. Sein indischer Dompteur saß auf seinem Rücken und ließ den Elefanten auf Anweisung Schritte vorwärts und rückwärts machen, sich auf sein Hinterteil setzen und mit seinem Rüssel Wasser spritzen. Der Tag gipfelte in einem feierlichen Abschluss mit Kanonensalven.

Charles Euan Smith 1893 Foto Von Elliott und Fry commons.wikimedia.orgAm 2. September 1891 konnten die Einwohner von Fès ein großes Fest am Stadtrand erlebten, bei dem sie den exotischen Elefanten bei seinen akrobatischen Vorführungen bestaunen konnten. Für viele war dies ein noch nie dagewesenes Spektakel. Es war ein einzigartiges Ereignis, da zum ersten Mal ein Elefant nach Marokko gebracht worden war. Dieses Jahr ging daher als das „Jahr des marokkanischen Elefanten“ in die Geschichte ein. Sir Charles Euan-Smith berichtet in seinem Buch „Marokko, wie es ist“ (1893): „In der Hauptstadt Fès versammelten sich Menschenmengen, um das Tier zu sehen. Während der Prozession des Elefanten durch die Stadt stürzten viele Frauen und Kinder zu Boden und wurden zu Tode getrampelt - nicht unter den Füßen des sanften Elefanten, sondern durch den Ansturm des aufgebrachten Mobs, der sich durch die engen Straßen zum Schrein von Moulay Idris drängte.

Seit seiner Ankunft in Fès wurde der Elefant „Stoke“ ein wöchentlicher Besucher in den Straßen der Stadt. Jeden Freitag begleitete er den Sultan als Teil seiner Prozession zur Moschee. Der Elefant trug dabei einen prachtvollen Sattel, geschmückt mit goldenen Beschlägen und farbenfrohen Tüchern.

Doch „Stoke“ konnte den Lärm und die Aufregung um ihn herum nicht ertragen, insbesondere die intensiven Parfümdüfte, die in der Stadt allgegenwärtig waren. Eines Tages entkam der Elefant seinen Betreuern und lief davon. Wie bekannt ist, besitzen Elefanten ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Nach seiner Flucht kehrte „Stoke“ eigenständig nach Tanger zurück und versetzte die  Bewohner der Stadt in Angst und Schrecken. Dieses Ereignis drohte, wie der französische Schriftsteller und Journalist Victor Vernier in seinem Buch „Die einzigartige Zone Tanger und ihre vielfältigen Aspekte“ berichtet, beinahe eine diplomatische Krise auszulösen. Doch schließlich wurde der Elefant zurück nach Fès-Jdid gebracht.

Tod des Elefanten

Und nach zwei Jahren, nachdem der Elefant nach Fes gebracht wurde, starb er an einer Krankheit, die die Tierärzte nicht identifizieren konnten. Der Elefant „Stok“ starb in Fes Jdid und wurde in der Nähe des heutigen Haupteingangs zum Palast begraben“, sagt der Historiker Hamid Tchich. Doch die Erinnerungen an ihn blieben bei allen Marokkanern haften, die ihn von Tanger bis Fes gesehen hatten. Sein indischer Wärter kehrte nach dem Begräbnis in seine Heimat zurück.

Über Idriss Al-jay
Übersetzung aus dem Arabischen