Unerwartete Einladung zum Moussem der Zaouïa Sidi el l'Houari
Auf unserer Rundtour um Tinjedad fahren wir an der Zaouïa Sidi el l'Houari vorbei. Die auffällig weiß getünchte Mauer mit dem in Pastelltönen gestrichenen Eingangsportal kann man kaum verfehlen.
Der Turm, der hinter der Mauer hervorschaut, ist alt und außergewöhnlich: Lehmbau, gut erhalten und verziert. Etwas unsicher bleiben wir vor dem schönen Portal stehen, überlegen, ob wir uns hineinwagen, denn als „Ungläubige“ haben wir hier eigentlich keinen Zutritt.
Unter einer Zaouïa versteht man in Marokko eine Spezialschule. Oft ist in diesem Gebäudekomplex noch ein Marabout zu finden, die Grabstätte eines islamischen Gelehrten, eines „geistigen Führers“. Verehrungswürdige Männer, denen aufgrund ihrer Abstammung, seltener durch besondere Taten oder Fähigkeiten über ihren Tod hinaus besondere „Báraka“ (Segenskraft, Heilkraft) zugesprochen wird. |
Energisch fordert uns ein junges Mädchen zum Eintreten auf, bietet auf Englisch eine kleine Führung an. In einem Gang schaltet sie Licht an, öffnet eine Tür und völlig unvorbereitet stehen wir in einem kleinen Museum. Auf engstem Raum entdeckten wir Alltags- und Küchenutensilien, Ackergeräte, einen Pferdesattel, Festtagsgewänder, Schreibgeräte, zahlreiche Fotos und viele alte Dokumente, die aus der Zeit der Entstehung der Zaouïa stammen.
Der Onkel des Mädchens gesellt sich zu uns, wir trinken gemeinsam Tee und dürfen im Anschluss aus einem Seitenfenster in die Moschee schauen, aus deren Mitte eine große Palme durch das Dach wächst. Sogar die aus Stein gemauerte Begräbnisstelle des Marabout dürfen wir betreten und bewundern die sich darüber wölbende 16 m hohe Kuppel im andalusischen Stil. Auf dem Weg zur Dachterrasse registrieren wir große Geschäftigkeit im ganzen Haus, wie „zufällig“ eilen verschiedene Frauen immer wieder an uns vorbei. Vom Dach erkennen wir den oberen Teil der Palme, für die man eine kunstvolle Öffnung in das Dach gebaut hat.
Bei der Verabschiedung erhalten wir eine mehrfach und ehrlich geäußerte Einladung zum Moussem, das anlässlich des Todestages des Gründers der Zaouïa an den folgenden zwei Tagen gefeiert wird.
Wir erscheinen am zeitigen Nachmittag mit unseren - auf Empfehlung - besorgten Gastgeschenken: einem 2 kg schweren Zuckerhut und einer Zweiliterflasche marokkanischem Sekt, Coca-Cola. Freudig nimmt man uns die Geschenke ab, geleitete uns über den jetzt mit Teppichen belegten und gut bevölkerten Hof hinauf auf die auch sehr veränderte Terrasse. Eine gewebte Zeltbahn überspannt den kompletten Außenbereich, rote Teppiche liegen auf dem Boden und rings herum stehen goldfarbene Stühle mit roten Polstern.
Wir bekommen in einem leeren Salon Platz angeboten, geraten dann aber in Vergessenheit, als ein Mann auf der Terrasse zum Mikrofon greift. Es wird zum Gebet gerufen, eilig strömen die anwesenden Männer zusammen, um sich in gemeinsamem Gebet zu verbeugen, niederzuknien, Allah zu loben... und wir schauen heimlich zu.
Nach dem Gebet werden wir wieder in das Museum geführt, mit der Bitte, uns etwas zu gedulden, da die Vorbereitungen für das Moussem noch nicht abgeschlossen sind. Ein Student gesellt sich zu uns, ist interessiert an der Literatur über die Zaouïa, die wir dabeihaben.
Etwas später kommt auch der Gastgeber, Essen wird serviert. Frauen schleppen reichlich gefüllte Platten bis an die Tür, dort werden sie ihnen abgenommen. Als wir alle satt sind, führt uns der Gastgeber auf die Terrasse, vorbei am Frauenraum, in den ich viel lieber abbiegen würde. Dort halten sich heftig schnatternd zahllose wohlduftende Frauen und kleine Kinder auf. Aber ich muss - als einzige Frau - mit auf die Terrasse.
Uns werden Plätze auf den rot- goldenen Stühlen zugewiesen und ehe wir uns versehen, halten wir bereits wieder ein Teeglas in der Hand... Ungefähr 25 Männer, die meisten in blütenweiße Kaftane gewandet, sitzen auf den Stühlen, ein Mischpult steht in der Ecke. Einer der Männer greift sich ein Mikrofon und beginnt mit monotoner Stimme zu singen, wir vermuten, dass es sich um Koransuren handelt.
Der Mann am Mischpult scheint es besonders gut machen zu wollen und dreht die Lautstärke extrem hoch. Der Reihe nach erhält jeder der mitsingenden Männer ebenfalls ein Mikrofon, der Geräuschpegel steigt gnadenlos. Tapfer halten wir eine gefühlt lange Zeit durch, beobachten das lockere Kommen und Gehen der Männer. Auf eine Singpause wagen wir nicht zu hoffen, stehen also irgendwann auf, als unsere Ohren nach Entspannung lechzen.
Als der Gastgeber auftaucht, erklären wir ihm, dass wir noch vor Anbruch der Dunkelheit die 50 km bis Tinghir fahren möchten und stoßen auf großes Unverständnis. Er erklärt uns, dass sich das Moussem noch durch die Nacht und den ganzen nächsten Tag hinzieht, wir bekommen sogar das Angebot eines Nachtlagers. Da wir aber von all den Zeremonien aus sprachlichen Gründen nichts verstehen, lässt uns der Gastgeber mit bedauernder Miene ziehen.
Vor der Tür genießen wir noch den aufgebauten Markt, von festlich gekleideten Frauen zahlreich besucht und flanieren die Straße entlang. Zeitweise haben wir den Eindruck, eine größere Attraktion als die angebotenen Waren zu sein - vermutlich sind wir die ersten europäischen Teilnehmer dieses Moussems.
Zaouïa Sidi Al Arabi Ben Abdellah l'HouariZaouïa Sidi l'Houari wurde von einem Nachkommen des Mäzens von Oran, Sidi Mohamed l'Houari, gegründet. Baudatum: 1837. Bis 1919, als ihr Scheich Sidi Ali Ben Al Arabi von Belkacem Ngadi ermordet wurde, spielte sie eine wichtige politische Rolle. Später hat sie nur noch eine religiöse Rolle gespielt, aber sie bleibt sehr aktiv. Ihr Moussem, eine Woche nach dem Miloud, ist der Anlass für großartige Sufi-Zeremonien. |
Auszüge aus dem Bericht von Marquis René de Segonzac um 1900
...Wir nähern uns dem Palmenhain des Oued Ferkla an der Zaouïa von Sidi el-Haouari, einem der am meisten verehrten Zentren der Derqaoua, wo Sidi el-Haouari, Sohn und Nachfolger des großen Marabouts Sid el-Arbi, lebte. In aller Bescheidenheit bitten wir um die Ehre, unsere Zelte innerhalb der Zaouïa aufschlagen zu dürfen. Diese Gunst wird uns großzügig gewährt. Aber, in einer unerwarteten Fülle von Gnade, der Innenhof ist ein Misthaufen!...
...Der aktuelle Gastgeber der Zaouïa ist Sid Bba, Schwiegersohn von Sid Ali Amhaouch, Sohn von Sidi el-Arbi el-Haouâri, Enkel von Sidi el-Arbi. Er ist kaum 25 Jahre alt, er ist groß, frühreif, fettleibig, sehr dunkelhäutig, mit einer mittelmäßigen Intelligenz. Von seinen riesigen Lippen kommen nur unverständliche Silben. Seine einzige Beschäftigung ist der Bau einer Qoubba, die das Grab seines Vaters bedecken soll. Diese Qoubba scheint von der des Sidi Daoudi ben Never aus Tlemcen kopiert zu sein.
Die Moschee, die sich links von der Qoubba befindet, ist klein; sie ist kaum mehr als 8 Meter lang und 6 Meter breit; das Dach wird von Säulen aus ungebleichtem Lehm getragen. Tageslicht fällt durch eine Öffnung in der Decke ein, um den Stamm einer in der Mitte des Gebäudes gepflanzten Palme hereinzulassen. ...
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