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Über den Roman „Die Marokkaner“

Abdelkarim Jouaiti hat einen extrem pessimistischen Blick auf sein Land und das marokkanische Volk. Die Marokkaner werden ihn jedoch verstehen.

 

Über den Roman "die Marokkaner", Über den Roman "die Marokkaner", Foto: Weltfestival der Sakralmusik in Fes von Eberhard HahneDie Misere der Heimat

Nach der Lektüre des Romans "Die Marokkaner" von Abdelkarim Jouaiti* hatte ich, Mohamed Nabil, das Bedürfnis, ihn gleich noch einmal zu lesen. Die einmalige Lektüre eines solchen Romans reicht nicht aus, um seine historische Bedeutung und die Ausdrucksweise des Autors über die marokkanische Gesellschaft zu verinnerlichen.

Wenn alles vorbei ist...

Der Autor beginnt sein Werk mit einem Satz, der das Ende des Romans vorwegnimmt. Er wählt das Ende als Anfang aus: „Es ist alles vorbei, und ich kann mit dem Geschehenen in völliger Neutralität umgehen. Er liegt jetzt neben mir, wie ein Leichnam, und wir werden in einen Krankenwagen geworfen, der sich nicht in der normalerweise üblichen Eile bewegt. Aber das Martinshorn bleibt ausgeschaltet, stattdessen macht der Fahrer eine laut dröhnende Musik an, als führe er in einem Hochzeitskonvoi.

Mit diesem Stil will der Erzähler einen Dialog mit den Toten zum Ausdruck bringen, der das Dilemma symbolisiert, in dem sich die marokkanische Gesellschaft befindet. Der ungewöhnliche Titel „Die Marokkaner“ wirft Fragen über die Zukunft der marokkanischen Gesellschaft und deren Existenz auf. Warum dieser Titel „Die Marokkaner“?

Antworten findet man im Dialog des Autors mit seinen Romanfiguren, zum Beispiel wenn das Militär ihm diese wichtige provokative Frage stellt: „Und wer hat den Künstlerinnen und den schlechten Künstlern und den Prostituierten und den Zuhältern und den unehrlichen Politikern und Journalisten das Recht gegeben, über die Marokkaner zu sprechen? Ich habe wenigstens in der Sahara gekämpft und dort einen Teil meines Blutes gelassen. Mein Leben wurde zerstört, während ich mein Heimatland verteidigt habe.

Pessimismus oder Realismus

Abdelkarim Jouaiti hat einen extrem pessimistischen Blick auf sein Land und das marokkanische Volk. Die Marokkaner werden ihn jedoch verstehen. Sie werden ihm sogar Recht geben. In einem Umfeld, in dem wenig gelesen wird, wurde das Buch bereits fünfmal neu aufgelegt. Die dramatische Vision des Autors drückt sich in Metaphern und Umschreibungen aus. So ist nach Jouaitis Ansicht „das Schreiben der einzige Akt des Widerstands in einem Land, in dem die Vögel aufgehört haben zu singen, die Blumenknospen sich morgens nicht mehr öffnen und die Bäume aufgehört haben zu wachsen.“

Die Kritik des Schriftstellers stellt die Realität der Marokkaner in Frage, da er sie als ein Volk ohne Vorstellungskraft darstellt, ein Volk, das nie von einer besseren Gesellschaft geträumt hat, außer vielleicht durch seine gescheiterten Propheten.

Jouaiti erzählt manchmal in der Ich-Form, aber spricht bisweilen auch durch andere Personen. Er berichtet über das, was er denkt oder fühlt und bevorzugt dabei kurze Sätze.

Als Kenner der soziologischen und psychologischen Zusammenhänge erzählt der Autor die Geschichte der Marokkaner, in dem er die politischen Autoritäten und die Religion sowie deren Rolle in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft in den Fokus stellt. Das kommt in dem Kapitel über die marokkanischen Halluzinationen gut zum Ausdruck. „Die Autorität ist sehr egoistisch, eifersüchtig und neidisch. Sie will nicht mit anderen teilen [...] Die Sultane von Marokko haben eine Leidenschaft für Zerstörung und Vernichtung: Wenn eine Herrscherfamilie die andere vom Thron stößt, dann tötet sie deren Mitglieder nicht, sondern zerstört deren Friedhöfe und Bauwerke.

Wahnsinn als Ende des Romans 

Welche Aussage intendiert der Autor mit seinem Roman „Die Marokkaner“? Ist es ein Werk, das über die Logik der einfachen Erzählkunst hinausgeht? Der Schriftsteller kritisiert die Gesellschaft und deren Autoritäten und versucht, in das Elend der Marokkaner einzutauchen und die Geschichte der marokkanischen Gesellschaft zu ergründen, um ihre lange und schmerzhafte Vergangenheit zu verstehen.

Jouaiti vermittelt in seiner Erzählung das Bild eines geblendeten und unfähigen Marokkaners. In einem Interview sagte er, dass „die marokkanische Gesellschaft im Allgemeinen mehr auf die Prediger und Scharlatane als auf die Intellektuellen hört.

Der Text endet mit einer Idee des Wahnsinns. So schreibt der Autor auf den letzten Seitens seines Romans: „Der Schriftsteller hört die Stimme von Hamlet und sagt zu Horatio: Es ist eine Zeit des großen Wahnsinns und der ungeheuren Blindheit, mein Freund.“

Mehr über Mohamed Nabil erfahren Sie hier

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*) Abdelkarim Jouaiti: "Die Marokkaner", Arabisches kulturelles Zentrum in Casablanca, Marokko, 2. Auflage 2017.