Genießen wie ein Konfekt: Tanger Telegramm
Seit Jahren gehört Tanger Telegramm in mein Bücherregal – dem neben meinem Bett. Es ist ein wunderbares Lesebuch zum Träumen, Wachbleiben oder aber auch zum Einschlafen. Denn es ist übervoll mit Geschichten jeder Couleur, so findet der Leser immer den passenden Ton zu seiner momentanen Stimmung. Sie beziehen sich alle auf dasselbe Thema - Tanger.
Nachdem Tanger Telegramm über viele Jahre vergriffen war, hat der Schweizer Bilgerverlag das literarische Juwel anlässlich seines 15-jährigen Jubiläums in einer leicht überarbeiteten Version neu aufgelegt.
Die Herausgeber Florian Vetsch und Boris Kerenski haben erstmals in deutscher Sprache zusammengefügt, was es schon längst in spanischer, englischer, französischer und arabischer Sprache gab: Eine Anthologie über den Mythos der legendären Stadt Tanger, an ein Tanger, das es so nicht mehr gibt.
Als Tanger noch internationale Zone (1923 bis 1956) war, war es Hotspot der Literaturbohème. Illustre Schriftsteller wie Jack Kerouac, Allen Ginsberg, Paul Bowles oder Jean Genet gaben sich der freigeistigen und existenzialistischen Atmosphäre hin und schufen dort zeitlose Werke der Literaturgeschichte.
In Tanger Telegramm kommen sie alle zu Wort
Aber auch zeitgenössische Literaten wie Mohamed Choukri, Tahar Ben Jelloun, Jörg Fauser bis Wolf Wondratschek und Edmund White haben sich vom (vergangenen) Zauber der Stadt an der Meerenge von Gibraltar inspirieren lassen.
Die Vielfalt an literarischen Formen mag auf den ersten Blick verwirren, aber genossen wie ein Konfekt, erhellen die kurzen oder langen Geschichten von Poesie bis Roman das Gemüt. Passend zur damaligen drogenaffinen Bohème-Atmosphäre findet sich sogar eine respektable Sammlung von Haschischrezepten.
Auch die Gestaltung der 352 Seiten starken Anthologie macht Freude
tanger telegramm, |
Auf verschiedenfarbigem Mattpapier gedruckt, wechselt die Schrift zwischen Grotesk und Antiquatypographie, mal kompakt, mal mit viel Weißraum eingesetzt, je nach inhaltlicher Ausrichtung. Dario Benassa, für die Gestaltung verantwortlich, hat das lebendige Layout mit historischen, teilweise unbekannten Fotografien, Collagen, Skizzen, Aquarellen und Zeichnungen zu einem sinnlichen Erlebnis erweitert. Kopf, Herz und Auge werden gleichermaßen erfreut.
Das Buch schließt mit einer Zeittafel, einem Glossar, den Kurzbiographien der Literaten und einer umfangreichen Liste ausgewählter Literatur zum Thema.
Fazit: Ein fantastisches, vielseitiges Buch zum Schmökern nicht nur für Tanger- und Marokkofans, sondern auch für Liebhaber anspruchsvoller Literatur. Ein Buch für alle Lebenslagen.
Infos über Eberhard Hahne* finden Sie hier