Zwischen Gesetz und Gewissen - Das stille Notizbuch eines Anwalts
In den Akten sucht er Beweise, in seinem Notizbuch sucht er sich selbst. Ein marokkanischer Anwalt führt stille Zwiesprache mit seinem Gewissen - über Schuld, Vergebung und die fragile Grenze zwischen Recht und Menschlichkeit.

„Das stille Notizbuch“ von Tarek Al-Mourif ist kein juristisches Werk, sondern das Bekenntnis eines Menschen, der im Schatten des Gesetzes nach Wahrheit sucht. Es erzählt von einem Anwalt, der seine Tage in den nüchternen Räumen der Justiz verbringt, wo Worte wie Schuld, Tat und Urteil den Alltag beherrschen, und der doch spürt, dass das Wesentliche jenseits der Paragrafen liegt - dort, wo das Herz die Sprache des Gesetzes übersteigt. Dieses Notizbuch ist sein Rückzugsort, ein stiller Spiegel seiner inneren Kämpfe. Darin sammelt er nicht Urteile, sondern Menschenschicksale, nicht Beweise, sondern Zweifel und Geständnisse, die kein Protokoll je erfassen kann. Er schreibt, um die Wärme der Menschlichkeit zu bewahren, die der Frost der Justiz leicht erstickt.
In einem seiner ersten Einträge erinnert er sich an einen Fall, der ihn aus seiner Routine riss. Ein gewöhnlicher Finanzbetrug entpuppte sich als Abgrund. In den digitalen Archiven des Beschuldigten stieß er auf Bilder und Videos, die von einem verborgenen Verbrechen zeugten - eine heimlich durchgeführte Abtreibung, eine leidende Frau, ein ausgelöschtes Leben. Was als Jagd nach Geld begann, verwandelte sich in die Suche nach Würde und Wahrheit. Der Anwalt beschreibt diesen Moment als einen Stromschlag, der den Juristen in ihm lähmte, den Menschen aber erweckte. Zum ersten Mal erkannte er, dass das Gesetz nur eine Hülle bleibt, wenn das Gewissen schweigt.
Ein anderer Fall führte ihn an die Grenzen des menschlichen Verstehens. Eine Mutter, von der Gewalt ihres Sohnes gezeichnet, stand im Gerichtssaal und erzählte mit zitternder Stimme von den Jahren der Qual. Als sie am Ende des Verfahrens den Blick hob, bat sie nicht um Rache, sondern um Milde: „Er ist der liebste Teil meines Herzens.“ Der Saal verstummte. Der Richter schwieg, und der Anwalt fühlte, wie sich die Härte des Gesetzes vor der Größe einer mütterlichen Liebe verneigte. Hier zeigte sich Gerechtigkeit in ihrer reinsten Form - nicht als Urteil, sondern als Mitgefühl, das stärker war als Schmerz.
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Das stille Notizbuch Erste Auflage: 2025 |
Das Notizbuch füllt sich mit solchen Begegnungen: mit Verrat, mit Danklosigkeit, mit jenen kleinen Tragödien des Alltags, die kein Urteil heilt. Ein Kollege, einst Freund, wird zum Verräter; ein Mandant verschwindet nach gewonnener Sache, ohne Gruß, ohne Dank. Und doch bleibt der Anwalt standhaft. Er lernt, dass Aufrichtigkeit ihren Wert nicht verliert, nur weil sie unerwidert bleibt, und dass Verrat nur dort zerstört, wo man ihn in sich selbst zulässt.
Dann gibt es jene seltsam tröstlichen Geschichten, in denen das Leben seine eigene Gerechtigkeit sucht. Ein Mann klagt wegen eines beschlagnahmten Fahrrads und träumt von Millionen, genährt durch die Illusion eines Vermittlers, der ihm Reichtum verspricht. Als die Täuschung auffliegt, bleibt nur die Ernüchterung - und der Blick eines Menschen, der plötzlich erkennt, dass der Wert des Gerechten nicht in Zahlen liegt, sondern im Frieden, den es bringt.
Manchmal begegnet der Anwalt Geschichten aus Predigten oder Volksüberlieferungen, in denen göttliche Strafe dort eintritt, wo irdische Gerechtigkeit versagt. Er weiß, dass sie juristisch unhaltbar sind - doch er versteht, warum die Menschen daran glauben: Sie geben dem Herzen, was das Gesetz dem Verstand gibt - Hoffnung.
So wird das stille Notizbuch zu mehr als einer Sammlung von Fällen. Es ist das Tagebuch eines Mannes, der gelernt hat, dass Gerechtigkeit nur dann wahrhaftig ist, wenn sie vom Mitgefühl getragen wird. Er schreibt, um die Balance zwischen Strenge und Menschlichkeit zu bewahren, zwischen Pflicht und innerer Wahrheit. Jeder Eintrag ist eine Erinnerung daran, dass der Beruf des Anwalts nicht darin besteht, zu siegen, sondern zu dienen - nicht der Macht, sondern dem Menschen.
Am Ende bleiben keine Schlagzeilen, keine Trophäen, nur die leise Gewissheit, dass jeder Schritt in Richtung Wahrheit ein Sieg ist. Das stille Notizbuch wird so zum Vermächtnis einer Seele, die durch die Härte des Rechts zur Sanftheit des Gewissens gelangt ist - ein stilles Zeugnis aus Marokko über die Kraft des Menschlichen in einer Welt der Urteile.
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Klappentext In diesen narrativen Sequenzen, deren erzählerischer Korpus die Gestalt von Tagebüchern oder Bekenntnissen angenommen hat, versucht der Autor, seinem stillen Notizbuch eine Stimme zu verleihen, um die Details der Geschehnisse in den Gerichtssälen zu offenbaren und daraus einige Wesenszüge der menschlichen Psyche zu erschließen. Dies geschieht durch die eingehende Betrachtung ausgewählter Fälle, in denen ein Anwalt plädiert, der sich entschieden hat, uns teilhaben zu lassen an den Sorgen, Reflexionen und Ideen, die ihn beherrschen, wenn er vor Gericht steht. Somit präsentiert er uns die Essenz seiner Erfahrung und beschenkt uns mit der Lektion, die wir aus dieser Art von Fällen ziehen können. Der Anwalt in diesen Erzählungen bestätigt die Worte des Erzählers, der den Empfänger mit den Sätzen anspricht: „Ich schreibe dir nicht bloß die Ereignisse eines Tages nieder, sondern eine Kontemplation über die Essenz jener Zeit, die unseren Beruf, die Anwaltschaft, regiert. Unser Dasein hier, als Anwälte, ist nichts als eine Kette von ‚Wartezuständen‘. Ein Warten, das über eine bloße passive Handlung hinausgeht, um sich in einen existentiellen Zustand zu wandeln, in eine stille Philosophie, die unser Bewusstsein formt und unsere Geduld neu definiert.“ Die Lektüre dieser Texte gewährt dem Empfänger nicht nur literarisches Vergnügen, sondern vermittelt ihm zugleich eine gewisse Kenntnis der menschlichen Seele in ihren extremsten Zuständen, die mit seelischen Erkrankungen wie Gier, Habgier, Angst, Verzweiflung und anderen verbunden sind. |
Der Autor Tarek Al-Mourif, lebt und arbeitet in Marokko, ist ein marokkanischer Schriftsteller und Jurist, der in seinen Werken die feinen Grenzlinien zwischen Recht, Moral und Menschlichkeit erkundet. Seine Texte verbinden juristische Erfahrung mit literarischer Sensibilität und zeichnen sich durch eine reflektierte, beinahe meditative Erzählweise aus.
Al-Mourif interessiert weniger das Urteil als der Weg dorthin - die inneren Konflikte, das Schweigen und die Zweifel, die Rechtsprechung zu einer menschlichen Erfahrung machen. Er gilt als eine der stillen Stimmen der zeitgenössischen marokkanischen Literatur. Seine Werke verbinden Introspektion und gesellschaftliche Beobachtung zu einer leisen, aber eindringlichen Sprache über Verantwortung und Wahrheit.