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Kalila wa Dimna: Ein ewiges Elixier der Weisheit

Kaum ein literarisches Werk vermag es, die Zeiten so mühelos zu überbrücken wie Kalila wa (arabisch und) Dimna. Ursprünglich in Indien verfasst, gelangte diese Sammlung allegorischer Fabeln über Persien in die arabische Welt und wurde zu einem der einflussreichsten Bücher der Weltliteratur. Mehr als eine bloße Ansammlung lehrreicher Erzählungen, birgt sie eine tiefgründige Weisheit, die Generationen von Lesern inspiriert hat.

Kalila wa Dimna ist ein aus Auszug aus „Diwan der Speisetafel“ von Saad Sarhane.

Kalila wa Dimna besteht aus einer Vielzahl von Tierfabeln, die in eine Rahmenhandlung eingebettet sind. Die Hauptfiguren, die Schakale Kalila und Dimna führen den Leser durch eine Welt voller List, Weisheit und moralischer Lehren. Ähnlich wie in Aesops Fabeln oder La Fontaines Geschichten stehen die Erzählungen für gesellschaftliche und politische Allegorien, die über das Offensichtliche hinausgehen und tiefere Bedeutungen offenbaren.

Ibn al-Muqaffaʿs Übersetzung und Adaption für den arabischen Sprachraum verlieh dem Text eine sprachliche Schönheit, die ihn zu einem literarischen Meisterwerk macht. Besonders bemerkenswert ist die kunstvolle Verschachtelung der Erzählungen: Eine Geschichte führt zur nächsten, während sich die Handlung immer weiter entfaltet. Diese narrative Technik macht das Buch nicht nur spannend, sondern auch lehrreich – ein stilistisches Mittel, das bis heute in der Weltliteratur nachhallt. Ibn al-Muqaffaʿ (720–756 n. Chr.) war ein persischer Gelehrter, Übersetzer und Schriftsteller, der für seine bedeutenden Beiträge zur arabischen Literatur bekannt ist. Er stammte aus dem Sassanidenreich und war einer der ersten, die persischen Werke ins Arabische übertrugen. Kalila wa Dimna war seine berühmteste Arbeit, die ursprünglich auf Sanskrit unter dem Titel „Panchatantra“ existierte. Er passte das Werk sprachlich und stilistisch an die arabische Kultur an und machte es zu einem der einflussreichsten Bücher der arabisch-islamischen Literatur.

Wer sich von den Erzählungen aus Tausendundeine Nacht in den Bann ziehen ließ, wird in Kalila wa Dimna eine Quelle noch tieferer Einsichten entdecken. Dieses Werk, das die Weisheit des Weisen Bidpai(*) in kunstvoll verwobenen Fabeln bewahrt, ist mehr als eine Sammlung von Geschichten - es ist ein Spiegel menschlicher List, Klugheit und Tugend. Nur wenige haben es gelesen, denn seine Lehren sind so scharf wie eine mit Arsen versetzte Tinktur: wirksam, und nicht immer leicht zu ertragen. Und doch bleibt es eine Erzählung von bleibender Wahrheit, eine Lehre, die sich über Jahrhunderte hinweg behauptet hat.

Das Salz der Weisheit

Wie Salz das Fleisch vor dem Verderben schützt, so bewahrt Weisheit die Bücher: In der richtigen Menge verleiht sie ihnen Beständigkeit. Unsere Vorfahren sahen im Salz nicht nur ein Gewürz, sondern ein Symbol der Reinheit - das Gold des Alltags.

Wenn Bücher Gewürzen glichen, dann wäre jede Schrift ein Destillat der Heilkunst - mal scharf wie Ingwer, mal kostbar wie Safran, immer aber ein Ausdruck von Tiefe und Raffinesse. Große Werke gleichen erlesenen Gewürzmischungen: Ihr Wert liegt nicht allein in ihrer Seltenheit, sondern in ihrer einzigartigen Komposition. Ein wahrhaft bedeutendes Buch ist wie eine Apotheke der Weisheit, in der ein Gelehrter mit der Präzision eines Alchemisten die kostbarsten Ingredienzien des Denkens zusammengeführt hat - Nelken und Kardamom des Verstandes, Zimt und Muskatnuss der Erzählkunst, Koriander der Lebensklugheit.

So, wie einige Gewürze die Nahrung vor dem Verderben bewahren, schützt wahre Weisheit das geistige Erbe der Menschheit - für alle, die es zu kosten wissen, und selbst für jene, die achtlos an ihr vorübergehen.

Der Duftladen

Seit der ersten indischen Ausgabe war dieses Buch eine Quelle der Faszination, nicht nur wegen seines Inhalts, sondern auch wegen der abenteuerlichen Reise seiner Abschriften - vom Osten nach Westen, durch verborgene Wege geschmuggelt, um schließlich in arabischer Sprache heimisch zu werden. Es gelangte in Länder, die das Gold des Safrans schätzen, und fand seinen Platz in den Märkten der Gewürzhändler und an den Gürteln der Krieger, die scharfe Klingen aus indischem Stahl führten.

Kundinnen, die einen Duftladen betreten, verweilen dort oft aus mehr als nur Neugierde. Denn wenn eine von ihnen innehält, eine leichte Bewegung macht und nur zögerlich nach einer Ware greift, dann wissen die Händler, dass hier nicht nur um Gewürze oder Essenzen gefeilscht wird - hier wird ein Geheimnis enthüllt.  

So ist es auch mit der Magie der orientalischen Gewürze - ein Zauber, der untrennbar mit der marokkanischen Küche verbunden ist, mit ihren Gerichten, mit ihrer Kultur. Was einst über ferne, verschlungene Pfade nach Marokko gelangte, ist heute ein selbstverständlicher Bestandteil der marokkanischen Kochkunst.

Der Gewürzladen trägt seinen Namen zu Recht, denn er ist eine Apotheke des Verstandes, ein Altar der Aromen. Kalila wa Dimna, mit seinen lehrreichen Fabeln, war nie nur eine Sammlung von Geschichten, sondern ein Spiegelbild der Welt - genauso wie die Regale eines Gewürzhändlers, gefüllt mit Essenzen, die Wohlgeschmack und Erkenntnis zugleich bieten.

Weisheit zeigt sich nicht darin, sich in den Nebensächlichkeiten des Lebens zu verlieren. Wer zu lange an den Rändern der Schalen verweilt, verpasst den wahren Geschmack, der darin ruht. Eine Redensart vergleicht Kalila wa Dimna mit wohlschmeckenden marokkanischen Gerichten: So wie ein wohlduftendes Mahl seine Gewürze braucht, so braucht ein Text seine Weisheit (الكتاب بلا حكمة بحال الطاجين بلا عطرية).

Die Würze der Liebe, die Magie der Worte

Und die Liebe? Berauscht von Indien, hat sie ihre Sehnsüchte in seine Märchen gehüllt. Wer in einer Nacht des Kummers indische Seide trägt, wer von Rajahs und Tempeln träumt, wer sich nach einem verlorenen Frühling sehnt - der ist ihr längst erlegen. Ob es Kamasutra war oder Der Ring der Taube, ob die Faszination der Geschichte oder die Versuchung der Sinne - stets blieb Indien eine Krone unter den Wundern der Welt.

Doch nicht nur die Liebe ließ sich von Indiens Zauber einfangen - auch die Literatur nahm von dort ihren Weg und hinterließ Spuren, die bis in den arabischen Raum reichen. Viele Leser empfinden Kalila wa Dimna als fremdartig, ja fast westlich - zumindest in seiner Struktur und seinem Gleichnisreichtum. Denn wenn La Fontaines Fabeln als Gewürz für den französischen Geist dienten, dann war Kalila wa Dimna nichts anderes als das Senfkorn, das die arabische Küche veredelte - eine Gewürzmischung, die, einmal probiert, nie mehr aus dem Gedächtnis weicht.

Gewürze sind kein bloßer Staub, der achtlos über das Essen gestreut wird - sie sind eine Krone, die auf den Speisen ruht. Sie bilden keine flüchtige Substanz, die im Wind verweht, sondern ein wahres Heer an unsichtbaren Soldaten, die an der Front der Gesundheit kämpfen. Denn was sind Vitamine, Mineralstoffe, Proteine und Aminosäuren anderes als die unermüdlichen Krieger der körperlichen Wohlfahrt? Kalorien, Zucker, Fette - all diese Elemente sind nichts als Werkzeuge in einem ausgeklügelten Gefüge, das dem Leib seine Kraft verleiht. Und wie Gewürze den Körper erobern, so erobern Worte den Geist. Sie dringen vor, suchen einen Platz, an dem sie sich niederlassen können - und hinterlassen ihre Spuren in den Falten der Erinnerung.

Wie wäre es zum Abschluss mit einer Pastilla, eine traditionelle marokkanische Spezialität, die süße und herzhafte Aromen vereint. Sie besteht aus hauchdünnem Warqa-Teig (ähnlich Filoteig) und wird mit einer würzigen Füllung aus Huhn oder Taubenfleisch, Mandeln, Eiern und orientalischen Gewürzen wie Zimt, Safran und Ingwer zubereitet. Nach dem Backen wird die Bastilla mit Puderzucker und Zimt bestreut, was ihr eine einzigartige Kombination aus süß und herzhaft verleiht. Sie ist besonders beliebt bei festlichen Anlässen und spiegelt die raffinierte Küche Marokkos wider.

Autor Saad Sarhane
Kalila wa Dimna ist ein aus Auszug aus „Diwan der Speisetafel“ (ديوان المائدة) von Saad Sarhane. Übersetzung aus dem Arabischen mit Anpassungen und Ergänzungen durch marokko.com.

 

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Inhalt des „Diwan der Speisetafel“

Saad Sarhane erörtert in „Diwan der Speisetafel“ die Bedeutung der Nahrung im menschlichen Leben. Nahrung ist demnach nicht bloß ein Treibstoff für den Körper, sondern birgt auch tiefgreifende kulturelle und soziale Dimensionen. Seit jeher, so „Diwan der Speisetafel“, war die Nahrung ein zentrales Anliegen des Menschen, um welches sich zahlreiche Bräuche und Traditionen herausgebildet haben. Er verdeutlicht, dass die alten Märkte pulsierende Mittelpunkte der Städte darstellten, wo vielfältige Handels- und Gesellschaftsaktivitäten zusammenflossen.

(*) Bidpai: Der mögliche weise Erzähler hinter Kalila wa Dimna

Bidpai gilt als der legendäre Verfasser der Fabelsammlung Kalila wa Dimna, die ihren Ursprung in Indien hat. Historischen Quellen zufolge soll er ein weiser Berater am Hof eines indischen Königs gewesen sein. In seinen Erzählungen nutzte er Tiere als Protagonisten, um moralische Lehren zu vermitteln und zugleich politische Weisheiten zu verschlüsseln. Ob Bidpai eine reale Person war oder eine symbolische Figur, bleibt ungewiss. Doch sein Name ist untrennbar mit einer der bedeutendsten Fabelsammlungen der Weltliteratur verbunden - einem Werk, das bis heute als Quelle von Weisheit und Erzählkunst gilt.

 


In den reichen Gefilden der arabischen Literatur findet sich ein meisterhaftes Allegoriebild, das in der Fabel „Die Löwin, die Zäune und der Schaghbar“ (Schaghbar, als synonym für Schakal) - zum Ausdruck kommt. Dieses Werk, das tief in der Tradition didaktischer Erzählungen verwurzelt ist, entfaltet in kunstvoll verwobenen Tiergestalten zeitlose Lehren über Gerechtigkeit, Selbstreflexion und das unbedingte Abwägen der Konsequenzen menschlichen Handelns.

Die Erzählung bringt in symbolträchtigen Bildern die Tragweite unbedachter Taten und den Preis, den Unachtsamkeit und Ignoranz mit sich bringen können, zum Vorschein. Die Löwin, als Verkörperung von Stärke, Fürsorge und zugleich Verletzlichkeit, trifft auf die unerbittliche Macht der „Zäune“ - ein Sinnbild für die unüberwindbaren Grenzen des Schicksals und der Gesellschaft - und den Schaghbar, der als listiger Beobachter und Mahner zugleich erscheint.

Durch diesen vielschichtigen Dialog zwischen den Protagonisten wird nicht nur die Dynamik zwischen Täter und Opfer, sondern auch das Prinzip von Ursache und Wirkung eindrucksvoll illustriert.

Der Text fordert den Leser auf, über die eigenen Handlungen und deren weitreichende Konsequenzen nachzudenken. Gleichzeitig entlockt er uns einerseits feinsinnige moralische Erkenntnisse und andererseits einen literarischen Genuss, der in der eleganten Sprache und den bildhaften Darstellungen der Szene seinen Ausdruck findet. Diese Fabel ist somit nicht nur ein Spiegel der menschlichen Natur, sondern auch ein Plädoyer für Besonnenheit und Gerechtigkeit im Miteinander.

Im Folgenden wird der vollständige Text dieser faszinierenden Erzählung präsentiert - ein Werk, das, ohne gekürzt oder in seiner sprachlichen Schönheit beeinträchtigt zu werden, den Leser in eine Welt entführt, in der Weisheit und Warnung, Poesie und Mahnung untrennbar miteinander verbunden sind.

Die Löwin, die Zäune und der Schaghbar

Direkte Übersetzung aus dem Original in Arabischer Sprache von ibn Muqaffa

Loewe und Schakal

König Dibschlim (دبشليم) wandte sich an Bidpai, den Philosophen, und sprach: „Ich habe dieses Sprichwort vernommen. Gib mir ein Beispiel für jemanden, der zulässt, dass anderen Schaden zugefügt wird, obwohl er in der Lage wäre, sie davor zu bewahren - jemand, der zugleich als Mahner und Tadler herabsteigt, um andere von Unrecht und Feindschaft abzuhalten.“

Bidpai erwiderte: „Nur die Unwissenden, die Toren und jene, die den Blick für die Konsequenzen in den Belangen dieser Welt und des Jenseits verloren haben, handeln derart. Ihnen mangelt es an Erkenntnis über die Rache, die ihnen zuteilwerden könnte, und an Einsicht in die Folgen ihres Erwerbens, das ihr begrenzter Verstand nicht zu fassen vermag. Selbst wenn es manchen gelingt, sich vor dem Schaden anderer zu schützen - indem sie andeuten, was ihre Taten nach sich ziehen - so wird derjenige, der nicht über die Konsequenzen nachdenkt, niemals vor dem Unheil bringenden Folgen bewahrt sein. Wahrlich, niemand entgeht den Angriffen, und vielleicht ermahnt der Unwissende durch das erlittene Unheil und erwägt, was ihm an Schaden durch andere widerfuhr. So nimmt er Abstand davon, jemandem solch ein Unrecht und eine derartige Aggression anzutun, und letztlich erntet er den Nutzen, den es bringt, den Schaden, den er andern zugefügt hätte, zu unterlassen. Ein derartiges Beispiel findet sich in der Erzählung von der Löwin, den Zäunen und dem Schaghbar.“

Der König fragte: „Und wie geschah dies?“

Der Philosoph berichtete: „Man behauptet, eine Löwin habe sich in einer misslichen Lage befunden und zwei Jungtiere gehabt. Sie begab sich auf die Jagd und ließ ihre Jungen in ihrer Höhle zurück. Als diese an den Zäunen vorbeizogen, wurden sie von diesen erfasst, niedergestürzt und getötet; ihre Häute wurden abgezogen und von den Zäunen zerkratzt, und man brachte sie daraufhin zum Haus.

Nachdem die Löwin zurückgekehrt war und das entsetzliche Schicksal ihrer Jungen erblickt hatte, senkte sie ihren Rücken in Richtung des Bauches, brach in lautes Weinen und Jammern aus - und neben ihr war der Schaghbar, als synonym für Schakal. Als dieser ihr Wehklagen vernahm, fragte er sie: „Was tust du? Was ist mit dir geschehen? Erzähl es mir!“

Die Löwin antwortete: „Meine Jungtiere wurden von den Zäunen erfasst, sie wurden getötet, ihre Häute abgezogen und von den Zäunen zerkratzt.“

Da sprach der Schaghbar zu ihr: „Weine nicht und räume in deinem Inneren auf. Wisse, dass dieser Schaden durch die Zäune dir nichts Neues bringt, denn du hast solches bereits an anderen verübt, und es wird dir auch an anderen widerfahren - bei jenen, die dir nahestehen und für die dein Verhalten ebenso schmerzhaft ist, wie du es an deinen Jungtieren erlebst. Sei geduldig mit dem Tun anderer, so wie andere geduldig mit deinem gewesen sind; denn es heißt: Wie du säst, so wirst du ernten. Jede Tat trägt ihre Frucht des Lohns und der Strafe, in dem Maße, wie der Ertrag des Saatguts bei der Ernte bemessen wird.“

Die Löwin bat ihn: „Erkläre mir, was du sagst, und enthülle mir den Sinn deiner Worte.“

Da fragte der Schaghbar: „Wie alt bist du?“. „Hundert Jahre“, antwortete die Löwin. „Und was war deine Nahrung?“ „Wildfleisch“, erwiderte sie. „Wer ernährte dich damit?“. „Ich jagte das Wild und verzehrte es“, sagte sie. „Hast du je bemerkt, dass das Wild, das du isst, auch Eltern hatte?“. „Ja“, gestand sie. „Warum höre und sehe ich dann bei diesen Eltern nicht das gleiche Aufsehen und Getöse, das ich bei dir höre und sehe? Es hat dich nur heimgesucht, weil du die Konsequenzen nicht bedacht hast, weil du zu wenig darüber nachgedacht und in deiner Unwissenheit den dir zugefügten Schaden nicht erkannt hast.“

Als die Löwin diese Worte des Schakals vernahm, erkannte sie, dass sie sich selbst Unheil zugefügt und Unrecht begangen hatte. Daraufhin legte sie die Jagd nieder, verzichtete auf den Fleischgenuss und wandte sich fortan den Früchten, rituellen Handlungen und der Anbetung zu.

Als dann Warschan (ورشان) - der Besitzer jener weiten, ungeschützten Gefilde, in denen sich ein Vogel, der einer Taube ähnelt, sowie seine weibliche Gefährtin und ihre Gefolgsleute aufhielten, deren Lebensunterhalt von den Früchten abhing - dies bemerkte, sprach er zu ihr: „Ich hatte angenommen, dass der allgemeine Baum in unserem Gebiet aufgrund des Wassermangels keine Früchte trug. Doch als ich dich sah, wie du von den Früchten aßt, obwohl du auch Fleisch verzehrst, hast du deinen Lebensunterhalt, dein Essen und das, was Gott dir zugeteilt hat, aufgegeben und bist zu dem Lebensunterhalt anderer übergewechselt - ihn dir angeeignet und in Anspruch genommen. Du hast erkannt, dass der Baum ebenso Früchte trägt wie vor diesem Tag, und doch bringst du selbst nur wenig Frucht hervor. Wehe dem Baum, wehe den Früchten, wehe dem, der von ihnen lebt! Wie rasch wird ihr Untergang eintreten, wenn jene, die keinen Anteil daran haben und es nicht gewohnt sind, sie zu essen, von ihnen überwältigt werden!“

Als die Löwin diese Worte von Warschan hörte, hörte sie auf, die Früchte zu essen, und wandte sich stattdessen dem Verzehr von Kräutern sowie der Anbetung zu.

„Ich habe dir dieses Gleichnis nur zum Lehren vorgetragen, um dir zu verdeutlichen, dass der Unwissende, wenn er vom eigenen Schaden abgewandt wird, auch dazu fähig sein kann, den Schaden anderer zu vermeiden - wie die Löwin, die von der Jagd Abstand nahm, als sie in ihren Jungtieren das übermäßige Fleischessen erkannte, und sich daraufhin den rituellen Handlungen und der Anbetung zuwandte. Denn es heißt: ‚Was du für dich nicht wünschst, das tue nicht anderen.‘ Darin liegt die Gerechtigkeit, und in der Gerechtigkeit finden sich das Wohlgefallen Gottes und der Menschen.“