Der Geschmack der Heimkehr
Heimat ist ein zartes Gefühl, das selten in lauten Tönen erklingt, jedoch ewig verweilt - in den Düften, im Klang der Sprache, im Geschmack einer Speise und im flüchtigen Glanz eines Lächelns, das sich auf dem alten Dorfplatz spiegelt. Für jene, die in die Ferne ziehen, vermag die Heimkehr weitaus mehr zu bedeuten als das bloße Zurückkehren an einen Ort; sie ist die Rückkehr zu jenem innersten Selbst.
In einer Erzählung, die von atmosphärischer Dichte und feinfühliger Beobachtung zeugt, folgt Mounir Lougmani den leisen Spuren eines Heimkehrers. In seinem Porträt offenbart sich jener Riss, der den Aufbruch von der Rückkehr trennt, die Spannung zwischen der modernen Welt und den tiefverwurzelten Ursprüngen - zwischen einem kleinen marokkanischen Dorf und der schier unermesslichen Weite der Welt. |
Das kleine Dorf im Norden Marokkos, erfüllt von staubigen Pfaden, niedrigen Lehmhäusern und dem Schatten eines ehrwürdigen Feigenbaums, präsentiert sich als ein Ort, an dem das Leben sich wie Wasser in einer ausgetrockneten Mulde sammelt - unscheinbar für die Außenwelt und doch der Mittelpunkt der Welt für seine Bewohner.
„Er ist zurück.“ - Die Nachricht zieht durchs Dorf
An jenem Nachmittag, der sich wie so viele zuvor ankündigte, fanden sich die Frauen auf farbenfroh geflochtenen Matten zusammen, sortierten Oliven und teilten ihre Erzählungen, wie es sich unter Schwestern erzählt. Doch an diesem besonderen Tag lag etwas Unausgesprochenes in der Luft. Lalla Khnata, die Älteste der Runde, bemerkte fast beiläufig: „Er ist übrigens zurück.“ „Wer?“ erkundigte sich Lalla Zahra mit leiser Verwunderung. „Mustapha“, entgegnete Lalla Khnata, „der Sohn von Lhaj L‘Arabi. Der einst fortgezogene, von dem niemand gewiss war, ob er je wiederkehrt.“
Seit Tagen war das Dorf von diesem Flüstern erfüllt. Einige hielten es für ein Gerücht, andere erinnerten sich an das alte Sprichwort: „Wer wortlos geht, kehrt wortlos zurück.“ Nur Lalla Ruqayya, jene Frau mit dem durchdringenden Blick, murmelte leise: „Man gelangt nur heim, wenn das Herz nie gänzlich fortgezogen ist.“
Zur gleichen Stunde saß Lhaj L‘Arabi regungslos auf der kleinen Bank vor seinem Heim. Die Jahre hatten seinen Leib gebeugt, jedoch nicht zerstört. Mit schief sitzendem rotem Fes und einem vertrauten Stock in der Hand starrte er in die flirrende Hitze des Nachmittags und murmelte leise vor sich hin: „Kehrt der Vogel, der fortgezogen ist, jemals zurück zu seinem Nest?“ Dies sprach er nicht in der Hoffnung, vielmehr aus einer tiefen Sehnsucht und beinahe müder Wehmut.
Ich bin heimgekehrt, um zu erzählen
Die Zeit verstrich. Kinder tollten in den engen Gassen, und der Muezzin rief zum Gebet, als Mustapha langsam herantrat - verändert, breiter, mit einer ernsteren Miene, fast fremd und doch unermesslich vertraut. Als Lalla Fatima, seine Mutter, ihn erblickte, erstarrte sie beinahe: „Mein Sohn … bist du es wirklich?“ Mit einem Lächeln, das lang vermisst schien, erklärte Mustapha: „Ich bin heimgekehrt und bringe Geschichten mit - Geschichten, süß und bitter, so wie das Leben selbst.“
Am Abend versammelte sich das ganze Dorf; Teppiche wurden ausgebreitet, Feuer entzündet und Tee mit frischer Minze ausgeschenkt. Mustapha nahm inmitten der Runde Platz und begann: „Ich lebte in Deutschland, arbeitete viel, teilte mein Dasein mit Fremden. In Düsseldorf baute ich ein Haus, das jedoch nie Heimat wurde. Jeden neuen Morgen erwachte ich im Bewusstsein eines steten Mangels, als fehle etwas Unverzichtbares.“ Er erzählte von kalten Wintern, von stummen Wohnungen, in denen sich niemand grüßte, von Brot, dem der heimische Duft entglitt, und von Straßen, denen der Klang des Gesprächs fehlte. „Obwohl ich vieles besaß, blieb mir jenes Gefühl der Leere. Schließlich vernahm ich in mir eine Stimme, die mahnte: Wer seine Wurzeln verliert, verliert sich selbst.“
Mit bedächtiger Ruhe öffnete er eine Tasche und offenbarte darin einen andalusischen Filzhut, kunstvoll gewebte Stoffe aus Fès und eine silberne Gebetskette aus dem Süden. „Dies sind keine bloßen Geschenke“, erläuterte er, „sondern Zeichen - Erinnerung und Herkunft.“
Da erhob sich Ssi Allal, der alte Lehrer des Dorfes, und sprach: „Die Fremde spricht in unzähligen Zungen - sie schenkt Erkenntnis, doch birgt zugleich das Vergessen. Wer alles in sich aufnimmt, wird zum Spiegel ohne ein eigenes Bild. Nur wer lauscht, wählt und das behält, was seine Seele nährt, kehrt nicht als ein anderer zurück, sondern findet sich in sich selbst neu.“ Mustapha nickte zustimmend: „Meine Rückkehr ist das Band, das verbindet - was ich in ferner Welt erlebte, und das, was wir hier sind.“
Wer unter den Palmen groß wird, wird nie vergessen, wie warm der Sand die Füße umschmeichelt
Am nächsten Morgen, als der Muezzin zum Gebet rief, wusch Lalla Fatima feierlich die Türschwelle mit Rosenwasser. Ein silbernes Amulett, angebracht am Türgriff als Schutz gegen den bösen Blick, rundete den Brauch ab. In der Schule erhoben die Kinder ihre Stimmen im Chor: „Ich bin Marokkaner. Ich bin Amazigh, Araber, Rifi. Ich bin Kind dieses Landes, genährt von Brot und Tee - und erfüllt vom stolzen Gefühl, dazuzugehören.“
Lhaj L‘Arabi wischte sich, während die Szene ihn berührte, eine Träne aus dem Gesicht und murmelte: „Wer unter den Palmen groß wird, wird nie vergessen, wie warm der Sand die Füße umschmeichelt.“
Mustapha trat in sein altes Zimmer. Behutsam nahm er den andalusischen Filzhut ab, als sei er eine Krone aus längst verflossener Zeit, und hängte ihn an den Haken. Dann setzte er sich an jenen schlichten Holztisch, zog Papier heran und begann zu schreiben - mit einer ruhigen Hand, beseelt von stiller Entschlossenheit.
„Mein Name ist Mustapha“, so begann er. „Ich bin heimgekehrt, um zu erzählen. Heimat - das ist kein Ort, den man durchschreitet. Sie ist ein inneres Leuchten, ein unvergänglicher Klang. Ein stiller Herzschlag im Staub - der, einmal erwacht, nie mehr verstummt.“
Es beginnt nicht mit dem ersten Schritt, sondern mit einem Duft - ein Hauch Erinnerung, der sich an einem stillen Nachmittag durch die Küche schleicht. Plötzlich ist er da: in einem Tropfen Tee, im Licht, das sich auf dem Fensterglas bricht. Und mit ihm kehrt eine ganze Welt zurück.
Mustapha sitzt allein, ein Becher Tee vor sich, das zarte Flackern einer Kerze wirft Schatten an die Wand. Während der Dampf sich hebt, erhebt sich auch in ihm etwas - eine Stimme, ein Ort, ein anderes Licht: Düsseldorf.
Deutschland ist Klarheit
Nicht wie im Reiseführer, sondern wie es in ihm blieb: klar, zurückhaltend. Ein Leben, das in Ordnung sprach statt in Farben. Er blickt zurück - nicht in Wehmut, sondern in stillem Staunen.
Er war gegangen, weil es sein musste. Oder weil etwas in ihm suchte - nicht Reichtum, nicht Flucht, sondern den Neubeginn. Wie ein Feigenblatt, das im Herbst zu Boden fällt - nicht um zu vergehen, sondern um in neuer Erde weiterzuleben.
Deutschland war nicht laut. Nicht kalt - nur bedacht. Die Tage besaßen scharfe Kanten, die Nächte eine verlässliche Dunkelheit. Die Menschen sahen nicht lange, aber sie sahen wahrhaftig.
Deutschland war ein Ort, an dem die Dinge funktionierten - nicht aus Pflicht, sondern aus einem feinen Sinn für das Gemeinsame. Und doch blieb in Mustapha ein Raum offen - für etwas, das dort keinen Namen trug. Etwas Unsichtbares, Unhörbares - aber spürbar.
Vielleicht war es der Geruch. Denn der Regen in „Eller“ fiel sacht. Er klopfte nicht - er flüsterte an die Fensterscheiben. Er verwischte das Spiegelbild, doch brachte keinen Duft mit sich. In diesem feinen Mangel begriff Mustapha: Heimat ist auch Sinnlichkeit. Nicht bloß Sprache, sondern Duft. Nicht bloß Erinnerung, sondern Berührung durch Luft.
An einem Winterabend fand er auf dem Küchentisch einen vergilbten Zettel. Er hatte ihn selbst einst geschrieben, halb im Scherz: „Ein Land ohne Duft bleibt namenlos.“ Als er dies las, war Fès plötzlich wieder da - nicht als Ort, sondern als Empfindung. Etwas Bleibendes, nicht Vergängliches.
Er sah seine Großmutter vor sich - wie sie Orangenblüten in einer Zinnschale wusch, sie mit Bedacht ordnete und sagte: „Die Blüte, mein Kind, ist nicht bloß Duft. Sie ist Geschichte. Geduld. Ein Tropfen Herz aus den Händen der Alten.“ Sie kochte die Blüten langsam auf dem Kohlenbecken, und der Dampf stieg auf wie ein stilles Gebet. Er füllte das Haus nicht nur mit Wärme - sondern mit Bedeutung.
Wer je den Hauch der Orangenblüte einatmet, trägt das Haus seiner Kindheit für alle Zeiten in der Tiefe seines Wesens
„Das ist Heimat“, dachte Mustapha. Und er sah sich selbst als Kind: ein Holzbrett in den Händen, darauf Teig - weich wie ein ungesprochenes Wort, bedeckt mit einem weißen Tuch, unter dem ein Versprechen ruhte. Die Stimme seiner Mutter drang durchs enge Fenster: „Hüte das Brot unseres Hauses. Wenn es fällt, verliert es seinen Geschmack - und seinen Segen. Und das Brot der Fremde nährt wohl - doch es heilt nicht.“
Fès war kein Ort - Fès war Duft. War Lied. War Sprache, die durch die Haut ging. In Gedanken wanderte Mustapha durch die Bögen der Altstadt, hörte das Hämmern der Kupferschmiede, roch das Goldgewebe in der Luft - und wusste: Eine Stadt, die man nicht riechen kann, kann man nicht lieben.
Und Düsseldorf?
Es war anders. Aber es war ehrlich. Es hatte Türen, die sich öffnen ließen. Menschen, die mit wenigen Worten viel sagten. Eine Stille, in der man lernte, zuzuhören.
In jenen Winternächten, wenn der Frost das Fenster wie ein Schleier umhüllte, entzündete Mustapha keine Heizung - er entzündete eine Kerze. Und hielt die Teetasse nahe ans Gesicht.
Doch es kam kein Echo aus der Kindheit.
Dann beugte er sich über den Becher - wie ein Greis, der sich im Gebet vor dem Morgengrauen neigt - und flüsterte: Wo bist du, Blüte? Hast du Fès vergessen? Oder hat Fès mich vergessen? Und doch wusste er: Beides ist wahr. Und beides bleibt.