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Maghreb-Katalog, Drucke und Handschriften

Der Maghreb ist als Kulturraum zweifelsohne auch eine Geschichte des Austausches und des pluralen Miteinanders. Die als islamische Blütezeit bezeichnete Epoche mit ihren wichtigen Kulturzentren im andalusischen Córdoba, irakischen Bagdad und im zentralasiatischen Buchara, war geprägt durch das Hervorbringen großer zivilisatorischer Leistungen in der Medizin, Mathematik und Kartographie, um nur einige wenige zu nennen.

 

Sammlung Maghreb Literatur, Foto: Rachid Amjahad

Eine Sammlung der Gesellschaft für Kultur und Wissenschaft des Maghreb, Drucke und Handschriften aus fünf Jahrhunderten. 

Vorwort von Harald Müller Leiter des Kulturamtes und Deniz Elbir Interkulturbeauftragter

Fast 2000 Jahre ist es nun her, dass die ersten Maghrebiner die Erft Mündung am Rhein erreichten. Die Ala Afrorum, eine ursprünglich aus Nordafrikanern aufgestellte römische Kavallerieeinheit, war Ende des 1. Jahrhunderts im römischen Novaesium stationiert und hatte ihre Wurzeln in Africa proconsularis, also Nordafrika westlich des Nils im heutigen Algerien, Tunesien und Libyen.

Die Geschichte der kulturellen Diversität in Neuss ist also sehr viel älter als gemeinhin angenommen und hat durch das Wirken der Römer einen sehr transkulturellen Charakter. Deutlich wird dies am Beispiel des in Neuss gefunden Grabmals des Feldzeichenträgers Oclatius aus dem 1. Jh. n. Chr., auf dem es heißt: „Oclatius, dem Sohn des Carvus / Standartenträger der Reiterschwadron der Afrikaner / einem Tungerer / ließ sein Bruder als Erbe dieses Grabmal setzen.“ Oclatius, ein germanischer Tungrer, aus dem Gebiet um das heutige Tongeren in Belgien, war wie selbstverständlich Teil einer multiethnischen Kavallerieeinheit, die ihre Wurzeln in Nordafrika hatte.

Tausend Jahre später zeichnete sich die nordwestafrikanische Region erneut durch ihr plurales Selbstverständnis aus. Historisch betrachtet gehörte einst auch das maurische Al Andalus zum Maghreb, also zum Westen des arabischen Kulturraumes. Zwischen 711 n. Chr. und 1492 n. Chr. regierten für fast 800 Jahre muslimische Regenten verschiedene andalusische Reiche, mit einer sehr divers zusammengesetzten Bevölkerung aus Muslimen, Christen und Juden.

So schreibt der Maghreb als Kulturraum zweifelsohne auch eine Geschichte des Austausches und des pluralen Miteinanders. Die als islamische Blütezeit bezeichnete Epoche mit ihren wichtigen Kulturzentren im andalusischen Córdoba, irakischen Bagdad und im zentralasiatischen Buchara, war geprägt durch das Hervorbringen großer zivilisatorischer Leistungen in der Medizin, Mathematik und Kartographie, um nur einige wenige zu nennen. Leistungen, die ohne den Austausch zwischen den Kulturen und der Weitergabe von Wissen aus der Antike nicht hätte stattfinden können, und ohne diese es die europäische Renaissance wohl nicht gegeben hätte. Denn erst die Übersetzerschulen in Andalusien und Sizilien, in denen die Standardwerke der Antike, die einst aus dem Griechischen ins Arabische und Hebräische und dort nun ins Lateinische übertragen wurden, machten diese Werke für das europäische Publikum zugänglich.

Aber: Der Erfolg dieser Gesellschaften zeichnete sich auch durch ihre Bereitschaft und Fähigkeit aus, flexibel und agil auf ihre Umwelt zu reagieren. Nicht nur im Umgang mit ihrer inneren Diversität in Bezug auf Ethnie, Religion und Sprache, sondern auch in der Ermöglichung der sozialen Mobilität innerhalb der Gesellschaft. Durchlässig zu sein für alle Teile der Gesellschaft, unabhängig von ethnischer und religiöser Herkunft, ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für ein gelingendes Miteinanders.

Erfolgreiche Gesellschaften stellten diese Eigenschaften in ihren Blütezeiten unter Beweis. Das Verschwinden dieser Eigenschaften und der Rückfall in Reaktionismus besiegelten in allen Fällen den Verfall und Untergang jener Gesellschaften.


Einleitung von Rachid Amjahad

Maghreb Literatur. Alte Koranausgabe

Unter dem Begriff Maghreb verstehen wir nicht den gesamten Norden des afrikanischen Kontinents, sondern lediglich die Regionen des Atlasgebirges und den

nordwestlichen Teil der Sahara: Marokko, Algerien, Tunesien im engeren, sowie Libyen und Mauretanien im weiteren Sinn.

Seit der arabischen Eroberung im 7. Jhd. n. Chr. und der damit verbundenen Islamisierung durch die Umayyaden, die vom fernen Damaskus aus regierten, wird die Region als Maghreb, also Westen/Okzident bezeichnet, als Gegenentwurf zum Maschrek, Osten/Orient. Dieser Gebrauch des relativen Begriffs Maghreb für das nordwestliche Nordafrika - Maghreb meint eigentlich jedes Land, das westlich vom eigenen Standpunkt liegt – wurde durch den Geographen Al Idrissi (geboren um 1100 n. Chr.) und den Historiker Ibn Chaldun (geboren um 1332 n. Chr.) bestätigt.

Die arabische Literatur spricht auch von der Dschasirat al Maghreb, der Insel des Okzidents, die im Westen vom atlantischen Ozean, im Norden und Osten vom Mittelmeer und im Süden von der Sahara begrenzt wird. Inselcharakter hat dieses Gebiet nicht nur in geographischer, sondern auch in kultureller und historischer Hinsicht. Zwar ist die Region Teil des arabischen Kulturraumes, bewahrte für sich allerdings eine nicht zu unterschätzende Individualität. Noch heute kann man beobachten, dass Tunesien verhältnismäßig stärker und Marokko schwächer orientalisiert erscheinen.

Ein halbes Jahrtausend lang war der Maghreb Teil des Imperium-Romanum. Es gab eine gut integrierte Schicht die lateinisch sprach, maghrebinische Regimente kämpften im römischen Heer, bedeutende Städte wuchsen auf maghrebinischem Boden und Maghrebiner bestiegen selbst den Thron des Imperiums. Es waren auch maghrebinische Kirchenväter wie der heilige Augustinus oder Tertullian, die den realistisch denkenden Europäern, die noch junge orientalische Religion des Christentums übermittelten. Der Maghreb als Geburtsstätte der Arabellion und des arabischen Frühlings ist durch seine gegenwärtige Situation als Herkunftsregion vieler Flüchtlinge und Hauptroute der Flucht nach Europa erneut in die Schlagzeilen geraten. Dabei ist die relative Unkenntnis über diese Region immer noch vorherrschend.

Der vorliegende Katalog ist ein eigenständiges Werk, das auch mit Exponaten bestückt ist, die thematisch nichts mit dem Maghreb zu tun haben. Diese Offenheit widerspiegelt die offene maghrebinische Gesellschaft, die seit der Antike stets auch selbst Zufluchtsort für viele Verfolgte und Minderheiten war und immer noch ist. ...

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