El Glaoui, Fürst des Südens
Tami Ibn Muhammad el Glaoui - was für ein Name! Einer, mit dem man in Marokko vor allem eines verbindet: Hochverrat! Grund genug, den einst so mächtigen Berberfürsten totzuschweigen und jedes Zeugnis von ihm vernichten zu wollen.
Wären da nur nicht diese großartigen Bauten, die er hinterließ… Denn sie sind Zeugnisse längst vergangener Tage, und schon fast vergessener Baukunst. Doch erst mal der Reihe nach: Wer war Tami Ibn Muhammad el Glaoui, der Mann, dessen Name bis heute Synonym ist für Schande und Verrat? Tami war ein Berberfürst, der sich Ende des 19. Jhs. durch skrupellose Kämpfe als größter Großgrundbesitzer des Südens etabliert hatte. Seine Herrschaft war gefürchtet, seine Brutalität bekannt. Während seine Landsleute erbittert gegen die französische Vorherrschaft kämpften, schloss sich der Fürst den Franzosen an, die das Land 1912 zu ihrem Protektorat erklärten. Seite an Seite mit ihnen erkämpfte sich Ibn Muhammad die Vorherrschaft in Südmarokko. Überall im Land ließ er riesige Kasbahs errichten, Wehrdörfer und Spähtürme. In Marrakech bewohnte er mit seiner Familie die größten und schönsten Paläste, die er fast alle während seiner Herrschaftszeit errichten ließ, sofern er nicht alte Paläste okkupiert hatte.
Doch mit der Unabhängigkeit Marokkos kam der Untergang des Glaoui-Stammes. Denn niemand wollte es nach dem Abzug der Franzosen weiter mit einem Verräter zu tun haben. 1956 musste sich El Glaoui ergeben und sich Sultan Muhammad V. unterwerfen. Seine Familie und er wurden nach Frankreich verbannt, sein Besitz wurde verstaatlicht. Nichts, gar nichts mehr wollte man von all den Prachtbauten stehenlassen. Doch dann kam der Tourismus und mit ihm das Interesse an eben jenen Bauten. Denn - das muss man dem Fürsten neidlos anerkennen: Er war ein Großmeister darin, Prachtbauten errichten zu lassen!
Von all den vielen Glaoui-Bauten, die man heute in Marokko besuchen und bestaunen kann, gibt es vor allem zwei, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Zum Einen, weil sie unterschiedlicher nicht sein könnten, zum Anderen, weil sie an Großartigkeit kaum zu überbieten sind.
Das eine ist das Dar el Bacha, der einstige Marrakecher Palast des Fürsten. Es wurde 1910 erbaut und steht in Marrakechs Medina. Heute ist hier das wirklich fantastische Musée des Confluences untergebracht, das sich dem gegenseitigen kulturellen Austausch widmet. Wer hierher kommt, kann nicht nur die einzigartige Baukunst des Berberfürsten bewundern, sondern sich auch über wirklich interessante Sonderausstellungen freuen, sowie den wahrscheinlich stilvollsten Kaffee der Stadt genießen.
Der zweite Bau des Glaouis, den man unbedingt aufsuchen sollte, und das am besten bald, da er zu verfallen droht, ist der einstige Stammessitz des Berberfürsten, die Kasbah Telouet im Hohen Atlas. Er war einst die größte Kasbah des Landes. Von Telouet aus kontrollierte der legendäre Stamm die Handelskarawanenrouten von Marrakech in den Süden. Bei der Kasbah von Telouet handelt es sich nicht, wie man bei der Bezeichnung meinen möchte, um eine einzige Kasbah, sondern um ein Konglomerat vieler einzelner Kasbahs und einer Moschee, die miteinander verbunden sind, sodass am Höhepunkt der Clan-Macht in den 1950er-Jahren mehr als 1000 Menschen, darunter viele Leibeigene, in der Kasbah lebten. Heute steht sie leer. Am prunkvollsten innerhalb des ganzen Komplexes ist der Empfangssaal im Haupttrakt, der mit Carrara-Marmor ausgelegt ist. Die Wände sind von zellijes (Zementfliesen bzw. Mosaiken) umgeben, alle in Blau-Weiß. Von hier aus hat man auch einen großartigen Blick gen Westen durch ein Bogenfenster – weit in die Ferne, sodass man den Karawanenweg perfekt unter Kontrolle halten konnte. Die Kasbah wurde vor wenigen Jahren den Erben des Glaoui-Clans zurückgegeben. Es darf spekuliert werden, ob diese die Kasbah weiter verfallen lassen oder irgendwann einmal eine Renovierung in Angriff nehmen. Das müsste jedoch bald sein, denn Lehm zerfällt, wenn man ihn zu lange nicht pflegt.
Informationen (enstammen, so wie Teile des Textes, dem Buch Marokko – Stefan Loose Travel Handbuch): Musée des Confluences : 65 Riad Laarous, Rue Dar el Bacha, facebook.com/darelbachamuseedesconfluences
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