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Die Erde bewegte sich mit großer Kraft unter unseren Füßen

Zwei Tage nach dem starken Erdbeben vom 08.09.2023, bebte die Erde erneut unter unseren Füßen. Es war ein Erdbeben der Stärke 4,5. Es war die zweite Nacht, die wir im Freien verbracht haben.

Zerstörung durch das Erdbeben von El HawzDie Erde bewegte sich mit großer Kraft unter unseren FüßenUnser Auto steht unmittelbar am Haus. Wir haben einen kleinen Sitzbereich im angrenzenden Garten eingerichtet und nutzen das Auto als Schlafzimmer.

Als das Erdbeben uns das erste Mal traf, bewegte sich die Erde mit großer Kraft unter unseren Füßen. Ähnlich einem Flugzeug, das gegen Luftturbulenzen kämpft, schwankte auch unser Haus gefühlte zwei Minuten lang. Wir waren im Obergeschoss und konnten unsere Beine weder in die eine noch in die andere Richtung bewegen. Unser vorrangiges Ziel, das Schlafzimmer unserer Tochter zu erreichen war in diesen ersten Momenten nicht möglich.

Der Schock saß tief. Dann fiel auch noch der Strom aus. Das Licht war zwar nur eine Minute weg; diese fühlte sich allerdings wie eine Ewigkeit an. Es war die längste Minute meines Lebens.

Als wir uns schließlich barfuß auf die Straße begaben und uns in den Armen von Nachbarn wiederfanden, atmeten wir erleichtert auf. Es war ein gewaltiges Beben. Wir dachten, die Erde wolle nicht aufhören zu toben. Es war, wie wir später erfuhren, ein Erdbeben der Stärke 6,8 auf der Richterskala.

Wir sind nun, auch Tage nach dem schrecklichen Erlebnis, weiterhin unfähig unser gewohntes Sicherheitsgefühl wiederzuerlangen, und es wird vermutlich noch lange dauern, insbesondere, da wir im Augenblick die Tragweite des Ereignisses nicht im Entferntesten einschätzen können.

Ich habe vor einiger Zeit, in einem Moment der Enttäuschung ein Gedicht mit dem Titel „Die Blume der Verzweiflung“ geschrieben, in dem ich mich nach einem Erdbeben sehnte: „Wo bist Du, Erdbeben, um mich bei der Hand zu nehmen?“ […]“. Was für ein Hohn:

 

Ahmed Barakat war Journalist, Dichter. Er war ein Verfechter des Prosa-Gedichts in Marokko und gilt als Verfasser des ersten marokkanischen Manifests, das das marokkanische Prosa-Gedicht verteidigt und würdigt.

   

Ich hatte bis dahin ja auch nicht die leiseste Vorstellung von dem, was ein Erdbeben dieser Stärke anrichten kann. Das Wort „Erdbeben“ war für mich bis dahin nur ein Wort im Wörterbuch, eine Metapher und keine lebendige Begegnung mit einer Katastrophe.

Nachdem Marrakesch und seine Umgebung erschüttert wurden, nachdem die Erde ganze Dörfer im Umkreis der Koutoubia-Moschee verschluckte, nach einer tragischen Bilanz von ca. 3000 Toten und über 5700 Verletzen, nachdem das Land 3 nationale Trauertage ausrief, fiel mir der jung verstorbene marokkanische Dichter Ahmed Barakat ein, der eine Gedichtsammlung mit dem Titel „Niemals werde ich dem Erdbeben nachgeben“ verfasste.

Heute stehe ich auf Deiner Seite, Barakat. Ich ziehe meinen impulsiven Satz verschämt zurück, um mit Dir das Misstrauen der Dichter wiederzuerlangen […].

Hier finden Sie mehr über den Autor Yassin Adnan