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Bouidar ist das erste Kinderdorf der Atlas Kinder

Dar Bouidar ist das erste Kinderdorf der Atlas Kinder. Es gilt als „Leuchtturm“, als Muster und Vorbild für den Bau weiterer Kinderdörfer. Neben den Familienhäusern, dem Zuhause der Atlas Kinder, in dem sie gemeinsam mit ihren Pflegemüttern leben, gibt es eine Schule, einen Kindergarten, ein Babyhaus, zwei medizinische Praxen, ein Therapiezentrum und ein „Haus der Integration“ für Kinder mit Behinderungen. Auch ein Amphitheater, eine Moschee sowie ein Bauernhof finden sich in Dar Bouidar.

 

Dar Bouidar, Informationen am Eingang des Kinderdorfes, Foto: marokko erfahrenUnvorstellbar, aber auch heute noch leider bittere Realität, dass in Marokko manche Kinder aufgrund sozialen Drucks, Krankheit oder Armut ausgesetzt oder abgegeben werden.

Wie gut, dass es Menschen wie Hansjörg Huber gibt, der in einem Interview Anfang 2022 von sich selbst sagt: Ich habe schon seit mehr als 50 Jahren eine Sensibilität für die Schwachen. Das - und sein Besuch eines Schweizer-Kinderdorfes als 22-Jähriger - bewog ihn dazu, nach Beendigung seiner beruflichen Karriere in Marokko selbst ein Kinderdorf zu gründen. 2013 begannen die Arbeiten dafür, 2015 ziehen bereits die ersten Kinder ein.

Seitdem wird das Dorf kontinuierlich erweitert, um den Kindern eine Vielfalt an Entwicklungschancen und Therapiemöglichkeiten anbieten zu können.

Lena holt das Essen fuer die Kinder eines Hauses, Foto: Lena HeinenVon der Idee fühlt sich auch die 1995 geborene Lena Heinen aus Essen magisch angezogen. Spannend klingt ihr beruflicher Werdegang, deutet auf eine konsequente Suche des richtigen Weges, verbunden mit dem dazugehörigen Einsatz hin. Bereits als 15-Jährige verbringt sie ein Auslandsjahr in Quebec, lernt dort Französisch und entscheidet sich für ein bilinguales Abitur in Deutsch und französisch. Danach zieht sie eine zweijährige Ausbildung zur Mediengestalterin durch, gesteht sich aber im Berufsleben schnell ein, dass sie der Job in einer Werbeagentur auf Dauer nicht glücklich macht.

Ein Studium der Kindheitspädagogik schließt sich an, Lena erklärt uns in wenigen Worten ihre Beweggründe: Ich würde sagen, ich brenne definitiv für die Grundidee meines Berufes, der Pädagogin. Menschen zu helfen, ihnen ein gutes Gefühl zu geben und vor allem, und das steht an erster Stelle, ihnen zu mehr Selbstständigkeit und Selbstvertrauen zu verhelfen.

Mit Leidenschaft beobachtet sie Kinder, analysiert ihre Verhaltensweisen um zu verstehen, was Kinder wirklich brauchen. Zur Verdeutlichung ergänzt sie: Und mit „wirklich brauchen“ meine ich nicht die offensichtlichen Bedürfnisse, sondern das, was tiefer liegt. Eine Art Grundbedürfnis, das eng gekoppelt ist mit der Individualität, dem Charakter, dem Erlebten und dem Umfeld des Kindes.

Lena bedauert, dass ihr dafür im oft stressigen Alltag einer Kindertageseinrichtung viel zu wenig Zeit bleibt. Positiv wird ihre Arbeit aber bestimmt bereichert durch ihre Kreativität. Gern probiert Lena alles aus, schreckt vor keinem Werkstoff zurück, baut sogar einige Möbel selber und töpfert leidenschaftlich gern. Diesen Funken wird sie sicher problemlos auf die ihr anvertrauten Kinder übertragen können. Und dass sie weitersuchen wird, kann man ihren Worten leicht entnehmen: Der Weg, den ich gerade gehe, ist noch nicht der absolut Richtige. Aber das ist nicht schlimm, denn ich habe Vertrauen, dass das schon werden wird. Außerdem macht es riesigen Spaß all die Möglichkeiten durchzugehen, die das Leben bereithält. Parallel dazu stecke ich mitten in den Vorbereitungen zur Gründung eines eigenen Shops, in dem ich meine Keramik anbieten möchte. Leider hat der Tag nur 24 Stunden, das reicht nicht aus, um all meine Pläne zu realisieren…

Gruppe der Atlas Kinder beim kreativen Basteln, Foto: Lena HeinenOffensichtlich stellt das Jahr 2019 eine unerwartete Weiche für Lena. Mit einer Freundin unternimmt sie eine zweiwöchige Rundreise durch Marokko und fühlt sich die ganze Zeit im „Dauerhochflug“. Geflasht von ihren überraschenden Erfahrungen bemüht sie sich im Rahmen ihres Studiums um ein Auslandspraktikum an einer Kindertagesstätte in Tanger. Leider zog ihr Corona einen Strich durch die Rechnung. So schnell lässt Lena sich aber nicht entmutigen, kann Marokko einfach nicht aus ihrem Kopf streichen. Sie liest Bücher und sieht Dokumentationen über Marokko, die oft berichtete Situation unehelicher Kinder und das Schicksal ihrer Mütter berührt sie tief. Schnell führt die Recherche im Internet daher zu den Atlas Kindern. Der Rest läuft fast von allein. Lena beantragt in ihrer Kindertagesstätte einen dreimonatigen unbezahlten Urlaub, der ihr gewährt wird, packt die Koffer und fliegt im September 2022 nach Marrakech. Als Ehrenamtliche engagiert sie sich nun im Dar Bouidar für die Atlas Kinder, assistiert vormittags in der Schule. Gern unterhält sich Lena im Anschluss mit den Lehrerinnen, die ihre exakte Beobachtungsgabe schätzen lernen, Tipps und Vorschläge dankbar annehmen. Nachmittags und abends unterstützt sie die Pflegemütter auf der Säuglingsstation, organisiert für die Wochenenden verschiedene Freizeitaktivitäten.

Dar Bouidar, Zimmer von zwei Schulkindern, Foto: marokko erfahrenDie besondere Atmosphäre des Dorfes muss man selbst erlebt haben, um zu verstehen, wie viel Engagement und persönlicher Einsatz dahinterstecken. Besuche im Dorf sind dienstags bis sonntags zwischen 9.00 und 16.30 Uhr möglich. Nachdem wir die notwendigen Formulare zur Anmeldung ausgefüllt haben, steht Tarik zu unserer Verfügung. Toll, dass er sogar seine Deutschkenntnisse hervorkramt und uns auf einem ausgedehnten Rundgang alles zeigt und erklärt. Im Verwaltungsgebäude stoßen wir zufällig auf Lena, ein langes und intensives Gespräch schließt sich an. Wir teilen die Leidenschaft für Marokko, empfinden beide die In schā' Allāh Mentalität als kompliziert, lachen über die unterschiedliche Wertung des Begriffes Pünktlichkeit, sind uns aber einig, dass positive Erlebnisse und Erfahrungen alle anderen Probleme in den Hintergrund treten lassen. Lenas abschließenden Worten können wir uns nur anschließen: Fahrt mal nach Marokko, lest davor nicht zu viele Erfahrungsberichte, macht lieber eure eigenen Erfahrungen. Seid offen und freundlich zu den Menschen. Viele Marokkaner haben tolle Geschichten zu erzählen, von den Berbern, dem Land, der Kultur. Sie sind aber meist besonders interessiert an euch. Ihnen steht die Welt nicht so offen wie uns.

Dar Bouidar, Spielflaeche für die ganz Kleinen, Foto: marokko erfahrenUnd wie geht es für Lena nach ihren drei Monaten im Kinderdorf Dar Bouidar weiter? Sicher wird sie in „ihrer“ Kindertagesstätte schon sehnsüchtig erwartet. Aber die Suche nach ihrer beruflichen Richtung ist noch nicht abgeschlossen. Lena weiß jedoch, dass sie ihren Fokus verstärkt auf sozial benachteiligte/marginalisierte Menschen richten wird. Neben sozialem Engagement stehen für sie die Kreativität, Toleranz und gegenseitiges Verständnis ganz oben auf ihrer Prioritätenliste. Und natürlich der Kontakt zu den Atlas Kindern – die sie durch ihren Antrag als Stiftungsmitglied unterstützen möchte. Wer weiß, vielleicht entwickelt sich eines Tages noch mehr aus dieser dreimonatigen Tätigkeit? Zu wünschen sei es Lena!

Interview mit Hansjörg Huber

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