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Felskunst, Neolithikum und Typologie

Alain RodrigueAbbilder gefundener Schriftzeichen am Oued Meskaou aus "Inscriptions Libyco Berberes du Maroc S. 18", Foto: Alain RodrigueMeine Eltern, sagt Alain Rodrigue, die mir 1946 das Licht der Welt schenkten, waren Franzosen, die sich zufällig in Marokko während des Zweiten Weltkriegs kennenlernten. Obwohl ich Franzose bin, betrachte ich Marokko als mein Geburtsland, in dem ich bis zu meiner Pensionierung gelebt und gearbeitet habe.

Als berufliche Grundlage habe ich die Hochschule für Sozialwissenschaften besucht und später zum Doktor der Prähistorie promoviert. Noch heute bin ich der Meinung, dass Entdeckungen in der Prähistorie von zwei Faktoren abhängen: Leidenschaft und Glück. Ich war dazu bestimmt, beides zu genießen.

Gern verbringe ich viel Zeit damit, an Orten entlang zu wandern, an denen noch nie ein Forscher der Vorgeschichte gewesen ist. Während meiner Doktorarbeit habe ich mit marokkanischen Beamten zusammengearbeitet, bin aber heute ein unabhängiger Forscher. Mein größtes Vergnügen ist es, zu entdecken, aber ich zeichne und schreibe auch sehr gerne.

Ausblick in die Umgebung auf Gravurensuche am Jorf Naga, Foto: marokko-erfahren

Gravur Azrou Klan  stellen vermutlich Elefanten dar, Foto: marokko-erfahren.deAlain Rodrigue ist Prähistoriker und Spezialist für Marokko mit den Studienschwerpunkten: Felskunst, Typologie, Neolithikum. Seit seiner Pensionierung hat Alain seinen Wohnsitz nach Castres in Frankreich verlegt, prähistorische Forschungen in der Region Tarn haben ihn dazu verlockt. Dennoch reist er regelmäßig nach Marokko, hat sich das persönliche Ziel gesetzt, Marokkos Felskunst umfassend zu inventarisieren.

Als Autor von Notizen, Artikeln, Monographien und Büchern über die Vorgeschichte Marokkos teilt er sein umfangreiches Wissen der Öffentlichkeit mit, allerdings sind dafür französische Sprachkenntnisse erforderlich. Sein 2022 erschienenes Werk Inscriptions Libyco-Berbères du Maroc hat er unter dem Schwerpunkt veröffentlicht, Inschriften vorzustellen. Das Buch ermöglicht dem Leser, Rodrigues Forschungsergebnisse aus den Jahren von 2001 bis 2018, veröffentlicht in verschiedenen Fachzeitschriften, in einer vollständigen Ausgabe genießen zu können.

Gleichzeitig widmet er das Buch seinem langjährigen österreichischen Forscherkollegen Werner Pichler, der 2011 in den Alpen zu Tode stürzte.

Gravuren mit Schriftzeichen Jorf Naga, Foto: marokko-erfahren.deMit viel Wissen und Sachverstand gliedert Rodrigue die Inschriften-Fundstellen im Süden Marokkos, einfühlsam beschreibt er dem Leser - teils in Französisch, teils in Englisch Lage, Anfertigungstechnik und gefundene Zeichen ohne diese jedoch zu deuten. Da er selbst leidenschaftlich gern zeichnet, ist jedes Kapitel ergänzt durch detaillierte Skizzen der entdeckten Schriftzeichen. Am Ende einer beschriebenen Fundstelle bietet er dem interessierten Leser weiterführende bibliographische Quellen an.

Mit einer ergänzenden Karte am Ende des Buches sind nahezu alle beschriebenen Stellen auffindbar, lediglich bei Oued Rheris hält sich der Autor mit einer genauen Beschreibung des Ortes zurück und bittet bei Interesse um Kontaktaufnahme. Hier handelt es sich um ausgesprochen seltene Felsmalereien, gefunden unter einem Felsüberhang im Tal des Wadi Rheris, die es zu schützen gilt.

Wer sich nun - inspiriert durch die Lektüre - auf eigene Suche nach den beschriebenen Felsgravuren begibt, darf sich sicher sein, nicht ausschließlich Schriftzeichen zu finden. Oft befanden sich einst in der Nähe dieser Fundstellen Siedlungen oder Kultstätten, Hirten waren mit ihren Tieren unterwegs. Da gab es mannigfaltige Anlässe, spannende Spuren im Stein zu hinterlassen, die auch heute noch die Phantasie jedes Betrachters anregen.

Alain Rodrigue und marokko-erfahren

Blick auf den Oued Akka von Jorf Naga, Foto: marokko-erfahren.deZwischen Imitek und Akka ziehen sich entlang des Oued Akka zahlreiche Gravuren-Fundstellen. Hier lässt sich manch ein Tag ungestört in einer fantastischen Open-Air Galerie verbringen - vorausgesetzt, man hat genug Wasser und Verpflegung bei sich.

So einen Tag verbringen auch wir im Frühsommer 2018 am Jorf Naga, entdecken faszinierende Gravuren: Rinder, Gazellen, Vogelstrauß, aber auch geometrische Figuren, sogar Schrift. Mühsam trennen wir uns am Nachmittag von diesen Eindrücken, steigen den Hügel abwärts. Plötzlich sehen wir - fast wieder in der Ebene angekommen - zwei Menschen, die zielstrebig auf uns zukommen, einer von ihnen ist bekleidet mit einer Djellaba.

Etwas zurückhaltend will ich die Richtung wechseln, vermute Hirten, die spontan Lust auf Zigaretten haben… Freundlich werden wir jedoch auf Französisch angesprochen, vor uns steht Alain Rodrigue, der Kenner marokkanischer Felskunst - was uns jedoch erst später bewusst wird. So gut es unsere Sprachkenntnisse zulassen, berichten wir uns gegenseitig von unseren Tageserlebnissen, erhalten Hinweise auf weitere Fundstellen in der Nähe und tauschen Adressen aus.

Seitdem besteht ein reger Mailkontakt. Mit großer Begeisterung unterstützt Alain intensiv unsere Kartenarbeit. Gern stellt er dafür Fotos, Daten und Informationen von Fundstellen zur Verfügung, die wir erwähnen sollen, aber noch nicht selbst besucht haben. Im Gegenzug freut er sich über Koordinaten ihm unbekannter Gravuren, auf die wir bei der Recherche nach ganz anderen Punkten durch Zufall gestoßen sind. Keine an ihn gestellte Fachfrage bleibt unbeantwortet, so dass wir durch seine umfassenden Kenntnisse viel lernen dürfen.

Ganz besonders freut uns sein Textbeitrag auf dem Kartenblatt Amtoudi - Fam El Hisn - Ifrane Atlas-Saghir - Taghjijt, in dem er die Gravuren ungewöhnlicher zweirädriger Fahrzeuge beschreibt:

Unter den Felsgravuren im Süden Marokkos ist die Abbildung eines zweirädrigen Fahrzeugs ("char") recht seltsam. Es besteht aus einer die Räder verbindenden Achse und einer Deichsel. Manchmal werden Ladefläche und/oder Speichen der Räder dargestellt. Meist wurde die Gravur gepickt bzw. gepunzt (Einschlagen von Vertiefungen). Es gibt auch geritzte Darstellungen (dünne in das Gestein gravierte Linien).

Grundsätzlich handelt es sich um Zweispänner ("bige"), deren Gespannführer nie zu sehen sind. In seltenen Fällen sind Zugtiere abgebildet.

Die Darstellungen finden sich in Marokko (auch im Hohen Atlas) sowie in Mauretanien, Algerien und Libyen. Manchmal sind ganze Fundorte ausschließlich diesen Fahrzeugen gewidmet.

Das Bild des "galop volant" (fliegender Galoppwagen) in der Sahara ist wohlbekannt und stellt sicherlich eine Realität dar. Niemand weiß, ob diese "chars" als Sportgeräte, für Kriegszüge, als Prestigefahrzeug oder einfach als Transportmittel verwendet wurden.

Die Idee einiger Prähistoriker, die Fundstellen dieser Abbildungen als "Straße der Fuhrwerke" durch die Sahara zu bezeichnen, ist heute aufgegeben worden.

Die Allgegenwärtigkeit der stereotypen, manchmal auch schematischen Abbildungen eines Fahrzeugs, das an einen Kinderroller erinnert, ist vermutlich eine wichtige Botschaft.

Die Bedeutung der unmerklich zu einem Symbol gewordenen Darstellung dieses anfangs realen Objektes wird für uns immer unverständlich bleiben.

[Quelle: K15: Amtoudi - Fam El Hisn - Ifrane – Taghjijt - ISBN: 9783931099329]

 

Liste der Veröffentlichungen von Alain Rodrigue im Verlag L'Harmattan:

  • L'art rupestre du Haut Atlas marocain. L'Harmattan, 1999. ISBN: 2-7384-8281-3
  • Préhistoire du Maroc. La Croisée des Chemins, Casablanca, 2002. ISBN: 9981-896-16-0
  • Images gravées du Maroc. Kalimat Babel, Témara, 2006. ISBN: 9954-8741-0-0
  • L'art rupestre du Maroc, les sites principaux. L'Harmattan, 2009. ISBN: 978-2-296-09321-8
  • La Seguia El Hamra. L'Harmattan, 2011. ISBN: 978-2-296-56232-5
  • Images rupestres du Maroc. L'Harmattan, 2016. ISBN: 978-2-343-10420-1
  • Inscriptions Libyco-Berbères du Maroc. L'Harmattan, 2022. ISBN: 978-2-14-029301-6

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Wiehoffen sehr, dass wir demnächst einmal wieder zur gleichen Zeit in Marokko sein werden, um gemeinsam auf Entdeckungstour zu gehen. Nach wie vor sind wir uns sicher, dass dieses spontane Treffen kein Zufall gewesen war.

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