15 Sekunden, die Agadir veränderten
Irgendwann taucht sie plötzlich aus dem Nebel auf, die Frage: wo findet man denn hier die alten Gebäude? Wie sah Agadir eigentlich aus, bevor die vielen Touristen kamen?
Agadir ist eine moderne, ja fast europäisch wirkende Stadt. Zugegeben, Temperament und Straßenverkehr wirken alles andere als europäisch, eher sehr gewöhnungsbedürftig! Trotz allem, am Strand reihen sich die weißen Bettenburgen aneinander, die so oder ähnlich in nahezu jedem europäischen Badeort anzutreffen sind. Shoppingmeilen und Einkaufsgelegenheiten finden sich passend zu jedem Geldbeutel. Ein bunt gemischtes Bild der Kulturen sitzt in Caféhäusern und Restaurants friedlich nebeneinander.
Und trotzdem fehlt etwas. Wer nicht nur als „all inclusive“ Tourist zwischen Hotel und dem dazugehörenden Badestrand hin- und herpendelt, wird eine Weile brauchen. Zu sehr nimmt einen das doch quirlige Leben gefangen, die Eindrücke vom Souk El Had wollen verarbeitet werden. Aber es rumort im Inneren weiter. Irgendwann taucht sie plötzlich aus dem Nebel auf, die Frage: wo findet man denn hier die alten Gebäude? Wie sah Agadir eigentlich aus, bevor die vielen Touristen kamen?
Inschrift auf der Betonmauer: Wenn das Schicksal die Zerstörung von Agadir entschieden hat, hängt ihr Wiederaufbau von unserem Willen und unserem Glauben ab.
Heute erinnert eine Gedenkmauer an das, was vor 62 Jahren die Stadt erschütterte. Der Architekt Claude Verduro hat sie zur Erinnerung an die Opfer geschaffen. Auf der Inschrift der knapp 5 Meter langen Betonmauer sind die berühmten Worte von König Mohamed V nach dem Erdbeben zu lesen.
Von diesem Teil der Geschichte will im unbeschwert wirkenden Urlaubsort niemand mehr sprechen
Und doch gibt es ihn. Vor genau 62 Jahren, am 29. Februar 1960 bebte die Erde 15 Sekunden. Das Epizentrum lag genau unter der alten Stadt Agadir, es war 23.41 Uhr, die Richterskala zeigte einen Wert von 5,3 an und die meisten Menschen befanden sich zu dieser Zeit schlafend in ihren meist einfach und ohne Keller gebauten Häusern. Siehe Video-Dokumentation des britschen Pathé
Die Kasbah, das Viertel Talborij, das europäische Viertel Ville Nouvelle und Teile des Hafens fielen wie Kartenhäuser zusammen. 15.000 Menschen fanden den Tod, die überlebenden 35.000 Menschen wurden obdachlos. Fakten, die betroffen machen. Fakten, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen! Denn es gibt sie noch zu finden - spärlich - aber die Gebäude, die die Katastrophe überstanden haben und heute noch fast unbemerkt zwischen Neubauten stehen.
Forum Izorane n‘ Agadir
Der Verein „Forum Izorane n‘ Agadir“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte der Stadt aufzuarbeiten. Augenzeugen, selbst Betroffene haben sich zusammengefunden und in einer sehr anschaulichen Fotodokumentation das Geschehen von 1960 mit all seinen Folgen dem interessierten Besucher im Museum neben dem „Jardin de Olhao“ nahezubringen.
Bewegend, wenn ein heute 75-jähriger Mann berichtet, wie man ihn als 13-jährigen aus den Trümmern geborgen hat, für seinen Vater jedoch die Rettung zu spät kam. Emotionen, die beim Erzählen nicht zu übersehen sind. Mit anderen Augen sieht man anschließend auch die Reste der Kasbah Oufella, bei deren Besuch die Straße an der breit aufgerissenen Erdspalte vorbeiführt, die sich 1960 aufgetan hat.
Weitere Informationen zu Agadir und den Positionen einiger Gebäude, die nach dem Erdbeben stehen geblieben sind, finden Sie auf unserem Stadtplan Agadir ISBN 9783931099299
Mehr über "marokko-erfahren" finden Sie hier