Der marokkanische Kaftan: Ein Meisterwerk kultureller Vielfalt und Eleganz
Die Kultur und ihr reiches Erbe zeichnen sich stets durch eine besondere Einzigartigkeit aus. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist der marokkanische Kaftan, der über die Jahrhunderte von Sultanen und Königen getragen wurde.
Der marokkanische Kaftan ist weit mehr als ein bloßes Kleidungsstück. Er ist ein kunstvolles Meisterwerk, das die reiche Geschichte und kulturelle Vielfalt Marokkos in sich vereint. Heute nimmt der marokkanische Kaftan dank seiner Authentizität und tief verwurzelten Geschichte eine herausragende Stellung in der internationalen Modewelt ein. Seine Vielfalt an Formen, Farben und Designs hat die Aufmerksamkeit renommierter Designer aus Kunst und Mode auf sich gezogen. Ob als prächtiges Hochzeitskleid oder stilvolles Modeelement - der Kaftan bleibt ein zeitloses Stück marokkanischer Kultur, das unterschiedliche Geschmäcker anspricht und seine unvergleichliche Schönheit immer wieder neu erfindet.
Historischer Abriss
Der Ursprung des marokkanischen Kaftans lässt sich bis ins 12. Jahrhundert, während der Almohaden-Dynastie (1130-1269), zurückverfolgen. Dabei spielte Fès eine entscheidende Rolle, da die Stadt als führendes industrielles Zentrum Marokkos mit zahlreichen Gewerbegebieten und Textilwerkstätten maßgeblich an seiner Entwicklung beteiligt war.
Der marokkanische Gelehrte Al-Hassan Al-Wazzan, bekannt als Leo Africanus (1494-1554), beschrieb in seinem Werk „Beschreibung Afrikas“ die Kleidung der Frauen von Fès im 15. Jahrhundert, zur Zeit der Wattasiden-Dynastie. Er schrieb: „Die Kleidung der Frauen ist schön, doch tragen sie an heißen Tagen nur ein Hemd, das sie mit einem Gürtel befestigen, der jedoch wenig ansprechend ist. Im Winter kleiden sie sich in weite, vorn geschlossene Gewänder mit breiten Ärmeln, ähnlich der Männerkleidung.“
Diese Beschreibung zeigt, dass im 15. Jahrhundert die Frauen von Fès, dank ihres Geschicks in Schneiderei und Weberei, den ursprünglich als Männergewand konzipierten Kaftan in ein weites, vorne geschlossenes Gewand mit breiten Ärmeln verwandelten, das speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten war. Dieser war meist schlicht gestaltet und wurde aus Wolle gefertigt. Über dem Kaftan trugen Frauen häufig einen traditionellen Umhang (Burnus), der aus schwarzer Wolle hergestellt war. Diese einfache, aber elegante Kombination unterstreicht die frühe Anpassung des Kaftans und markiert seinen festen Platz in der marokkanischen Kulturgeschichte.
Im 16. bis 17. Jahrhundert, während der Herrschaft der Saadier-Dynastie, spielte der Kaftan eine bedeutende Rolle - besonders unter Sultan Ahmad al-Mansur ad-Dahbii, der für seine Eleganz und seinen ausgeprägten Sinn für Stil bekannt war. Er bevorzugte oft die Farbe Weiß, was seine Kleidung zusätzlich betonte.
Der Historiker Ibrahim Harakat bezeichnet Ahmad al-Mansur als Modepionier seiner Zeit. Er berichtet, dass der Sultan ein von ihm selbst entworfenes Gewand einführte, das nach ihm benannte wurde, al‑Mansuriya (المَنصورة). Dieses wurde später von anderen Königen und Gelehrten übernommen. Die al‑Mansuriya, auch als Takschita (تَكْشِيطَة) bekannt, steht sinnbildlich für Innovation, Eleganz, Funktionalität und kulturelle Anpassung in der marokkanischen Mode. Damit bewies ihr Erfinder nicht nur großes Herrschertum, sondern setzte zugleich neue Maßstäbe in Sachen Stil und Mode.
Der weibliche marokkanische Kaftan
Die Darstellung von Lalla Mass‘uda, der Mutter von Sultan Ahmad al-Mansur, gibt Einblick in die Mode der Frauen in der Saadier-Dynastie. Der weibliche Kaftan dieser Zeit wurde aus luxuriösen Materialien gefertigt, wie blauem Wollstoff oder edlen Seidenstoffen, die mit goldenen Fäden kunstvoll bestickt waren. Das dazugehörige Gürtelband war aus Seide gefertigt und mit Perlen verziert. Es wurde durch ein langes, goldfarbenes Band ergänzt, das kunstvoll so befestigt war, dass es wie ein eleganter Schweif bis zum Boden reichte.
Der Kaftan in der Alaouiten-Dynastie
Die Könige und Sultane der Alaouiten-Dynastie (ab 1664 bis heute) legten großen Wert auf Eleganz und Erscheinung, wobei der Kaftan eine zentrale Rolle in ihrer festlichen Garderobe einnahm.
Im 17. Jahrhundert war der Kaftan ein weit geschnittenes Gewand, das den gesamten Körper bedeckte, meist aus Wolle oder Samt gefertigt und in verschiedenen Farben gehalten. Der Halsausschnitt blieb offen, und ein charakteristischer Kragen oder Gürtel auf Taillenhöhe verlieh dem Kleidungsstück Struktur. Die Säume des Kaftans wurden mit goldenen Fäden bestickt, und breite Gürtel aus Seide und Gold umrahmten die Taille.
Im 18. Jahrhundert entwickelte sich der Kaftan weiter: Er reichte nun bis zum Knöchel und war seitlich geöffnet. Gegen Ende des Jahrhunderts nahm er die Form eines langen Mantels mit engen Ärmeln an, oft aus Seide, Samt oder Baumwolle gefertigt. Hinzu kam ein Gürtel, der die Taille der Trägerin betonte. Die Kaftane dieser Epoche verbanden Eleganz mit Funktionalität und spiegelten den kulturellen Reichtum Marokkos wider.
Der traditionelle marokkanische Kaftan blieb bis ins 20. Jahrhundert ein wichtiger Bestandteil der Kultur und war in Straßen, Geschäften, Häusern, Hochzeiten und im Alltag präsent. Erst in den 1960er Jahren wurde er durch die Kreativität marokkanischer Designer und Kunsthandwerker sowie durch internationale Modenschauen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Dabei avancierte er zu einem Symbol der marokkanischen Tradition mit königlicher Aura.
Arten des marokkanischen Kaftans
Wenn man über die traditionelle marokkanische Kleidung spricht, offenbart sich eine beeindruckende Bandbreite. Diese reicht vom schweren, prachtvollen Kaftan, der bei großen und festlichen Anlässen getragen wird, bis hin zum leichteren, schlichteren Kaftan, den die marokkanische Frau für kleinere Feierlichkeiten bevorzugt, wie Beschneidungsfeste oder auch im häuslichen Rahmen zum Empfang von Gästen trägt.
Hier paar Beispiele dieser Vielfalt des marokkanischen Kaftans. Es zeigt sich in zahlreichen regionalen und stilistischen Varianten, die jeweils die kulturelle Fülle des Landes widerspiegeln.
Kaftan al-Nat' al-Fassi (قفطان النطع الفاسي)
Kaftan al-Nat' al-Fassi [bedeutet „gewebte Materialien“] gehört zu den ältesten traditionellen marokkanischen Gewändern und zeichnet sich durch eine lange Form sowie lange Ärmel aus. Er wird aus edlem Stoff wie dem grünen königlichen Samt gefertigt und mit einer speziellen goldenen Stickerei verziert.
Weitere Verzierungselemente wie die "Sfifa" und "‘Aqd" aus goldenen Fäden zieren ebenfalls den prachtvollen Kaftan. Die besonders ausdrucksvolle Verzierung dieses Kaftans macht ihn zu einem unverwechselbaren Symbol der marokkanischen Kultur. Besonders in den Städten Fès und Meknès ist der Kaftan ein unverzichtbares Element der marokkanischen Hochzeitstradition. [Sfifa (سفيفة) ist eine Dekorationsart, die oft als Zierborte an den Rändern von Kaftanen verwendet wird.
"‘Aqd" ist nicht nur ein einfacher Knoten, sondern eine verschließende und dekorative Verzierung, die oft mit kunstvollen Materialien und spezifischen Techniken gearbeitet wird, um dem Kaftan sowohl Funktionalität als auch ästhetischen Reiz zu verleihen.].
Kaftan Rbati Qadimi (قفطان قديمي)
Kaftan Qadimi [bedeutet alter Kaftan aus Rabat] ist ein altes und traditionelles Kleidungsstück, das sich durch seine schlichte Eleganz auszeichnet, wobei der Fokus auf der Verwendung von traditionellen Stoffen und Farben liegt.
Die Stickereien und Verzierungen sind im Vergleich zu anderen Kaftanen zurückhaltender, aber dennoch ein bemerkenswerter Ausdruck der marokkanischen Handwerkskunst.
Kaftan al-Malaki (قفطان الملكي)
Kaftan al-Malaki ist ein besonders luxuriöses und feierliches Gewand, das ursprünglich nur dem marokkanischen Königshaus vorbehalten war [„al-Malaki“ bedeutet königlich]. Der Kaftan besticht durch seine langen, fließenden Linien und seine weiten Ärmel und wird aus edlen Stoffen hergestellt, die mit Goldfäden und Perlen besetzt sind. Dieser Kaftan ist ein Symbol für königlichen Prunk und Macht und wird oft bei wichtigen Staatsanlässen getragen.
Kaftan Haj Omar al-Titwani (قفطان حاج عمر التطواني)
Kaftan Haj Omar al-Titwani [Name einer bekannten Persönlichkeit aus der Stadt Tetouan] ist ein traditioneller marokkanischer Kaftan, der für seine edle Handwerkskunst und seine kulturelle Bedeutung in der Region Tetouan bekannt ist. Er zeichnet sich durch kunstvolle Verzierungen aus.
Dieser luxuriöse Kaftan ist ein wesentliches Element der Brautkleidung im Norden Marokkos. Er ist Teil der „Tetouaner Schidda“ (الشدة التطوانية), einem traditionellen Hochzeitsgewand, das eine reiche kulturelle Bedeutung hat.
[Der Begriff "Schidda" (الشدة) bedeutet wörtlich „etwas Festes, Gebundenes“ oder „Komplexes“ und bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die aufwendige und reichhaltige Zusammenstellung der Kleidungsstücke und Accessoires, die die Braut bei ihrer Hochzeit trägt. "Schidda bil-Tarawn" (الشدة بالطراون) ist eine Variante der Schidda, die spezifisch für die Stadt Chefchaouen und die umliegenden Regionen ist. „Tarawn“ ist ein Begriff für eine besondere Art von Kopfbedeckung oder Kopfschmuck, der in dieser Region traditionell getragen wird.
Die Schidda bil-Tarawn ist ähnlich wie die Tetouaner Schidda ein komplexes Hochzeitsgewand, bei dem der Kaftan im Mittelpunkt steht, begleitet von einem unverwechselbaren regionalen Stil, der die Mode und Traditionen von Chefchaouen widerspiegelt. Insgesamt symbolisieren beide Arten von Schidda Eleganz, Tradition und die kulturelle Vielfalt Nordmarokkos].
Kaftan al-Behja (قفطان البجة)
Kaftan al-Behja [bedeutet „Freude“ oder „Fröhlichkeit“] ist besonders für seine kräftigen Farben bekannt. Häufig wird er in leuchtendem Rot, Blau oder Grün gefertigt und mit geometrischen Mustern und symbolischen Stickereien verziert. Dieser Kaftan wird vor allem in der Region Fez und Meknès getragen und gilt als Ausdruck der Eleganz und Raffinesse marokkanischer Kultur.
Kaftan al-Jawhara (قفطان الجوهرة)
Kaftan al-Jawhara (al-Jawhara bedeutet „Juwel“) ist ein wahres Meisterwerk. Mit seiner reich verzierten Oberfläche und der Verwendung von edlen Stoffen und feinster Stickerei ist dieser Kaftan ein wahres Kunstwerk. Besonders beliebt bei Festlichkeiten und Hochzeiten, wird dieser Kaftan häufig mit Goldfäden, Edelsteinen und Perlen besetzt, um die festliche Bedeutung des Anlasses zu unterstreichen.
Kaftan Assemlal (قفطان اسملال)
Kaftan Assemlal [berberischer Begriff und bedeutet „der Weiße“ oder „die Reinheit“] stammt aus der Region Souss und ist für seine kräftigen, lebendigen Farben bekannt.
Rote, grüne und gelbe Töne dominieren dieses Kleidungsstück, das oft mit traditionellen Stickereien und symbolischen Verzierungen geschmückt ist. Der Kaftan Assemlal wird besonders bei Hochzeiten und traditionellen Feiern im Süden Marokkos getragen.
Kaftan Slawi (القفطان السلاوي)
Kaftan Slawi [stammt aus der Stadt aus der Stadt Salé] ist ein langes Gewand mit langen Ärmeln. Er wird aus dunkelfarbigen Brokatstoffen gefertigt und durch meisterhafte Handwerkskunst aus Fès mit eleganten Verzierungen geschmückt.
Der Salé-Kaftan vereint auf eindrucksvolle Weise traditionelle Eleganz und kunstvolles Design, was ihn zu einem besonderen Element der marokkanischen Kultur macht.
Kaftan al-‘Assri (القفطان المغربي العصري)
Kaftan al-‘Assri [moderner Kaftan] hat seine traditionelle Bedeutung in der marokkanischen Gesellschaft bewahrt und wird weiterhin bei klassischen Anlässen getragen, insbesondere bei traditionellen Hochzeitszeremonien.
Der moderne marokkanische Kaftan hat sich als stilvolles Kleidungsstück für familiäre und religiöse Anlässe etabliert. Er bietet marokkanischen Frauen mehr Freiheit bei der Wahl von Designs, Stoffen und Farben, sodass der Kaftan individuell gestaltet werden kann.
Moderne Varianten werden aus unterschiedlichsten Materialien wie Seide, Samt und Brokat gefertigt und durch elegante Schnitte sowie vielfältige Farbkombinationen ergänzt. Typische Merkmale des Kaftans wie die traditionellen Verschlüsse („Aqd“), die dekorativen Borten („Sfifa“) und die bestickte Taillenbindung („Mdamma“) verleihen ihm seine unverwechselbare marokkanische Identität.
Herstellung, Mdemma und Symbolik
Die Herstellung des Kaftans wird erfahrenen Handwerksmeistern, den sogenannten „Maâlmin“ (Meister), anvertraut, die jeden Kaftan in einem aufwendigen, mehrstufigen Prozess anfertigen. Der Prozess beginnt mit dem Zuschnitt des Stoffes, gefolgt von der Vorbereitung der kunstvollen „‘Akd“ (Knöpfe) und der „Sfifa“ (Borten). Anschließend wird ein Gürtel gefertigt, um die Stoffteile zu fixieren.
Besonders häufig kommen edle Stoffe wie Seide zum Einsatz, ergänzt durch aufwendige Borten und filigrane Randverzierungen. Insbesondere Stoffe wie „Jouhra“ verleihen dem Kaftan durch ihre charakteristischen Verzierungen eine einzigartige Eleganz. [ist mehr als nur ein Stoff - er ist ein Ausdruck von Luxus und Kunstfertigkeit, der dem Kaftan seinen unverwechselbaren Glanz verleiht und ihn zu einem besonderen Kleidungsstück macht. Der Name selbst hebt die kostbare und edle Natur des Materials hervor]
Die Schnittformen des Kaftans haben sich über die Jahrhunderte stetig weiterentwickelt: von traditionellen, königlichen Designs, die von feierlicher Würde geprägt sind, hin zu modernen, innovativen Interpretationen, die aktuelle Stile aufgreifen.
Mdemma-Gürtel
Ein wesentliches Merkmal des Kaftans ist „Mdemma“, der Gürtel, der die weibliche Silhouette betont und Eleganz verleiht. Diese kunstvolle Gürtel, oft aus demselben Stoff gefertigt und reich bestickt, sind unverzichtbar, um die Anmut des Gewandes zu unterstreichen. „Mdemma“ wird um die Taille getragen und besteht in der Regel aus Gold oder Silber und wird oft mit Edelsteinen wie Saphiren, Smaragden oder Perlen verziert.
Berühmte „Mdemma“-Varianten sind die aus Gold gefertigten „Fès-“ oder „Souss“-Modelle“, die aus Silber bestehen und als „Takset“ (ﺗﺎﻛﺴﺖ) bekannt sind. Ohne „Mdemma“ ist der Kaftan nicht vollständig, da dieser Gürtel das Outfit vervollständigt und ihm seinen einzigartigen Charme verleiht.
Autorin: Manal Thifa Filali