Zauber des Ramadan: marokkanische Spiritualität und Gastfreundschaft
Das Land erwacht zu einem neuen Rhythmus, den alten Traditionen des Islam folgend. Die Marokkaner setzen ihr alltägliches Treiben einen Monat lang aus, um sich der Spiritualität und Hingabe zu widmen. In dieser Zeit verbindet sie die gemeinsame Frömmigkeit, das Fasten und die kostbaren Momente mit ihren Liebsten zu einem Band der Einheit.
Von den Marokkanern im Vorfeld dieses heiligen Monats vernahm ich so manche Erzählung. Jetzt, da der Ramadan seine Mitte erreicht hat, erkenne ich, dass sie recht hatten.
Der Ramadan, eine der fünf Säulen des Islam, durchdringt die Herzen mit Frömmigkeit, lehrt die Kunst der Reflexion und stärkt die Bande innerhalb der Gemeinschaft. Als amerikanische Studentin, die für ein Semester in Rabat weilt, war mir diese Lehre zwar theoretisch bekannt, doch erst durch die direkte Erfahrung fand ich mich mit der Botschaft des Ramadan verbunden.
Meine Gastfamilie fieberte meinem ersten Iftar bereits entgegen. Als der Moment endlich kam, entführte mich der süße Duft von „Chebakia“ aus meinem Zimmer. Zu meiner Überraschung saßen meine Gastmutter, ihr Sohn, ihre Schwiegertochter und die Enkelkinder bereits am Tisch. Es war mir nicht bewusst gewesen, dass wir Al Iftar mit der ganzen Familie einnehmen würden, doch seitdem wird täglich so verfahren. In den USA versammeln sich Großfamilien nur zu besonderen Anlässen, und es ist eher selten, dass sie Tagelang gemeinsam speisen.
An einem Montagabend des Ramadan beschlossen meine Freunde und ich, nach dem Iftar mit unseren Gastfamilien ein Eis zu genießen. Als wir das Restaurant erreichten, lagen die Straßen noch ruhig da. Doch nach Tarāwīh füllten sich die Straßen von Rabat mit Menschen aller Altersgruppen, die spazierten, speisten und sich mit Freunden trafen. In einer Stadt, die normalerweise nach Sonnenuntergang zur Ruhe kommt, erstrahlten die Straßen von Rabat während des Ramadan nachts in einer zauberhaften Magie. Stundenlang saßen meine Freunde und ich dort und bewunderten die bezaubernde Atmosphäre.
Zu Beginn erschien mir der Ramadan einschüchternd; ich fragte mich, wie ich am heiligen Monat der Muslime teilnehmen könnte, ohne mich auf einem so ehrwürdigen Terrain aufzudrängen. Doch schnell lernte ich, dass ich als Ausländerin stets willkommen bin, daran teilzuhaben.
Letzte Woche saß ich während des Iftars im Zug von Rabat nach Marrakesch. Etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang kamen zwei Männer durch den Gang und verteilten kostenlos Wasser und einen kleinen Behälter mit Datteln, gesponsert vom „Office National des Chemins de Fer“. An jenem Mittwoch während des Ramadan waren nicht viele Passagiere im Zug, dennoch wurde niemand, nicht einmal offensichtliche Ausländer, vergessen.
Nachdem ich die erste Woche des Ramadan erlebt hatte, fasste ich den Entschluss, das Fasten selbst auszuprobieren. Einige Gründe spielten dabei eine Rolle. Zum einen erscheint das Fasten logistisch sinnvoll. Die meisten Restaurants sind tagsüber geschlossen, und da ich den Großteil des Tages mit Unterricht verbringe, bleibt wenig Zeit, um selbst zu kochen. Zum anderen bin ich nach Marokko gekommen, um in die marokkanische Kultur einzutauchen. Was könnte dazu besser beitragen als das gemeinsame Fasten mit den großzügigen Menschen, die mich so herzlich aufgenommen haben? Nicht zuletzt verlangt der Islam vom Fasten, Mitgefühl für die Bedürftigen zu entwickeln.
Einfühlungsvermögen ist das Mindeste, was wir tun können, um die Hungernden in Gaza und anderswo zu unterstützen. Das Fasten erwies sich anfangs als eine schwere Bürde - in den ersten Tagen quälten mich schmerzhafte Kopfschmerzen, doch mit jedem Sonnenaufgang wurde die Last etwas leichter. Ich lernte, den Tag ohne den belebenden Kaffee zu durchleben, der normalerweise meine Sinne erfüllt. Wenn ich meiner Gastmutter, meinen Professoren oder meinen marokkanischen Freunden von meinem Fasten erzählte, waren sie verständnisvoll und ermunterten mich, behutsam zu sein. Schließlich kannten sie dieses Empfinden nur zu gut. So nehme ich einen Tag nach dem anderen und halte durch, immer wieder im Bewusstsein, dass ich im Gegensatz zu vielen anderen Menschen auf dieser Welt mit Einbruch der Dunkelheit wieder Speisen darf. Mit jedem Sonnenuntergang erwächst in mir ein Gefühl des Stolzes.
Der Ramadan verlangt nach sorgfältiger Vorbereitung, bedingungsloser Liebe und unerschütterlichem Glauben. Die Marokkaner investieren ihr Herz und ihre Seele in diesen heiligen Monat und widmen ihm einen ganzen Monat lang ihre ungeteilte Hingabe. Nachdem ich dieses Erlebnis erfahren habe, empfinde ich mehr Respekt denn je für dieses Land und seine Bewohner.