Vertrauen im digitalen Zeitalter - Marokkos Antwort auf Fake News
Vertrauen ist im digitalen Zeitalter keine abstrakte Größe mehr, sondern eine tragende Voraussetzung öffentlicher Verständigung. Wo diese Grundlage brüchig wird, verliert der gesellschaftliche Diskurs seine Orientierung und die gemeinsame Bezugsebene erodiert. Diese Entwicklung ist kein Zufallsprodukt einzelner Falschmeldungen, sondern das Ergebnis tiefgreifender struktureller Veränderungen des Internets selbst.

Ein zentrales Merkmal dieser Transformation ist der rapide wachsende Anteil nicht-menschlicher Akteure im digitalen Raum. Automatisierte Systeme, Bots und KI-gestützte Agenten erzeugen, verbreiten und verstärken Inhalte in einem Ausmaß, das menschliche Kommunikation zunehmend überlagert. Ein erheblicher Teil des weltweiten Internet-Traffics stammt inzwischen von solchen Systemen. Sie kommentieren, teilen, bewerten und erzeugen Reichweite - oft ohne überprüfbare Quelle, teils mit gezielter manipulativer Absicht. In dieser Umgebung verbreiten sich falsche oder irreführende Informationen nicht durch offene Konfrontation, sondern unterschwellig, emotional und dauerhaft. Gerade diese Form der stillen Verzerrung untergräbt Vertrauen nachhaltig.
Social-Media-Plattformen wirken dabei als Beschleuniger. Ihre Logik folgt der Aufmerksamkeit, nicht der Verlässlichkeit. Algorithmen priorisieren Inhalte, die Resonanz erzeugen, unabhängig davon, ob sie zutreffen. Hinzu kommt die zunehmende Präsenz automatisch generierter Texte, Bilder und Videos, deren Qualität stark schwankt und deren Ursprung für Nutzer kaum noch erkennbar ist. Die Grenze zwischen belegbarer Information, Meinung und synthetischer Erzählung verschwimmt. Wenn diese Trennlinie verloren geht, wird Misstrauen zur Normalität.
Marokko behandelt diese Entwicklung nicht als kommunikatives Randproblem, sondern als strukturelle Herausforderung. Fake News beschädigen weniger einzelne Akteure als die Fähigkeit der Gesellschaft, überprüfbare Information von bloßer Behauptung zu unterscheiden. Die staatliche Antwort setzt daher nicht auf punktuelle Gegenrede, sondern auf einen rechtlichen und institutionellen Rahmen, der Verantwortung im öffentlichen Informationsraum verankert. Das Presse- und Verlagsrecht von 2016 definiert journalistische Tätigkeit als professionellen Auftrag, verknüpft mit klaren Rechten, Pflichten und ethischen Standards. Ziel ist nicht Inhaltssteuerung, sondern Verlässlichkeit durch Transparenz und institutionelle Bindung.
Im europäischen Kontext liegt der Schwerpunkt stärker auf der Regulierung digitaler Plattformen selbst. Der Digital Services Act verpflichtet große Anbieter zu Transparenz, Risikoanalysen und Maßnahmen gegen systemische Desinformation. Während dieser Ansatz die technische Verbreitungslogik adressiert, zielt der marokkanische stärker auf die Ordnung journalistischer Prozesse. Beide Modelle reagieren auf dasselbe Problem, setzen jedoch an unterschiedlichen Stellen an.
Die eigentliche Dramatik liegt im Zeitfaktor. Desinformation verbreitet sich in Sekunden, Wahrheit benötigt Prüfung, Einordnung und Kontext. In einer zunehmend automatisierten Aufmerksamkeitsökonomie entscheidet sich die Stärke einer Gesellschaft daran, ob sie diese Asymmetrie institutionell ausgleichen kann. Vertrauen entsteht nicht spontan. Es muss geschützt, getragen und immer wieder erneuert werden - gerade dort, wo Maschinen den Takt der Information vorgeben.