Grüner Wasserstoff eröffnet neue Chancen für Energie und Industrie
Grüner Wasserstoff rückt vom Zukunftsversprechen zur strategischen Realität. Staaten mit Sonne, Wind und Kapital positionieren sich neu im globalen Energiesystem. Marokko und Saudi-Arabien verfolgen dabei unterschiedliche Wege, vereint durch den Anspruch, mehr zu sein als reine Energielieferanten. Der Wettlauf um Produktionskapazitäten, Industrieansiedlung und politische Einflusszonen hat begonnen. Wer Wasser, Infrastruktur und Nachfrage klug verbindet, könnte die Spielregeln der Energieökonomie langfristig verändern.
Grüner Wasserstoff gilt als der neue Rohstoff der Macht. Wer ihn günstig produziert und verlässlich liefert, beeinflusst Industrie, Lieferketten und geopolitische Abhängigkeiten. Marokko und Saudi-Arabien wollen genau diese Rolle einnehmen. Beide Länder investieren massiv - doch hinter den Ankündigungen stehen strukturelle Risiken, die oft ausgeblendet werden.
Marokko verfügt über reale Standortvorteile. Kaum ein Land kombiniert so hohe Solar- und Windpotenziale mit geografischer Nähe zu Europa. In den südlichen Regionen rund um Dakhla, Laâyoune und Guelmim treibt das Königreich daher eine integrierte Wasserstoffstrategie voran. Unter dem Label „Morocco Offer“ wurden Projekte im Umfang von rund 319 Milliarden Dirham politisch genehmigt - von erneuerbarer Stromerzeugung über Elektrolyse bis hin zu Exporthäfen wie Nador und Dakhla. Ziel ist es, nicht nur Energie zu liefern, sondern industrielle Wertschöpfung und geopolitische Relevanz zu verbinden.
Doch Genehmigungen ersetzen keine industrielle Reife. Viele Vorhaben befinden sich noch in frühen Phasen, Abnahmeverträge sind begrenzt, Netzanbindungen nicht überall gesichert. Der zentrale Engpass bleibt Wasser. Grüner Wasserstoff ist wasserintensiv, während Marokko unter zunehmendem Wasserstress leidet. Entsalzungsanlagen sollen Abhilfe schaffen, erhöhen jedoch Kosten, Energiebedarf und infrastrukturelle Abhängigkeiten.
Rabat setzt zusätzlich auf seine Nähe zu Europa. Kurze Transportwege, politische Stabilität und neue Hafeninfrastrukturen sollen Marokko zum bevorzugten Lieferanten machen. Doch die Nachfrage ist politisch, nicht marktwirtschaftlich garantiert. Europäische Regulierungen, Zertifizierungsregeln und Fördermechanismen entscheiden letztlich darüber, ob marokkanischer Wasserstoff benötigt oder nur wohlwollend begrüßt wird.
Saudi-Arabien verfolgt einen anderen, machtpolitischeren Ansatz. Das Königreich setzt auf Größe und finanzielle Ausdauer. Projekte wie NEOM, mit einer Zielproduktion von rund 600 Tonnen grünem Wasserstoff pro Tag, oder der Industriekomplex von Yanbu mit mehreren Hunderttausend Tonnen Jahreskapazität zielen auf globale Skaleneffekte. Riad kann hohe Anfangskosten tragen und Marktphasen überstehen, bis sich Nachfrage und Preise stabilisieren - eine Strategie, die bereits im Ölgeschäft erfolgreich war.
Was sich abzeichnet, ist kein Durchmarsch, sondern ein politisch gesteuerter Wettbewerb. Grüner Wasserstoff wird strategisch wichtiger, aber nicht automatisch billig oder grenzenlos verfügbar. Importländer sichern sich neue Abhängigkeiten, Exportländer gewinnen Einfluss - und werden zugleich anfälliger für regulatorische und marktliche Kurswechsel.
Entscheidend ist nicht der Export, sondern die industrielle Nutzung vor Ort. Dauerhafte Wertschöpfung entsteht nur dort, wo Wasserstoff in lokale Industrie integriert wird - in Stahl, Chemie, Düngemittel und synthetische Kraftstoffe. Ohne diese Anbindung drohen viele Projekte reine Energieexporte mit begrenztem Beschäftigungseffekt zu bleiben.
Siehe auch
- Grüner Wasserstoff - Marokkos Sprungbrett in die Zukunft
- Grüner Wasserstoff: Marokko beschleunigt seine Energiewende
- Eine Milliarde Euro für Marokkos grüne Wasserstoff- und Ammoniakproduktion