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Die marokkanische Frau: Rechte, Pflichten, Ansehen

Frauen haben in Marokko die gleichen Rechte und Pflichten wie Männer. Rein rechtlich gesehen gibt es tatsächlich keinerlei Unterschiede mehr. Praktisch sieht das meist ganz anders aus, wobei es den marokkanischen Frauen deutlich besser geht als den meisten anderen muslimischen Frauen, ganz gleich in welchem Land.

Die marokkanische Frau: Rechte, Pflichten, Ansehen, Foto: Muriel Brunswig

Obwohl sich eine Unterdrückung der Frau durch den Koran in keinster Weise legitimieren lässt, so sind doch die meisten arabischen oder muslimischen Länder patriarchalisch geprägt, was gleichbedeutend ist mit einer untergeordneten Rolle der Frau.

Marokko ist anders

Marokko ist aber sowieso in vielem anders als andere islamische Länder. Allein die Tatsache, dass die Marokkaner bis heute ihre eigenen Glaubensvorstellungen mit in den Islam gebracht haben und die ursprüngliche Bevölkerung Marokkos, die Berber, den Frauen immer schon deutlich mehr Macht und Kraft zugesprochen haben, als dies beispielsweise die Araber taten, zeugt davon. Gerade hier, fern des arabischen Zentrums, haben Frauen immer wieder in der Politik mitgemischt und eine wichtige Rolle gespielt. Fatima al Feheri zum Beispiel war die Erbauerin der Kairaouiyine-Moschee in Fes. Sie und ihre Schwester Mariam waren zu ihrer Zeit, im 9. Jh., bedeutende politische Persönlichkeiten. Khnata bint Bekkar, eine der Witwen des verstorbenen Moulay Ismail, herrschte im 18. Jh. ein Vierteljahrhundert lang, um das Reich vor dem drohenden Chaos zu bewahren. Und auch Lalla Fatima, eine Frau aus dem Rifgebirge, spielte in der nationalen Geschichte Marokkos eine wichtige Rolle, als sie sich gegen die Kolonialherrschaft und auf die Seite Abdel Krims stellte. Sie alle waren gläubige Musliminnen, die ihre religiöse Aufgabe in ihrer politischen Tätigkeit sahen. Heute sind es Frauen wie Lalla Mariam, die Schwester des Königs, oder vom König eingesetzte Botschafterinnen, die sich unverschleiert der Öffentlichkeit zeigen, wichtige Ämter übernehmen und so die starke feminine Seite des Königshauses repräsentieren.

Die Gesellschaftsschicht entscheidet oft

Wie gut die Position der marokkanischen Frau in der Gesellschaft ist, hängt in erster Linie davon ab, wo sie lebt und in welcher Gesellschaftsschicht sie sich bewegt. Ganz vereinfacht lässt sich sagen: Eine gebildete Frau aus der sogenannten „besseren Gesellschaft“, die in Rabat, Marrakesch oder Casablanca lebt und womöglich im Ausland studiert hat, hat sehr viel mehr Möglichkeiten zur Selbstbestimmung als eine arme Frau auf dem Land, die noch nie eine Schule gesehen hat, von Empfängnisverhütung nichts weiß und deshalb zehn oder mehr Kinder hat. Das ist natürlich sehr überspitzt dargestellt, aber beide Frauentypen gibt es und rechtlich gesehen sind beide gleichgestellt. Beide dürfen sich scheiden lassen, wenn sie dies wollen, auch gegen den Willen ihres Mannes. Beide dürfen wählen gehen, beide dürfen ihre Männer anzeigen, wenn diese sie schlagen. Beide können theoretisch studieren, islamische Rechtsgelehrte werden, Ministerinnen und Regierungschefinnen.

Aber natürlich kann die „arme Frau vom Land“ dies nicht wirklich. Sie ist fast immer so sehr in ihrer Tradition verwurzelt, dass sie gar nicht merkt, wie eben diese Tradition ihr Leben und Selbstbild prägt und sie mehr einschränkt als die reichen Frauen in den Städten, wobei, auch das sei hier ganz klar gesagt: Nicht alle empfinden das auch so. Ein Teil der traditionell geprägten Frauen sieht sich gar nicht in ihren Rechten beschränkt, sondern geht in dem, was sie tun vollkommen auf und bedauert eher die armen Frauen der Stadt, die neben Familie und Haushalt auch noch arbeiten und einkaufen müssen. Es ist eben immer auch eine Frage der Perspektive.

Das Fernsehen bringt‘s

 

Cover Stefan Loose Marokko

Leseprobe aus: Stefan Loose Travelhandbuch Marokko, 2.Auflage

   

Doch ganz langsam setzt auch hier ein Wandel ein – in erster Linie durch die Medien, vor allem das Fernsehen, das inzwischen selbst im hintersten Atlasdorf angekommen ist. Denn längst haben die Verantwortlichen entdeckt, dass sie Frauen am besten übers Fernsehen erreichen können, indem sie in ihren Sprachen, dem Tamazight, berichten und Möglichkeiten aufzeigen. Außerdem gibt es gerade auf dem Land sehr gute Alphabetisierungsprojekte, die Frauen helfen, sich aus bisweilen sehr unschönen und unfreien Situationen zu befreien. Denn auch Frauen aus den unteren sozialen Schichten fangen ganz langsam an, zu begreifen, dass sie sich gegen das Unrecht, das sie erfahren haben, wehren können. Während die Damen der oberen Schichten für bessere Positionen kämpfen und ihr neues Recht auf Scheidung nutzen, wehren sich Marokkanerinnen aus ärmeren Verhältnissen vor allem gegen die Polygamie.

Gemeinsamkeiten

Doch etwas haben beide Frauengruppen dennoch gemeinsam: Die Familienehre lastet auf ihren Schultern. Und diese basiert auf der Jungfernschaft ihrer Töchter. Einer Frau wird von klein auf eingetrichtert, „rein“ zu bleiben. Tut sie dies nicht, bleibt häufig nur der Weg in die Prostitution oder der nach Europa. Da ist es dann letzten Endes egal, aus welcher Gesellschaftsschicht sie kommt. Denn sogenannte Ehrenmorde gibt es nach wie vor, wenn auch nur noch selten. Aber sie kommen überall vor. Nicht nur auf dem Land.

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