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Alltagsrassismus in der Medizin

Die Studie „Alltagsrassismus in der Medizin“ setzt sich mit dem Alltagsrassismus in der Medizin, dem Menschen mit Migrationshintergrund ausgesetzt sind, auseinander.

Es wird sowohl der Frage nachgegangen inwiefern und auf welche Art und Weise diese Menschen den Alltagsrassismus im hiesigen Gesundheitssystem erleiden als auch der Frage warum sie Alltagsrassismus erleben und welche gesundheitlichen Folgen wie auch Verhaltensweisen der Betroffenen daraus resultieren. 

Alltagsrassismus kann bereits bestehende Erkrankungen verstärken

Alltagsrassismus in der Medizin  (Foto: richard catabay 05kHY7AYCp8 unsplash.com)

Die Studie „Alltagsrassismus in der Medizin“ setzt sich mit dem Alltagsrassismus in der Medizin, dem Menschen mit Migrationshintergrund ausgesetzt sind, auseinander. Es wird sowohl der Frage nachgegangen inwiefern und auf welche Art und Weise diese Menschen den Alltagsrassismus im hiesigen Gesundheitssystem erleiden als auch der Frage warum sie Alltagsrassismus erleben und welche gesundheitlichen Folgen wie auch Verhaltensweisen der Betroffenen daraus resultieren.

Die Auswirkungen des Alltagsrassismus im Gesundheitswesen kann bereits bestehende Erkrankungen wie Depressionen verstärken oder gar abermals auslösen. Im Gesundheitssystem arbeiten ÄrztInnen mit unterschiedlicher Sozialisation und unterschiedlichen Ideologien. Der Beruf des Arztes folgt einer gewissen Ethik, die im hippokratischen Eid symbolisch zum Ausdruck kommt. Demnach ist der Behandler gemäß dieser Ethik empathisch, fair und um die Gesundheit seiner Patienten bemüht. Er ist auch verpflichtet, seine PatientInnen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion und Geschlecht nach bestem Wissen und Gewissen zu behandeln.

Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass auch im Gesundheitswesen der Alltagsrassismus salonfähig geworden ist. PatientInnen und deren Angehörige, die nach dem äußeren Erscheinungsbild, wobei hierunter nicht nur Kleidung und Sprachbarrieren zu verstehen sind, sondern auch das Aussehen an sich und die religiöse Ausrichtung, nicht der Mehrheitsgesellschaft als zugehörig angesehen werden.

Diese PatientInnen wie auch ihre Angehörigen erleben offensichtlichen wie auch subtilen Rassismus im Gesundheitswesen. Nicht selten sehen sie sich positiver Diskriminierung ausgesetzt. Hinzu kommen strukturelle Diskriminierungsformen wie der erschwerte Zugang zum Gesundheitssystem in Form einer langen Wartezeit auf einen Termin beim Hausarzt und der erschwerte Zugang zum Facharzt. Dieser Alltagsrassismus, den PatientInnen mit Migrationshintergrund und ihre Angehörigen im Gesundheitssystem erfahren, kann fatale gesundheitliche Folgen für die Betroffenen haben. Alleine diese Erfahrungen können dazu führen, dass die Betroffenen trotz Erkrankung das Gesundheitssystem meiden und Erkrankungen sich chronifizieren können.

Deutschland ist seit mehr als 60 Jahren ein klassisches Einwanderungsland. Man könnte annehmen, dass die deutsche Gesellschaft und in diesem Falle das deutsche Gesundheitssystem Mechanismen entwickelt haben, um mit diesen Menschen umgehen zu können. Gerade Migranten mit gesundheitlichen Problemen sind auf Hilfe, Zuspruch, Empathie angewiesen, weil viele dieser Menschen der deutschen Sprache entweder nicht mächtig sind oder nur teilweise beherrschen. In diesen Fällen ist davon auszugehen, dass sie komplexe medizinische Abläufe wie Aufklärungen, Untersuchungen und Therapien nur eingeschränkt folgen können. Mangelhafte medizinische Aufklärung aufgrund bestehender Sprachbarrieren können die Einhaltung von Verhaltensmaßregeln durch PatientInnen beeinträchtigen und notwendige Untersuchungen und daraus resultierende Therapien im Wege stehen. Dem kann entgegengehalten werden, dass das Erlernen der deutschen Sprache eine Grundvoraussetzung ist, um in diesem Lande zu leben. Nach dem Motto, wer die deutsche Sprache nicht beherrscht, ist selber Schuld und muss sein Schicksal ertragen, weil er zu faul war oder sich gar aus Prinzip geweigert habe, diese zu erlernen.

Doch so einfach ist das nicht, denn viele der PatientInnen mit Migrationshintergrund sind über 60 Jahre und haben meistens in Fabriken gearbeitet und nie die Gelegenheit gehabt, die deutsche Sprache zu erlernen. Die meisten Frauen mit Migrationshintergrund, die über 60 Jahre alt sind, waren und sind Hausfrauen, die ebenfalls keine Möglichkeiten hatten, die deutsche Sprache systematisch zu erlernen. Es war ja auch nicht vorgesehen, dass diese MigrantInnen dauerhaft in Deutschland bleiben, daher gab es in den 60er bis 90er -Jahren keine entsprechenden Angebote, um die Sprache zu erlernen. Somit ist das Argument der selbstverschuldeten Unmündigkeit ad absurdum geführt. Diese Menschen erfahren, wie die Studien zeigen, aufgrund der bestehenden Sprachbarrieren massive Benachteiligungen im Gesundheitssystem. Im Konkreten bedeutet das, dass sie es schwer haben Termine bei ihrem Hausarzt zu bekommen geschweige denn beim Facharzt. Ihnen wird aufgrund der Sprachbarrieren und dem Zeitdruck unter dem viele ÄrztInnen leiden, noch weniger Zeit gewidmet. Damit ist eine adäquate Anamnese im doppelten Sinne erschwert. Zum einen durch die Sprache und zum anderen die dadurch bedingte deutlich eingeschränkte Zeitdauer, die sich der behandelnde Arzt für diese PatientInnen nimmt. Wie sind eine adäquate Diagnostik und eine Therapie bei fehlender oder unvollständiger Anamnese möglich?

Hier kann konstatiert werden, dass der Arzt „blind“ behandelt und der Patient sich „blind“ behandeln lässt. Hinzu kommen die häufig vorgeschobenen angeblich kulturellen Eigenarten der MigrantInnen seitens vieler im Gesundheitssystem tätige Menschen. Es herrschen immer noch die Überzeugungen bei vielen ÄrztInnen, dass insbesondere MigrantInnen aus dem Mittelmeerraum in vielerlei Hinsicht zum Beispiel bei Schmerzen theatralisch auftreten und Frauen sich „hysterisch“ bei Schmerzen oder bei schmerzhaften Behandlungen aufführen, obwohl Studien im Bereich des Schmerzes diese Vorurteile widerlegen konnten. Doch Begriffe wie das „Mittelmeersyndrom“ oder „Morbus Bosporus“ halten sich hartnäckig in der Medizin. Beide Begriffe und die damit verbundene Ressentiments sind exemplarisch für den gelebten Alltagsrassismus in der Medizin. In vielen Krankenhäusern spricht man vom türkischen Patienten im Zimmer 9, obwohl dieser Patient einen Namen hat und deutscher Staatsbürger ist, der in Castrop-Rauxel zur Welt kam. Klagen Patienten mit Migrationshintergrund über Schmerzen oder Schlafstörungen, dann ist die Diagnose „Somatisierungsstörung“ häufig in den Entlassungsbriefen zu lesen. Die Suche nach einer adäquaten Diagnostik bleibt nicht selten erfolglos.

Gesetzt die Sprachbarriere sei das Problem, dann dürften PatientInnen mit Migrationshintergrund und sehr guten Deutschkenntnissen doch keine Benachteiligungen erfahren. Spätestens hier wird der Alltagsrassismus in der Medizin sichtbarer, denn nun treten anstelle der Sprachproblematik die Kultur, die Religion, die Kleidung und auch die Hautfarbe in den Vordergrund. Es scheint, dass PatientInnen mit Migrationshintergrund es dem deutschen Gesundheitssystem und somit ja der Medizin nicht recht machen können, um empathisch aufgenommen und fair und professionell behandelt zu werden. Wie kann man sich ansonsten die Tatsache erklären, dass die Inanspruchnahme des deutschen Gesundheitssystems durch Jugendliche mit Migrationshintergrund erschwert ist. Schouler-Ocak et al. kommen in ihrer Studie zur folgenden Feststellung: „Offenbar sind für Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien aber auch Barrieren der Inanspruchnahme von Psychodiagnostik und -therapie noch höher als bei Erwachsenen mit Migrationshintergrund. Bei unserer Untersuchung berichteten mehr als 45% der Befragten, dass sprachliche oder kulturelle Probleme die Diagnostik oder Therapie von Patienten mit Migrationshintergrund behindern. Gleichzeitig kommen solche therapeutischen Routinestrategien zum Einsatz, die dieser Klientel nicht immer angemessen sind“.

Diese Befunde unterstreichen den Alltagsrassismus in der Medizin bei der Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund und zeigen, dass der Ausbau und die Etablierung einer transkulturellen Medizin einhergehend mit dem Erlernen der kultursensiblen Versorgung durch die Professionellen im Sinne Boll Palievskaya Daria dringend erforderlich ist. Demnach ist es allen im Gesundheitssystem Tätigen und welche mit Patienten arbeiten, zu empfehlen, in Seminaren und Kursen die kultursensible Versorgung zu erlernen, um die Kommunikation wie auch das Verständnis von Krankheit und konsekutiv hier auch das Arzt-Patient-Verhältnis zu optimieren. Die kultursensible Versorgung hat zwei grundlegende Vorteile- zum einen eine adäquate Versorgung von Patienten mit Migrationshintergrund und zum anderen ist es in der Summe kostengünstiger.

Die gesamte Studie von Mg. Dr. med. Mimoun Azizi, M.A. einschließlich Literaturverzeichnis kann mit diesem Link als PDF-Datei heruntergeladen werden (Nach dem Anklicken finden Sie die Studie in Ihrem Download-Ordner).

Mehr über Mimoun Azizi erfahren Sie hier